Umstrittene Justizreform: Warschau macht weiter

Oberstes Gericht Polens in Warschau. Warszawa_9471.jpg:Bild: Darwinek/CC BY-SA-3.0

Gegen den Umbau des Rechtsstaats wird kaum noch protestiert

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Es war nur ein kleines Trüppchen, das sich am Donnerstagmorgen vor dem Obersten Gericht in Warschau einfand. "Verfassung" und "Freie Gerichte" skandierten die Demonstranten, die sich gegen die Nominierung von 27 neuen Richter durch Staatspräsident Andrzej Duda richtete.

Dieser hatte sich am Mittwoch gegen die Empfehlung des Obersten Verwaltungsgerichts sowie die Forderung der EU-Kommission hinweggesetzt. Seit dem 3. Juli gilt in Polen eine umstrittene Gesetzesnovelle, die Richterinnen und Richter des Obersten Gerichts nach dem 65. Lebensjahr in die Zwangspension schickt, was bereits bei 22 der Beamten von Duda umgesetzt wurde.

Die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) unter Premier Mateusz Morawiecki baut derzeit sein Justizsystem um - und sie kann dies tun, da der Staatspräsident auf ihrer Seite und die Opposition schwach ist, sowohl innerhalb wie außerhalb der polnischen Staatsgrenzen.

Aufgrund der damals noch geplanten Veränderungen im Obersten Gericht hat die EU-Kommission bereits im Dezember 2017 das Verfahren nach Artikel 7 in die Wege geleitet, an dessen Ende theoretisch der Stimmentzug innerhalb der Europäischen Union steht.

Auch liegt eine Klage der EU-Kommission bei dem Europäischen Gerichtshof gegen die Zwangspensionierungen vor. Es wird damit gerechnet, dass dieser in den nächsten Tagen von der polnischen Regierung verlangt, das Gesetz auszusetzen. Bislang hielt sich Warschau an die Entscheidungen des Gerichtshofs in Luxemburg, wie etwa beim verfügten Stopp der Abholzung des Bialowieza Nationalparks.

Doch diesmal geht es um etwas Essentielleres, um den Umbau des Rechtsstaats nach dem Willen des Parteichefs und Strategen Jaroslaw Kaczynski. Die Regierung, der der Präsident nahesteht, macht somit Nägeln mit Köpfen. "Es gibt hier nichts zu warten, wir müssen das Justizwesen reformieren", sagte Pawel Mucha, der stellvertretende Leiter der Präsidentschaftskanzlei am Donnerstag.

Nach Ansicht der PiS, die seit Herbst 2015 regiert, ist die "alte" Richterschaft eine arrogante Elite, die aus ehemaligen Günstlingen des kommunistischen Polens bestehe. Das Verfassungsgericht sowie der Landesgerichtsrat, der die oberen Richter benennt, sind bereits von regierungsnahen Richtern dominiert. Dies ist beim Obersten Gericht noch nicht der Fall, die Vorsitzende Malgorzata Gersdorf weigert sich bislang, ihren Platz zu räumen und gilt bei Liberalen als Ikone des Rechtsstaats.

Doch nun kann sie mittels der Anzahl der neuen Richter entfernt werden: Wenn 80 Juristen im Obersten Gericht tätig sind, kann ein neuer Vorsitz gewählt werden. Da die Wahl jedoch von Gersdorf ausgehen müsste, diese aber darauf besteht, dass ihre Amtszeit per Verfassung bis 2020 andauert, kann der Staatspräsident eine Person als Übergang einsetzen, welche dann die Wahl initiiert.

Nicht konforme Richter und Staatsanwälte können abgestraft werden

Zehn neue Richter arbeiten bereits seit Ende September in der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts, das neben Richtern auch Staatsanwälte mit Strafen bis hin zu einem Berufsverbot belangen kann. "Minister Ziobro hat nun alles", meint Krystian Markiewicz von der Richter-Vereinigung "Iustitia". Jetzt könten alle, die die "Demontage des Rechtsstaats nicht enthusiastisch begrüßten, unter einem beliebigem Vorwand gegrillt werden".

Die Disziplinarkammer kann Richter ihres Amtes entheben, was ihr berufliches Ende als bedeutet, denn wollten sie dann als Anwalt arbeiten, bräuchten sie das Zugeständnis des Justizministeriums. Die Kammer darf auch Staatsanwälte und Advokaten abstrafen.

Anhörungen unbotmäßiger Richter haben bereits begonnen. So muss sich vor dem Landesgerichtsrat (KRS), eine Kontrollinstanz, die bereits mit Befürwortern der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) besetzt ist, derzeit die Bezirksrichterin Ewa Maciejewska verantworten. Nach einer Erhebung des größten polnischen Richterverbands "Iustitia" sehen 90 Prozent der befragten Richter diesen in Gefahr, bereits 15 Prozent seien schon direkt politischem Druck ausgesetzt gewesen.

Während 2016 noch Hunderttausende von Polen landesweit für den Rechtsstaat auf die Straße gingen, haben mittlerweile die meisten resigniert, da sich nichts bewegt. Die PiS führt in den Umfragen. Der Gründer der größten außerparlamentarischen Oppositionsgruppe "Komitee zur Verteidigung der Demokratie" (KOD) machte sich der Unterschlagung schuldig, zudem brummt die Wirtschaft. Vor allem ältere Leute, die sich schon in den Achtzigern für die Gewerkschaft "Solidarnosci" engagierten, wirken heute in der Opposition mit.

Auf der anderen Seite scheint in Brüssel oder in Berlin der Wille zu fehlen, wirklich eine Konfrontation mit Warschau zu suchen. Zu sehr drücken aktuell der Brexit und Probleme mit der Türkei auf die politische Agenda. Bei Besuchen deutscher Politiker haben aktuell Wirtschaftsthemen Vorfahrt. Dabei sind die Veränderungen am Obersten Gericht entscheidend. Duda berief auch für die außerordentliche Kontrollkammer 19 Richter. Die Kammer verifiziert die Gültigkeit von Wahlen - diese stehen in ganz Polen in den Kommunen am 21. Oktober an.