Tanz den Adolf Gauland

Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihren publizistischen "Tag von Potsdam" abhielt. Ein Kommentar

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Es sollte eine Art publizistischer Initiationsritus werden, mit dem die alten konservativen Eliten dem neurechten Aufsteiger ein Forum bieten, ihn in ihrer Mitte - als politische Option - akzeptieren. Es endete mit einer grotesken Paraphrasierung einer Hitler-Rede, die offenlegte, wie nah nationalsozialistisches Gedankengut dem Mainstream in der Bundesrepublik inzwischen ist, wie sehr die deutsche Mitte ins Extrem abgedriftet.

In einem Gastbeitrag für das piekfeine Eliteblatt Nr. 1 der Bundesrepublik, die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), hat sich AfD-Führer Alexander Gauland etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Vor dem inoffiziellen Zentralorgan der deutschen Funktionseliten lieferte der Wehrmachtliebhaber eine für den deutschen Faschismus - den "Nationalsozialismus" - charakteristische "Elitenkritik" ab. Selbstverständlich werden dabei nicht die deutschen Eliten, die Deutschland etwa die Agenda 2010 oder die Rentenreform bescherten, kritisiert, sondern eine imaginierte elitäre Clique von "Globalisten", deren "Egoismus" den selbstlosen Herrn Gauland zur Verzweiflung treibt.

Als Weltbösewichter firmiert bei Gauland eine "globalisierte Klasse", die überall ihre Leute platziert habe: "… in den international agierenden Unternehmen, in Organisationen wie der UN, in den Medien, Start-ups, Universitäten, NGOs, Stiftungen, in den Parteien und ihren Apparaten…". Diese Globalisten seien laut Gauland fast allmächtig. Sie würden die Informationen kontrollieren und "kulturell und politisch den Takt" vorgeben. Diese globalistische Klasse sei überall auf der Welt zu Hause, sie weise eine schwache Bindung "an ihr jeweiliges Heimatland" auf, sie träumte von einer "Weltrepublik" und lebe in einer "abgehobenen Parallelgesellschaft" - dies wohl ganz im Gegensatz zum Herausgeberkreis der FAZ.

Gauland wörtlich: "Ihre Mitglieder leben fast ausschließlich in Großstädten, sprechen fließend Englisch, und wenn sie zum Jobwechsel von Berlin nach London oder Singapur ziehen, finden sie überall ähnliche Appartements, Häuser, Restaurants, Geschäfte und Privatschulen."

Diesen wurzellosen Globalisten stünden "zwei heterogene Gruppen" gegenüber, die in der "AfD eine Allianz eingegangen" seien, so der AfD-Führer. Zum einen sei es die bürgerliche Mittelschicht und der national orientierte "wirtschaftliche Mittelstand", der "nicht einfach seine Unternehmen nach Indien verlagern kann, um dort besonders billig zu produzieren".

Dies ist dann offensichtlich das "gute", schaffende, national gesinnte, produzierende Kapital, das Gauland den bösen, wurzellosen Globalisten in ihren "international agierenden Unternehmen" gegenüberstellt. Zum anderen seien es die "einfachen Menschen", die miserabel bezahlt würden und von einer "schäbigen Rente" leben müssten. Diese "einfachen Menschen" wären aber laut Gauland nicht etwa durch Agenda 2010 oder neoliberale Rentenreformen in diese prekäre Lage geraten, sondern durch Einwanderer, da sie nun "ihre Heimat" verlören. Sie "können nicht einfach wegziehen und woanders Golf spielen".

Die Normalisierung des Rechtsextremismus

Das Kalkül hinter diesem Gastbeitrag ist evident. Die braunen Kohorten der Alternative für Deutschland, die noch vor wenigen Wochen gemeinsam mit Nazis in Chemnitz marschierten, sollen für Deutschlands Funktionseliten als eine neue politische Option erschlossen werden. Die konservativen Leitmedien der "Mitte" Bundesrepublik gehen dazu über, den rechten Extremismus salonfähig zu machen, um künftig schwarz-braune Machtübernahmen möglich zu machen.

Neben der FAZ, die bereits über Gaulands diesbezügliche Koalitionswünsche berichtete, ist es der erzreaktionäre Springer-Konzern, der als eine Art Vorfeldorganisation der AfD fleißig damit beschäftigt ist, Figuren der Neuen Rechten zu "normalisieren".

Der rechte Strippenzieher mit dem verdächtig slawisch klingenden Nachnamen, Götz Kubitschek, konnte ein launiges Interview mit der Welt absolvieren, in dem er als Teil einer rechten "Spaß-Guerilla" tituliert wurde. Der rechte "Stratege", vor dem noch der AfD-Gründer Bernd Lucke warnte, verfügt über ein ausgewachsenes parteiinternes Netzwerk in der AfD, in dessen Umfeld sich viele neurechte Spaß-Guerilleros tummeln.

Die publizistische Aufnahme des Herrn Gauland in die höheren, elitären Kreise der Gesellschaft wurde überschattet von dem großen braunen Haufen, den der AfD-Führer bei seinem ersten Vorsprechen prompt in der FAZ hinterließ. Die Struktur und Argumentationskette der Absonderungen Gaulands gleicht einer Rede, die Adolf Hitler kurz nach der letzten Koalitionsbildung zwischen der (Alten) Deutschen Rechten und konservativen Parteien 1933 vor Siemens-Arbeitern gehalten hat. Dies ist nicht etwa den elitären FAZ-Redakteuren aufgefallen, sondern einem Twitter-User, der in Geschichte aufgepasst hat, wie der Tagesanzeiger berichtete.

Hitler sprach von einer "kleinen wurzellosen internationalen Clique", die die Völker gegeneinander hetze und sie nicht zur Ruhe kommen lasse. Es seien Menschen, "die überall und nirgends zuhause sind, sondern die heute in Berlin leben, morgen genauso in Brüssel sein können, übermorgen in Paris und dann wieder in Prag oder Wien oder in London, und die sich überall zu Hause fühlen". Bei Gauland wurden Singapur und London als Bespiele genannt. Diesen "internationalen Elementen", die ihre Geschäfte überall tätigen können, stünde das Volk gegenüber, das "gekettet" sei an "seinen Boden", an "an seine Heimat", das "gebunden an die Lebensmöglichkeiten seines Staates, der Nation" sei. Gauland wiederum schreibt, der Regen, der in ihren Heimatländern falle, mache die Globalisten "nicht nass".

Tanz den Adolf Gauland

Der Führer und sein mutmaßlicher Plagiator argumentieren somit im Kern gleich: Hier eine wurzellose Klasse von "Globalisten", eine "internationale Clique", da das an den Boden, an die Nation gekettete Volk nicht weggehen und "woanders Golf spielen" könne. Diese für den Nationalsozialismus charakteristische, strukturell antisemitische Gegenüberstellung von wurzellosen Globalisten oder Geldverschwörern und erdverwachsenem Blutsvolk, die dem expliziten Antisemitismus den Weg ebnet, tritt hier evident hervor.

Historiker argumentierten folglich, dass es sich hierbei um eine Paraphrase der Hitler-Rede handele. Gaulands Text sei "ganz offensichtlich eng an den Hitlers geschmiegt". Es wirke so, als habe sich der AfD-Chef den Redetext des Führers von 1933 auf den Schreibtisch gelegt, als er seinen Gastbeitrag für die 'FAZ' schrieb", so der Antisemitismus- und NS-Forscher Wolfgang Benz in einer Analyse.

Wer hätte das auch gedacht, dass der Führer einer ins offen Faschistische abdriftenden Partei bei seinem FAZ-Gastbeitrag nationalsozialistische Propaganda absondern würde! Ähnlichen NS-Auswurf produziert auch der AfD-Rechtsaußen Höcke, der aber eher Goebbels imitiert. Im rechtsdrehenden Deutschlands des Jahres 2018 - wo in Reaktion auf Chemnitz über die exakte Definition einer Hetzjagd debattiert wurde - lösen diese Absonderungen, die in Hitlerischer Manier eine internationale, die Völker knechtende Verschwörung von Globalisten halluzinierten, aber zuerst Beifall aus. Insbesondere bei all jenen Eliteangehörigen, denen selbst die beste Bildung, die man für Geld kaufen kann, nicht wirklich helfen konnte.

Der schwerreiche Verlegererbe Jakob Augstein, der seine Zeit als Journalist und Verleger verbringt, fand die modernisierte NS-Rhetorik Gaulands "mutig", nicht nur "böse, sondern klug". Gaulands NS-Kritik an den internationalen Eliten empfand das deutsche Elitenkind, das sich eine eigene Wochenzeitung hält, irgendwie zutreffend: "Man muss ihm zugestehen, dass er die Schwerkräfte richtig beschrieben hat, die an den westlichen Gesellschaften zerren". Auch für Augstein, der bei Spiegel-Online die Rolle des "Linksaußen" spielen muss, scheint sich nun diese NS-Logik, die Gegenüberstellung aus "Globalisten" und "einfachen Menschen", zu bestätigen.

Wie viel Hitler darf es denn sein? Oder, besser gefragt, sind wir nicht alle ein bisschen Hitler, wenn schon das deprimierende "linke" Elitegewächs Augstein sich mit diesen braunen Ergüssen irgendwie anfreunden kann? Darauf lief die Diskussion letztendlich hinaus: In Reaktion auf den Tagesspiegel verwies etwa eine weitere Vorfeldpublikation der AfD, der Cicero, darauf, dass selbst bei diesem sich Beiträge finden ließen, die alle mit der Globalisierung einhergehenden Verwerfungen einer Klasse von international agierenden Globalisten andichten. Der Cicero wörtlich:

"Eine ganz ähnliche Analyse findet sich in - wer hätte das gedacht? - besagtem Tagesspiegel, keine zwei Jahre vor dem Erscheinen von Gaulands Text. Dort war Gauland übrigens ebenfalls Kolumnist - vor seiner Zeit in der AfD, versteht sich."

Pseudokritik des Kapitalismus

Wie so oft bei Äußerungen der Neuen Rechten wird hier unbewusst der entscheidende Punkt bezeichnet. Der Cicero ist einer ganz großen Sache auf der Spur - ohne es auch nur zu merken. Die Mitte brütet ihren Extremismus selber aus. Die Wahnideen der Neuen Rechten haben ihren Ursprung in der Ideologie, in den Anschauungen der "Mitte" der kapitalistischen Gesellschaften - diese ideologische Nähe macht auch das Geheimnis des Erfolgs der Neuen Rechten aus. Es ist hier kein "Umdenken", kein ideologischer Bruch notwendig. Es ist bequem, nach rechts abzudriften. Der Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ist gerade deswegen so erfolgreich, weil er der Alltagsideologie so verwandt ist.

Die falsche, verkürzte Kapitalismuskritik, bei der eine antisemitisch konnotierte Globalistenverschwörung die Völker ins Unglück zu stürzen scheint, gehört seit Jahren zum Mainstream des Meinungsbetriebs - gerade weil sie eine Scheinkritik darstellt, die den Kapitalismus trotz all seiner Krisen nicht wirklich infrage stellt. Dabei werden die systemischen Ursachen der ab 2008 manifesten, strukturellen Überproduktionskrise des spätkapitalistischen Weltsystems auf eine Personengruppe projiziert.

Statt über die Zerstörungen des Kapitalismus, seine Widersprüche und Systemalternativen zu diskutieren, wird so eine dumpfe, auf Finanzmärkte fokussierte Elitekritik im Mainstream gepflegt, die das System samt seinen Widersprüchen außen vor lässt. Diese im Mainstream ansässige, verkürzte Kapitalismuskritik wird nun von den Gaulands dieser Welt instrumentalisiert.

Es ist ein Extremismus der Mitte, der in Gestalt der verkürzten Kapitalismuskritik nun um sich greift, zur ideologischen Waffe des nationalsozialistischen Flügels der AfD mutiert. Dabei hat diese längst zum Mainstream geronnene "Globalisierungskritik" ihre eigentlichen Ursprünge in der globalisierungskritischen Linken der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts. Das Narrativ der Finanzmarkt- und Globalisierungskritik, wie sie etwa bei Attac oder dem national-sozialen Flügel der "Linkspartei" jahrzehntelang gerne gepflegt wurde, weist große strukturelle Übereinstimmungen mit der nationalsozialistischen Ideologie auf. Nicht umsonst kann etwa die AfD-nahe Zeitung Die Welt sich fragen, ob Gauland nicht zu viel Naomi Klein gelesen habe - eben weil diese Pseudokritik des Kapitalismus gerade jahrelang in der globalisierungskritischen Bewegung gepflegt wurde.

Naomi Klein beschreibt etwa in dem Buch "Die Schock-Therapie" den bisherigen Krisenverlauf als eine Folge von Verschwörungen einer global agierenden neoliberalen Clique, die Krisenschübe bewusst benutzt oder gar auslöst, um ihre politische Agenda zu realisieren. Die reelle Krisendynamik, bei zunehmende innere Widersprüche des Kapitalverhältnisses immer neue Krisenschübe auslösen, wird so auf den Kopf gestellt.

In der NS-Ideologie wird dem guten, schaffenden, deutschen Industriekapital (Gauland spricht vom "Mittelstand") das böse, raffende, internationale, "jüdische" Finanzkapital gegenübergestellt. Das heißt im Umkehrschluss natürlich nicht, das alle Finanzmarktkritiker Nazis wären. Das einseitige Abwälzen aller Übel kapitalistischer Vergesellschaftung auf die Finanzsphäre oder auf eine Globallistenverschwörung kann auch durch Ignoranz oder Dummheit motiviert sein. Die deutsche Globalisierungskritik - insbesondere am rechten Rand der Linkspartei - hat aber in ihrer einseitigen Finanzmarktkritik die Reanimierung dezidiert "nationalsozialistischer" Ideologie durch die Neue Rechte erleichtert. Diese verkürzte Kapitalismuskritik, diese evident falsche Darstellung der Krisenursachen, bei der die inneren Widersprüche kapitalistischer Vergesellschaftung auf eine Eliteverschwörung projiziert werden, hat den Gaulands und Höckes den Weg bereitet. Die Kritik verkürzter Kapitalismuskritik bildet somit ein wichtiges Moment des demokratisch-antifaschistischen Kampfes.

Fazit

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung wollte mit dem Gastbeitrag Gaulands einen Prozess der Domestizierung der Neuen Rechten einleiten, um den Funktionseliten Deutschlands eine neue, autoritäre Politikoption zu eröffnen - gerade angesichts des drohenden abermaligen Krisenschubs, in dessen Gefolge die deutsche Exportkonjunktur zusammenbrechen dürfte. Gauland wiederum bot den deutschen Eliten in seinem Gastbeitrag ein krisenkompatibles Feindbild an. Sobald die Globalisierung in einem neuen Krisenschub kollabiert, wird die Neue Deutsche Rechte auf die Jagd nach der großen Globalistenverschwörung gehen, um dem Mob einen handgreiflichen Sündenbock zu liefern.

Innerhalb der deutschen Funktionseliten nimmt das Bestreben zu, sich die AfD als autoritäre politische Reserve aufbauen, sie in Krisenzeiten gegebenenfalls instrumentalisieren zu wollen. Doch es stellt sich hier nur die Frage, wer hier wen instrumentalisiert. Letztendlich degenerierte dieses Ritual in einen publizistischen "Tag von Potsdam" für das konservative Leitmedium der Bundesrepublik, das der Neuen Rechten eine Bühne für buchstäbliche NS-Ideologie bot, was die gesellschaftliche Akzeptanz des nationalsozialistischen Gedankenguts weiter erhöhen dürfte. Die Diskursverschiebung ins faschistische Extrem schreitet dank der FAZ munter voran - wenn schon die "Zeitung für Deutschland" die Paraphrasierung einer Hitler-Rede abdruckt. Die Parallelen zu den Versprechen der deutschen Konservativen, in ihrer 1933 geformten NS-Koalition binnen zwei Monaten "Hitler in die Ecke gedrückt" zu haben, bis "er quietscht", sind peinlichst evident.