Idlib: Die erste Frist erfüllt

Bild: Kreml

Zuversicht regiert beim Abkommen zwischen Russland und der Türkei

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Fürs Erste ist Zuversicht die Parole. "Unsere Informationen besagen, dass der Prozess voranschreitet", sagte der russische Außenminister Lawrow am vergangenen Mittwoch. Es ging um die erste Frist der Vereinbarung zu Idlib zwischen Russland und der Türkei, für welche der 10. Oktober der Stichtag war. Bis dahin sollten alle schweren Waffen aus der "demilitarisierten Zone" abgezogen sein.

Vereinbarungen erfüllt

Die Vereinbarungen würden erfüllt, gab Lawrow am Stichtag den Medien bekannt, wie Tass berichtete. Das Statement ist nicht selbstverständlich, wenn man daran denkt, wie Vereinbarungen zur Einrichtung von Waffenstillstandszonen zum Beispiel in Aleppo Ende 2016 - inklusive der Forderung des Abzugs schwerer Waffen der Milizen - zwischen Russland und den USA verliefen. Nach Goodwill-Erklärungen kam es verlässlich zum Streit zwischen Lawrow und dem damaligen US-Außenminister Kerry.

Diesmal gibt es quer durchs Nachrichtenbeet hauptsächlich Informationen, welche die Einhaltung des ersten Schrittes bestätigen. Ob The National aus den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Southfront oder gar dem Syrian Observer, um gegensätzlich kritisch orientierte Quellen zu nennen - The National ist vor allem kritisch gegenüber der syrischen Regierung, Southfront gegenüber dem publizistischen Mainstream im Westen und der Syrian Observer ist ein Oppositionsmedium - alle bestätigen in der Hauptlinie, dass die Milizen die schweren Waffen aus einer demilitarisierten Zone in Idlib zurückgezogen hätten.

Ein erster Erfolg

Das spricht für einen ersten Erfolg. Der türkische Geheimdienst MIT, der mit den Verhandlungen mit den Milizen betraut war, bestätigte den Hauptansatz Russlands für die Astana-Konferenz, die auf Distanz zu den USA ging, noch unter der Präsidentschaft Obamas. Es sollten die Außenmächte, nämlich Russland, Iran und Türkei verhandeln, die im Einverständnis mit der syrischen Regierung tatsächlich Einfluss auf dortige Entwicklungen haben.

Insofern ist auch Russland sehr daran gelegen, dass die Idlib-Vereinbarung mit der Türkei funktioniert, in Syrien hat sich Russland nicht nur eine militärische Position erarbeitet, die Lufthoheit über weite Gebiete, sondern vor allem eine prominente politische Position als Ordnungsmacht, die mehr noch als die USA zum ersten Adressaten von Wünschen wichtiger Regionalmächten im Nahen Osten, wie Israel, geworden ist. Auch der saudische König stattete vor einem Jahr einen Besuch im Kreml ab.

Dass Abmachungen mit der Türkei trotz der offen vorgetragenen Gegnerschaft Erdogans zum syrischen Präsidenten al-Assad zum Vorteil der syrischen Regierung funktionieren können, zeigte sich schon bei der Offensive auf Aleppo 2016/2017 und der Wiedereroberung der strategisch immens wichtigen Stadt im Jahr 2017. Der Feind, der für Erdogan die Priorität hat, sind die Kurden, die mit der YPG bzw. der PYG verbündet sind.

Milizen in Lauerstellung

Doch gibt es unter den oppositionellen, dschihadistischen, salafistischen, islamistischen Milizen, die gerne in einen Korb getan werden, wenn es um ihr eher zugeneigtes Verhältnis zur Türkei geht, auch solche, die auf Distanz zur Türkei gehen und auf Eigenständigkeit pochen (wenn auch der al-Qaida-Scheich Muhaysini eine Brüderschaft mit der Türkei betont, so gibt es auch Ideologen, die auf einen "pureren" Kurs setzen).

Zwar haben sich große Teile der Ahrar al-Sham, die sich mit ihrem früheren Kampfgenossen al-Nusrah-Front zerstritten haben, der Türkei angenähert, aber von den Dschihadisten unter al-Nusrah-Chef al-Golani, der die Miliz zweimal umgetauft hat, derzeit heißt seine Truppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), wird die Eigenständigkeit ihrer Ziele betont.

Entsprechend zeigt sich bei näherem Hinsehen in den Berichten zur Entwaffnung, dass die Milizen in Lauerstellung bleiben. Die Waffen seien eher versteckt worden, als dass sie wirklich entfernt wurden, so die Folgerungen aus Informationen von SOHR (Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London) und Sam Hellers, einem amerikanischer Beobachter, derzeit Mitarbeiter des Think Tanks International Crisis Group.

Mafiamethoden

Nun könnte man diese Infos damit relativieren, dass beide, SOHR wie Heller, trotz ihrer weitverzweigten Infoquellen möglicherweise gegen das russisch-türkische Abkommen voreingenommen sind, aber auch das Blog Moon of Alabama berichtet davon, dass nur bestimmte Gruppen, nämlich die "Rebellen", die von der Türkei kontrolliert werden, die schweren Waffen aus der demilitarisierten Zone abgezogen hätten. Nicht aber Hay'at Tahrir ash-Sham und die turkmenischen Milizen, die ihre Panzer und Artillerie versteckt hätten. Dabei stützt sich das Blog auf Angaben von SOHR.

Moon of Alabama berichtet auch von verdeckten Mordanschlägen im Zusammenhang mit internen Auseinandersetzungen zwischen den Milizen, die bislang schon weit mehr als 300 Todesopfer gekostet hätten.

Die nächste entscheidende Frist

Die nächste Frist des Abkommens zwischen der Türkei und Russland wird zeigen, wie viel Zuversicht angebracht ist. Nach dem Text des Abkommens sollten bis zum kommenden Montag, dem 15. Oktober alle terroristischen Milizen aus der demilitarisierten Zone abgezogen sein.

Laut Lawrow geht es nicht um ein oder zwei Tage mehr, aber bald wird nicht nur die russische Regierung Ergebnisse sehen wollen. Bislang ist noch offen, wie die Grenzen der demilitarisierten Zone innerhalb der Deeskalationszone Idlib genau verlaufen. Das könnte ähnlich wie die Waffenverstecke etwas Manövrierraum geben. Die große Frage - wohin mit den dschihadistischen, extremistischen Kämpfern ist noch ungelöst.

Aus Damaskus kommen nach wie vor Bekräftigungen, dass Idlib nur auf Zeit noch Gelände sein soll, das nicht von der Regierung kontrolliert wird.