Khashoggi: Korrekturen, Lügen und eine Leiche, die verschwunden ist

Jamal Khashoggi. Foto: Pomed. Lizenz: CC BY 2.0

Saudi-Arabien erklärt offiziell, dass Jamal Khashoggi in Istanbul gewaltsam durch die Hände saudi-arabischer Staatsbürger zu Tode kam. Damit ist der Fall aber nicht beendet

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Saudi-Arabien hat nun, eine Stunde nach Mitternacht auf den heutigen Samstag, offiziell eingeräumt, dass der saudi-arabische Staatsbürger Jamal Khashoggi die Vertretung seines Landes in Istanbul nicht mehr verlassen konnte, weil er dort seinen Tod fand und zwar gewaltsam, durch die Hände saudi-arabischer Vertreter.

Allein dieses Eingeständnis hat schon angesichts dessen, dass das Königreich zuvor noch erklärt hatte, Khashoggi habe das Konsulat lebend verlassen, einige Wucht, weil hier eine Lüge oder zumindest eine willentliche Irreführung herumgeistert, da die jüngste Version des Geschehens notwendigerweise darauf schließen lässt, dass die Führung über den Hergang Bescheid wissen musste.

Der Umgang mit Khashoggi ist keine kleine Geschichte, die man allein Subalternen überlassen hat Die nun ins Spiel gebrachte Version bestätigt, dass 18 Personen festgenommen wurden. Von 15 Personen, die an diesem Tag extra angereist waren, um sich um Khashoggi zu kümmern, berichteten schon die türkischen Ermittler. Man schickt nicht so einen Stab von Fachleuten, um Nebensächliches zu erledigen, und die Auftraggeber wollen dann auch wissen, wie die Sache ablief.

Politikum ersten Ranges

Der Fall Khashoggi hat sich zu einem Politikum ersten Ranges hochgeschaukelt, mit dem viele bedeutende Interessen verbunden sind (und zuletzt auch die Macht im Haus Saud). So drängt sich zwingend auf, dass die Version des Todes, die Saudi-Arabien nun verbreitet, nach Maßstäben konstruiert ist, die nach Innen Macht demonstriert und nach Außen eine bestimmte Sphäre der Öffentlichkeit beruhigen sollen. Gemeint ist diejenige, die das Beiwort "offiziell" hat.

Die Wahrheit muss gewissen Interessen den Vortritt lassen. An erster Stelle ist dabei US-Präsident Trump zu nennen, der dem saudischen Könighaus auch freundlich zunickte: "Gute erste Schritte", "good first steps", soll Trump signalisiert haben.

Die jüngste Version des Hergangs erzählt von einer Gewalttat "im Eifer des Gefechts". Es sei in der saudi-arabischen Vertretung zu einer Diskussion gekommen, die dann zu einem Kampf eskalierte, der zum Tod Jamal Khashoggis geführt hat, liest man im offiziellen Statement des saudi-arabischen Außenministeriums.

In der New York Times liest man dann wie in vielen anderen Berichten, die heute weltweit kursieren, folgende Kerngeschichte. Die 15 Männer seien mit dem Auftrag gekommen, um den "Dissidenten" Khashoggi heim ins Königreich zu holen …

Aber die Order, wonach Khashoggi zurückkommen sollte, wurde missverstanden, als sie ihren Weg abwärts in der Befehlskette machte, sagte der saudi-arabische Vertreter, es folgte eine Konfrontation, als Khashoggi die Männer erblickte. Er versuchte zu fliehen, die Männer hielten ihn auf, es gab Schläge, Khashoggi schrie; einer der Männer nahm ihn in den Würgegriff und erstickte ihn, wie der saudische Vertreter sagte.

New York Times

Wieso werden "Dissidenten" (richtiger wäre es, von einem Gegenspieler des Kronprinzen und dessen Familienzweigs zu reden) mit einem 15-Mann-Aufgebot davon überzeugt, dass sie ins Land zurückkehren sollen?

Konsequenzen

Wer wird das glauben und wie sehen die Konsequenzen aus, wenn diese Position eingenommen wird? Weiteren Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien steht nichts im Weg? Das Königreich bleibt ein verlässlicher Partner für Nato-Länder im Nahen Osten und auch große Unternehmen wie z.B. Siemens in Deutschland ändern nichts (zumal Siemens von der Trump-Administration gerade von einem Riesenauftrag im Irak ausgebootet wird zugunsten des US-Konzerns General Electric)? "Das Geschäft ist schmutzig, man muss sehen, wo man bleibt"?

Wer wird das nicht glauben und die Traute haben, das öffentlich einzugestehen - wie sehen dann die Konsequenzen aus? Welche Regierung im Nato-Verbund hat den Mut, auf Abstand zu Saudi-Arabien zu gehen? Werden sich die Vereinigten Arabischen Emirate als Konkurrent zu Saudi-Arabien in der Vordergrund spielen? Was aber ist mit der Ölmacht Saudi-Arabiens?

Wird der Jemen-Krieg, die anderen unsichtbaren viele Tausende Leichen im Keller des Königreiches, nun mit anderen Augen gesehen?

Selbst angenommen, dass sich die Regierungen zum Beispiel in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien dazu entschließen, der saudi-arabischen Version nicht ans Eingemachte zu gehen, sie ohne größere Einwände "abzukaufen", um angesichts der politischen und wirtschaftlichen Verbindungen der Diplomatie den Vorrang zu geben - wie werden die Länder mit den anderen Stimmen in der Öffentlichkeit umgehen?

Wie werden sie mit Politikern der Opposition umgehen und den Debatten, die daraus entstehen. Der genannte Bericht der New York Times erwähnt z.B. Adam Schiff, der in einem Senatsausschuss sitzt, und die Geschichte nicht glaubt. Er wird nicht der Einzige sein. Die Frage ist, wie viele sich ihm in einer Empörung anschließen.

Der russische Präsident Putin ließ kürzlich verlauten, dass er auf Details warten würde. Man habe nicht genug Informationen. Was wird er mit der neuesten Information machen?

Wird es ihm und den anderen Staatsführungen reichen, dass zwei prominente Saudis aus der Reihe der Gefolgschaft des Kronprinzen als Verwantwortliche herausgestellt werden (ohne allerdings wirklich Schlimmes befürchten zu müssen)? Putin ist gegenwärtig eine zentrale Machtstelle für die Neuordnung des Nahen Ostens, entsprechend ist auch er auf gute Beziehungen zu Saudi-Arabien angewiesen.

Putin wird wie andere auch zur Kenntnis nehmen, dass der Kronprinz Mohammed Bin Salam als Leiter der Neuorganisation des saudi-arabischen Geheimdienstes eingesetzt wurde und damit Aufpasser der Ermittlungen ist. Das ist eine deutliche Aussage über die Machtverhältnisse im Königreich.

Sicher ist aber auch, dass Putin wie die anderen großen Machtfiguren im Nahen Osten weiß, wie die Grundlage zur offiziellen Version aussieht. Das Wissen um die Leiche im Keller des Kronprinzen könnte bei Verhandlungen wichtig werden.

Wo ist eigentlich die Leiche?

Es gibt viele wichtigen Fragen, die einstweilen offenbleiben. Betrachtet man den Fall als Krimi, so ist es die Frage: Wo ist eigentlich die Leiche?

Bekanntlich gibt es eine Version zum Tathergang, wie sie von türkischer Seite in einer Art Fortsetzungsgeschichte an die Öffentlichkeit gebracht wurde. Demnach wurde Khashoggi nicht im "Schwitzkasten" umgebracht, sondern von einem Fachmann in einer Art "chirurgischen Attacke" gezielt getötet. Nach dieser Version wurde die Leiche in Koffern abtransportiert.

Die Konsequenz dieser Version ist, dass der türkische Präsident Erdogan genau Bescheid weiß, die Frage dazu lautet, was macht er mit diesem Wissen? Nach aktuellen Berichten gibt sich die Türkei nicht mit der Erklärung aus Riad zufrieden. Aus Ankara und der Regierungspartei AKP kommen Drohungen, dass die ganze Wahrheit enthüllt werden könnte.

Auch Erdogan selbst äußerte sich im Sinne, dass der Fall nicht so leicht auf die Seite gelegt werden kann. Auch das ist eine wichtige Frage des Politikums Khashoggi: Welche Karten wird der türkische Präsident noch ausspielen?