Desinformation über Desinformationskampagnen

Spätestens seit 2014 findet ein seltsamer Medienkrieg statt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wir leben wieder in einer Zeit, in der man, wenn man nicht parteiisch ist, kaum mehr einer Seite wirklich vertrauen kann, Medien eingeschlossen. Das ist erkennbar in der seit 2014 gepflogenen Kampagne des Westens, gegen eine angebliche übermächtige Desinformationskampagne Moskaus ankämpfen zu müssen. Dort wiederum versucht man ebenfalls, sich gegen angebliche politisch-mediale Desinformationskampagnen aus den Nato-Ländern zur Wehr zu setzen und ebenso wie der Westen mit Auslandsmedien eigene Botschaften und Interpretationen zu verbreiten.

Seltsam mag das schon deswegen erscheinen, weil im Westen von vielen Politikern und Medien spätestens seit Ende 2013 die Maidanbewegung kritiklos gefeiert und die Janukowitsch-Regierung ebenso undifferenziert verteufelt wurde. Dass die angeblich proeuropäische Bewegung durchsetzt von rechtsextremen und nationalistischen Kräften und von wirtschaftlichen Interessen von Oligarchen geprägt war, wurde nicht zur Kenntnis genommen, aber man half mit Berichten, Bildern und Besuchen nach, den auch gewaltsamen Widerstand zu propagieren, auch wenn man wusste, dass die Ukraine ein zerrissenes Land war (und ist).

Man muss sich nur einmal vorstellen, wie man reagieren würde, wenn ein bewaffneter Mob mit teilweise faschistoider Ideologie in einem europäischen Land eine Regierung stürzen würde, die gerade noch eingewilligt hat, eine Übergangsregierung zu bilden und Neuwahlen einzuleiten. Die europäischen Minister, die einen friedlichen Übergang ausgehandelt hatten, wurden düpiert, weil die Radikalen sich auf die Unterstützung der USA verlassen konnten, die auf einen Regime Change aus war.

In Hamburg hat man während der G20 sehen können, wie die Polizei vorging, als es zu Randale kam. In Kiew gingen die Aufständischen über längere Zeit mit großer Gewalt gegen Polizisten vor, zündeten sie an, hatten sich mit Schusswaffen bewaffnet und öffentliche Räume sowie Gebäude okkupiert. Hätte man irgendwo in Europa solche "befreite Zonen" akzeptiert oder wäre man auch dort, wie etwa im Fall der Occupy-Bewegung, wo nur Plätze besetzt wurden, mit Polizeigewalt dagegen vorgegangen.?Als dann Menschen in der Ostukraine die gleichen Strategien realisierten, wurden sie nicht als Freiheitskämpfer verherrlicht, sondern als Terroristen bezeichnet und mit Krieg überzogen - mit Rückendeckung des Westens.

In letzter Zeit wurden neue Kampagnen wegen angeblicher Giftgasangriffe seitens der syrischen Regierung oder wegen des Anschlags mit Nowitschok auf den ehemaligen russischen Agenten Skripal von den westlichen Regierungen gestartet. Noch bevor irgendwelche Beweise über angeblich alternativlose Verdächtigungen hinaus präsentiert wurden, war der Schuldige ausgemacht und wurde Syrien bombardiert, während man russische Botschaftsangehörige des Landes verwies.

Alles andere als überzeugend waren oft auch die Widerlegungen der russischen Seite, beispielsweise als die beiden Verdächtigen, die von britischen Sicherheitsbehörden für den Anschlag auf Skripal verantwortlich gemacht werden, im russischen Fernsehen als harmlose Geschäftsleute auftraten, ohne weitere Hintergrundinformationen zu liefern, weswegen dann wieder Bellincat, verbandelt mit dem Atlantic Coucil, und oppositionelle Medien leichtes Spiel hatten, andere Informationen zu liefern. Effekt ist für den unparteiischen Außenstehenden ein Schachmatt oder Sichttrübung durch die Nebelkerzen.

Wahrheitskampagnen gegen Desinformationskampagnen

Im Westen wurde seit 2014 die Angst vor Desinformation systematisch geschürt, was den Eindruck erweckte, man würde auf der Seite der Wahrheit und der Objektivität stehen. Bekämpft werden, auch mit öffentlichen Geldern, Fake News oder was man dafür hält, besonders in den Sozialen Medien, die mit den traditionellen Massenmedien konkurrieren und für einen Vertrauensverlust in "etablierte" Medien und Strukturen sorgten sowie deren Informationshoheit untergruben. Dass bald auch von "weaponized information" gesprochen wurde, Propaganda oder die sogenannte strategische Kommunikation bzw. PsyOp scheint nicht mehr auszureichen, macht deutlich, dass es weniger um Wahrheit als um einen Kampf um die Macht geht.

Mit der Diskursverschiebung auf Desinformation und Beeinflussungskampagnen, denen freilich die Menschen im Westen auch permanent ausgesetzt sind, werden auch die Probleme und ihre Lösung auf die Medien verschoben. Das wird nicht nur von den etablierten Medien und Parteien gemacht, sondern auch von den rechtspopulistischen Bewegungen von der AfD bis hin zum US-Präsidenten Trump. Die Strategie ist eigentlich ganz einfach und wird gerne nach Wahlen von Verlierern präsentiert: Wenn man nicht überzeugt hat, haben die Medien falsch berichtet oder wurde falsch kommuniziert.

Ausgerechnet von britischer Seite, die sich mit Brexit-Versprechungen auf der einen Seite oder mit Interventionen sowie einfachen Schuldzuweisungen zur Konstruktion von Einheit durch Feindbildung besonders hervorgetan hat, wird nun die angebliche Informationsüberlegenheit des "russischen und syrischen Regimes" moniert. Das erinnert an die wiederholten Klagen des ehemaligen US-Verteidigungsministers Rumsfeld nach der Invasion der "Koalition der Willigen" in den Irak (Niederlage im Medienkrieg). Nach ihm seien die Aufständischen und ihre Hintermänner im Informationskrieg überlegen, wobei es auch gegen die Sender al-Dschasira (Katar) und Al-Arabija (Saudi-Arabien) ging.

Angeblich soll George W. Bush auch mal überlegt haben, den al-Dschasira-Sender in Katar zu bombardieren. Schließlich hatten sich die USA um Informationshoheit durch das Konzept der "eingebetteten Reporter" bemüht und unabhängige Journalisten bedroht (Bildbereinigung in den Medien). Während der Invasion wurde angeblich "versehentlich" ein Redaktionsbüro in Bagdad von einem Panzer beschossen. Die Aufregung vor 15 Jahren erinnert an die jetzige Situation, wo russische Medien wie RT und Sputnik, aber auch wieder das Internet als die große Bedrohung dargestellt werden.

Das "Narrativ" der Nato ist an "extrem aggressiven" Informationsoperationen Russlands gescheitert

Jetzt also erklärte während der Jahrestagung der Association of the U.S. Army der britische Generalmajor Felix Gerney, der gerade seinen Einsatz als stellvertretender Kommandeur der Operation Inherent Resolve (OIR) beendet hat, dass Russland und Syrien "extrem aggressive" Informationsoperationen ausführen und Desinformation über die Sozialen Medien verbreiten würden, um sich strategisch zum Abschluss des Kampfes gegen den IS zu positionieren.

So würden gestellte Fotos von russischen Soldaten verbreitet, die humanitäre Hilfe leisten. Ganze Militäreinsätze würden für den einzigen Zweck veranstaltet, um die gewünschten Bilder zu erhalten, gibt Defense One seine Rede wieder. Die irreführenden Bilder würden viel effizienter verbreitet, als die US-geführte Koalition dagegen einschreiten könne. Was daran "extrem aggressiv" sein soll, wenn es denn stimmt, und sich von Propaganda der westlichen Staaten unterscheidet, ist nicht so klar. Offenbar soll eine Bedrohung aufgebaut werden: "Die Russen sind wirklich gut darin. Besser als wir", sagte er. Es habe eine "sehr kluge Informationskampagne" gegeben, um die Koalition zu diskreditieren. Man habe in "vielen unserer Hauptstädte" nicht erkannt, dass man ausgespielt worden sei.

Überhaupt habe es um die Mission eine bislang noch nicht dagewesene Menge an Informationsaktivitäten gegeben. Beklagt wird freilich, dass man nicht immer die Informationshoheit habe, um die eigene Propaganda, genannt das "Narrativ", direkt an den Mann zu bringen: "In der Informationsdomäne ist unsere Handlungsfreiheit oft durch höhere strategische Ziele eingeschränkt." Das habe bei OIR zu einem "Vakuum" im Hinblick auf das Narrativ geführt, das die Gegner dann leicht mit ihren Narrativen auffüllen konnten. Wieder ist es nur die Kommunikationsstrategie, die Probleme macht, nicht die militärische Operation selbst.

Das Global Engagement Center im Kampf gegen russische Desinformation

Auch im US-Außenministerium wurde vor kurzem über den Kampf gegen die "russische Desinformation" geklagt. Gegründet wurde das Global Engagement Center 2016 als Ersatz des Center for Strategic Counterterrorism Communication (CSCC) aufgrund einer Anordnung des damaligen Präsidenten Obama. Es soll mit mehr als 70 Angestellten "ausländische Staatliche und nichtstaatliche Propaganda und Desinformation" bekämpfen.

Angeblich wurde es von der Trump-Regierung aber ins Eck geschoben und nicht ausreichend finanziert. Allerdings scheint das Außenministerium die vom Kongress bewilligten Gelder in Höhe von 120 Millionen US-Dollar nicht abgerufen haben. Das wurde in der New York Times als weiteres Zeichen dafür betrachtet, dass Trump nicht offensiv auf die russische Einmischung reagiert.

Nach USA Today hat ein Sprecher aber versichert, dass Programme angelaufen seien, beispielsweise solche, "russische Nachbarn in Osteuropa zu stärken, nicht durch verzerrende Berichte destabilisiert zu werden, die über ihre Grenzen durch Sputnik, verdeckte, vom Kreml geschaffene Nachrichtensites und falschen Social-Media-Accounts fluten". Überdies sei beispielsweise eine App geschaffen worden, die verhindern soll, dass Bilder, Videos oder andere Daten manipuliert werden können. Das könne hilfreich sein für Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in Kampfgebieten wie Syrien - denkt man da an die Weißhelme? -, "wo Russland beschäftigt ist, das brutale Regime von Bashar Assad zu stützen und falsche Informationen über einen möglichen Chemiewaffenangriff auf syrische Zivilisten zu verbreiten." Zuvor hatte der Westen vor der jetzt erst einmal abgeblasenen Offensive auf Idlib gedroht, bei einem erneuten Chemiewaffenangriff hart militärisch einzugreifen, Russland berichtete, die Weißhelme würden einen fingierten Chemiewaffenangriff vorbereiten.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.