Land statt Stadt

Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger. Foto: Leonie Rabea Große. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Optionen für eine Koalition aus CSU und Freien Wählern

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Inzwischen steht das vorläufige amtliche Endergebnis der gestrigen Landtagswahl in Bayern fest: Danach kommt die CSU auf einen Stimmenanteil von 37,2 Prozent und 85 Mandate und könnte mit den 11,6 Prozent und 27 Mandaten starken Wählern relativ bequem eine Zweierkoalition bilden, weil der Anteil der Parteien, die es nicht über die Fünf-Prozent-Hürde schafften, bei 8,6 Prozent liegt.

Ministerpräsident Markus Söder meinte noch gestern Abend, das "zum Teil schmerzhafte" Ergebnis für seine Partei (die einen Verlust von zehneinhalb Punkten hinnehmen musste) sei trotzdem ein "klarer Regierungsauftrag", weil die CSU immer noch mit Abstand stärkste Kraft im Landtag sei. Die Aussage, dass er zum Regieren nun ein "bürgerliches Bündnis" anstrebt, wird von Beobachtern als Koalitionsangebot an die Freien Wählern gewertet.

"Die letzten vernünftigen Konservativen"

Deren Chef Hubert Aiwanger hatte schon bei seiner Gillamoos-Rede (vgl. Jahrmarkt der Koalitionsangebote) Koalitionsbereitschaft mit der CSU signalisiert und damit begründet, dass das Zulassen einer schwarz-roten oder schwarz-grünen Koalition "unterlassene Hilfeleistung" sei. Gestern ergänzte er, bei den Freien Wählern gebe es "die letzten vernünftigen Konservativen" und nur mit ihnen werde es "eine bürgerliche, wertkonservative Regierung geben". Deshalb sei er überzeugt: "Die CSU wird anbeißen".

Das ist in der Tat wahrscheinlich, weil Söder praktisch keine anderen Optionen hat: Strebt er nach einer Koalition mit den Grünen, wird er sich wahrscheinlich auf die Sturzbemühungen innerhalb seiner Partei gefasst machen müssen, die er mit dem etwas besser als die letzten Umfragen ausgefallenen Wahlergebnis gerade noch vermieden zu haben scheint. Eine Koalition mit der AfD hat er vor der Wahl ausgeschlossen. Für eine Koalition mit der SPD werden möglicherweise die arg gerupften Sozialdemokraten nicht bereits sein, weil sie dann den Absturz unter die Fünf-Prozent-Hürde fürchten müssen. Und die elf Mandate der mit 5,1 Prozent recht knapp über diese Fünf-Prozent-Hürde gekletterten FDP reichen im neuen und wegen der Ausgleichsmandate 205 Sitze umfassenden Landtag nicht für eine gemeinsame Mehrheit aus.

Wird Michael Piazolo Wissenschaftsminister?

Aiwanger, dem der Münchner Merkur Ambitionen auf das Bauministerium nachsagt, hat deshalb die Möglichkeit der CSU "eine Kurskorrektur aufzwingen" (wie er es beim Gillamoos selbst formulierte) und zentrale Forderungen der Freien Wähler durchzusetzen, die die Welt als "Gegenteil der Berliner Republik" schildert.

Sie lehnen sowohl die von der CSU gewünschte dritte Startbahn am Flughafen München als auch die von den Christsozialen und fast allen anderen Parteien propagierte Nachverdichtung in Ballungszentren ab. Stattdessen wollen sie "das Land attraktiver machen". Zum Beispiel durch eine Abschaffung des Einser-Numerus-Clausus für Medizinstudenten, damit es mehr Ärzte gibt, die sich auf dem Land niederlassen. Unmittelbar umsetzen könnte das zum Beispiel der bekannte Freie-Wähler-Professor Michael Piazolo, wenn er Wissenschaftsminister wird.

Ein anderer Baustein, mit dem Aiwanger das Wohnen und Arbeiten abseits der Ballungszentren attraktiver machen will, ist ein National Roaming, bei dem Mobilfunkanbieter gesetzlich gezwungen werden, gemeinsam Masten zu nutzen (vgl. 5G: Wettbewerber fordern Zugang zu den Netzen der großen Drei). Während die Freien Wähler mit diesem Plan Wahlkampf machten, kam aus dem Bundeskanzleramt eine neue Absage an schnelles Internet auf dem Land.

Kindertagesstätten sollen dem Willen der Freien Wähler nach nicht nur in norddeutschen Ländern "kostenlos" sein, in die der bayerische Länderfinanzausgleich fließt, sondern auch in Bayern. Tatsächlich "kostenlos" wird dieses Angebot freilich nur für Eltern - nicht für Steuerzahler.

Bundesweite Auswirkungen

Interessante Auswirkungen könnten sich auch im Bundesrat ergeben, der viele Entscheidungen auf Bundesebene absegnen muss. Hier wollen die Freien Wähler - die auch wegen ihrer größeren Distanz zu Angela Merkel gewählt wurden - den Familiennachzug für nicht asylberechtigte Personen mit Abschiebehindernissen begrenzen und stattdessen Rückkehrhilfen anbieten. Dass stärkt indirekt die Wahrscheinlichkeit, dass Horst Seehofer auch nach der Wahl Bundesinnenminister bleibt. Würde er gegangen, müsste Söder jemand anderen finden, der die Aufgabe übernimmt, die Forderungen seines Koalitionspartners in Berlin vorzubringen.

Bislang waren die Freien Wähler, deren Ursprung in der Kommunalpolitik liegt, nicht im Bundesrat und (außer bei der Bundespräsidentenwahl) nicht in der Bundespolitik vertreten. Ihr Einzug in eine bayerische Regierung und in den Bundestag könnte ihnen allerdings auch außerhalb Bayerns Auftrieb verleihen: In Brandenburg, wo im nächsten Jahr gewählt wird, landeten sie in einer INSA-Umfrage im August mit vier Prozent bereits im Foyer der Sperrhürde. Und auch in anderen Bundesländern könnten Wähler, die Merkel ein Ende bereiten wollen, sich aber bei der AfD unwohl fühlen, nach einer anderen Alternative suchen.

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