Winterzeit EU-Version 2.0

Immerhin: die erste Fehlerkorrektur seitens der EU - Ein Kommentar

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Es ist tatsächlich eine Sensation - die Europäische Union gesteht ein, einen Fehler gemacht zu haben. Und damit nicht genug, sie will so einen Fehler erstmals auch beheben. Es dreht sich um die "Sommerzeit", die jedes Jahr zweimal einen Zeitwechsel um eine Stunde in der Europäischen Union bedeutet, und wo der Aufwand der Umstellung hauptsächlich von den 500 Millionen Bürgern, den Konsumenten dieser Umstellungsveranstaltung, getragen wird.

Eine Stunde Arbeit jährlich pro Haushalt

Wie schon vor langer Zeit beschrieben, kostet diese Zeitumstellung den Menschen im Durchschnitt eine Stunde Arbeit pro Haushalt und Jahr. Es gibt nämlich immer mehr Uhren in den Haushalten und die wenigsten sind automatisch sich einstellende Funkuhren oder Personal Computer: Etagenheizung, Mikrowelle, Elektroherd, Wecker, die Armbanduhren, die Uhr im Auto und vieles mehr. Dazu kommen die persönlichen Uhren am Arbeitsplatz.

Alle diese Uhren sind nicht einheitlich zu bedienen, bei manchen geht es nur kompliziert und man rätselt länger herum. Schon in den 1990er Jahren brauchte man dafür zweimal eine halbe Stunde im Durchschnitt per Haushalt und Jahr.

Brav europäisch sein

Diese jährliche Arbeitsstunde hatten die Menschen zu leisten, um den Vorgaben der Behörden zu folgen. Für die europaweite Fixierung der Sommerzeit brauchte es eine EU-Vorschrift (wir halten uns hier nicht mit den Einzelheiten auf) und dazu dann 28 nationalstaatliche Beschlüsse. Das war kein Problem: Bei neuen europäischen Ideen taten bisher alle bereitwillig mit - man will ja schließlich guter, braver Europäer sein.

Ebenso gab es grandiose politische Statements und sagenhafte Studien diverser Provenienz, was mit der Einführung der Sommerzeit (die wurde im Ersten Weltkrieg aus militärischen Interessen eingeführt - oft sind militärische Zwecke die Auslöser, dann aber wieder rasch aufgegeben) denn nun nicht alles besser würde: Energiesparen, mehr Freizeit, mehr Wirtschaftswachstum, mehr Fortschritt, mehr Menschenwürde und was man sonst noch alles bemühen konnte. Viel an wissenschaftlicher Prostitution war damals schon zu bemerken, wenn man ein Sensorium dafür hatte.

Es hat als chancenlos gegolten, diese Sommerzeit wieder abzuschaffen. Da brauchte es nämlich komplizierte EU-Beschlüsse und dann noch einmal 28 nationale Parlamentsabstimmungen dazu. Alle haben das als praktisch unmöglich angesehen. Aber nun, wo den EU-Eliten, um es umgangssprachlich zu sagen, der Arsch auf Grundeis geht, da die Unzufriedenheit mit den nationalen und europäischen Establishments unübersehbar wird, geht das plötzlich doch und schnell.

Das EU-(Pseudo-)Parlament hat dazu Absichtserklärungen ausgebreitet und der Herr Juncker hat das aufgrund einer an sich völlig undiskutablen Bürgerbefragung - das war keine Abstimmung, das war eine halt unglücklich ausgegangene Pseudoaktion - als Beruhigungspille an die EU-Menschen ausgegeben. An sich ist es ja kein Problem, die Abschaffung der Sommerzeit schadet dem Kapitalismus nicht und außerdem können sich die Nationalstaaten mit der Frage, was denn nun sinnvoll sei, dauernde Sommer- oder dauernde Normalzeit, ausreichend beschäftigen, Arbeitsaufgaben für lästige Schüler also. Aber am Ende geht dann ohnedies wieder nichts ohne die EU, die am Schluss brav für Einheitlichkeit sorgen wird. Wetten?

Politik interessiert sich nicht für private Arbeit

Interessant ist, die Arbeit, die die Menschen mit der Zeitumstellung haben, diese jährlich 221 Millionen Arbeitsstunden der privaten Haushalte - das ist ein Volumen von 126.000 Ganzjahres-Erwerbsarbeitsplätzen jährlich -, waren nie ein Argument, das hat keinen Politiker gestört. Private Arbeit, private Mühsal interessiert weder die EU, noch die Nationalstaaten. Alles, was kostenlose Zeitaufwendungen der Menschen sind, zählt in der postmodernen Mainstreamkultur nicht.

Auch wenn Menschen zwangsweise - wegen miserabler persönlicher Einkommensverhältnisse - sehr preiswert einkaufen müssen und dabei zeitraubende Wege auf sich nehmen, oder sich bei Tafeln anstellen und vieles andere mühsam zu bewerkstelligen haben. Die privaten Zeitaufwendungen sind stets unter den Tisch gefallen.

Mit einer Ausnahme allerdings. Wenn es um Kinder geht und ihre Sozialisation, greifen Staaten gern ein und gerieren sich als "Therapiestaaten". Kindererziehung rissen die alten sozialistischen Länder an sich und hielten dafür viele einschlägigen Anstalten vor, ähnlich war es im Faschismus. Langsam folgen nun die kapitalistischen Staaten diesem Muster, nicht nur um den Müttern den konsumtiv inspirierten Erwerbsarbeitszwang leichter fasslich zu machen; es geht dabei auch darum, die richtige Sozialisation der Kleinen nicht nur den Eltern zu überlassen. Die Befunde der Entwicklungspsychologie, etwa Rene A. Spitz und der Bindungsforschung, interessieren da natürlich nicht - es geht einfach um subtile staatliche Kontrolle.