Die Flüchtlinge sind zu teuer!

Ein Kommentar zu einigen Denkfehlern in der Flüchtlingsfrage

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Es sind ja nicht nur die rechten bis rechtsradikalen Kreise, die gerne darauf verweisen, wie viel Geld der deutsche Staat ausgibt, um Flüchtlinge zu unterstützen. Damit einher geht stets die Frage: Können wir uns das überhaupt leisten? Und: Warum wird so viel Geld für Ausländer ausgegeben? Man kennt den Sermon. Nur: Es sind Fragen und Bedenken, die auch aus großen Teilen der bürgerlichen Mitte zu hören sind, auch aus SPD und CDU, mitunter auch von der FDP beziehungsweise von deren Wählern.

Dabei sollte es sich von selbst verbieten, Menschen als reine Kostenfaktoren zu betrachten und sie auf ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit zu reduzieren, denn das ist eine nicht bloß neoliberale Haltung, sondern auch eine, die ein höchst problematisches Menschenbild ausdrückt, um es mal vorsichtig zu formulieren.

Aber davon abgesehen: Die Empörung über die staatlichen Ausgaben für Flüchtlinge basiert auf mehreren Denkfehlern. Laut Statistischem Bundesamt wendete der Bund im Jahr 2017 rund 14 Milliarden Euro für "Flüchtlinge und Asyl" auf. Rund 3,69 Milliarden Euro, also ein vergleichsweise kleiner Teil davon, ging für Tansferleistungen drauf - also die Sozialleistungen, die Menschen mit Asylstatus erhalten und die deutlich unter dem ALG II-Satz liegen. Der größte Posten, die so genannte "Fluchtursachenbekämpfung", beträgt mit 6,75 Milliarden Euro fast doppelt so viel. Hierzu gehören zum Beispiel die Zahlungen an die Türkei im Rahmen des Flüchtlingsdeals, der sicherstellen soll, dass das Land die rund drei Millionen Flüchtlinge, die sich dort befinden, an der Weiterreise in die EU hindert.

Der erste Denkfehler ist die Annahme, das an Flüchtlinge gezahlte Geld sei einfach weg, wenn es einmal ausgegeben ist. In Bezug auf das in Ankara versenkte Geld stimmt das tatsächlich. Die Transferleistungen hingegen, also das Geld, das direkt bei den Betroffenen ankommt, ist in Wahrheit ein ziemlich effektives Konjunkturprogramm. Dasselbe gilt auch für andere staatliche Transferleistungen, zum Beispiel das Arbeitslosengeld II. Denn dieses Geld fließt fast komplett und ohne Umweg wieder in den innerdeutschen Wirtschaftskreislauf zurück.

Zugleich geht ein Teil davon über Verbrauchssteuern direkt wieder an den Staat. Es sind Mittel, die für Kleidung, Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs investiert werden. Das hilft dem Einzelhandel. Ebenso wie der Aufbau der Infrastruktur, der 2015 nötig wurde, um die vielen Geflüchteten unterzubringen. Geld floss an hiesige Bau- und Handwerksbetriebe, an Catering-Unternehmen, Wachdienste, Sprachschulen und dergleichen mehr.

Kurz: Jeder Euro, der aus der Staatskasse an wirtschaftlich schwache Menschen gezahlt wird, wird umgehend reinvestiert. Davon profitieren am Ende alle.

Gegen die Verluste durch Steuerbetrug und -vermeidung sind die Flüchtlingsausgaben Peanuts

Nun muss man diesen jährlichen Ausgabenblock (der voraussichtlich in naher Zukunft deutlich sinken wird, da schon 2017 nur noch rund 190.000 Flüchtlinge nach Deutschland kamen) ins Verhältnis setzen. Laut der Einschätzung von Prof. Friedrich Schneider von der Universität Linz beläuft sich die jährliche Steuerhinterziehung in Deutschland auf knapp 13 Milliarden Euro - also fast dieselbe Summe, die aktuell beim Thema Asyl aufgewendet wird.

Die EU geht derweil von einem noch deutlich größeren Schaden aus. Rund eine Billion Euro Steuerverluste pro Jahr sollen es sein - davon sollen rund 160 Milliarden Euro auf Deutschland entfallen. Hier ist allerdings nicht nur die Steuerhinterziehung mit illegalen Mitteln berücksichtigt, sondern auch die verniedlichend "Steuervermeidung" genannten Verluste - also jene Posten, die vor allem Superreiche und internationale Konzerne unter Ausnutzung legaler und halblegaler Steuerschlupflöcher beiseiteschaffen. Die Asylkosten sind im Vergleich dazu Peanuts.

Was noch wichtiger ist: Der allergrößte Teil dieses Geldes ist tatsächlich weg. Im Gegensatz zu den oben erwähnten Transferleistungen wird das durch Steuerhinterziehung und -vermeidung erschlichene Geld in der Regel ins Ausland geschafft oder zur Vermögensmehrung gebunkert und dem Wirtschaftskreislauf langfristig entzogen. Und das vor dem Hintergrund seit Jahren sinkender Unternehmenssteuern und einem Spitzensteuersatz, der ebenfalls seit Jahrzehnten nur einen Trend kennt: abwärts.

Nicht nur finanziell könnte Deutschland von Zuwanderung profitieren

Es sollte klar sein, dass Flüchtlinge und die überschaubare finanzielle Unterstützung, die sie in Deutschland erhalten, der falsche Adressat für Wut und Empörung in Hinblick auf die eingangs gestellten Fragen sind. Noch deutlicher wird das, wenn man einen Blick auf eine ZEW-Studie aus dem Jahr 2014 wirft. Sie kommt zu dem Schluss, dass Deutschland langfristig bei der Zuwanderung nicht draufzahlt, sondern profitiert - und zwar deutlich. Womit wir beim zweiten Denkfehler sind: Der Annahme, dass eine Mehrheit der Betroffenen dauerhaft Sozialleistungen beziehen und selbst nichts einzahlen wird. Tatsächlich gibt es über Jahrzehnte keine einzige Statistik zu Zuwanderungskosten in Deutschland, die diese Annahme stützen könnte.

Es ist zwar richtig, dass Zuwanderer und vor allem Flüchtlinge in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft den Staat erstmal Geld kosten. Langfristig aber kommt die überwiegende Mehrheit im Arbeitsmarkt an - und zahlt dann teils über Jahrzehnte Steuern und Sozialabgaben. Und zwar unterm Strich deutlich mehr, als sie anfangs an Transferleistungen erhalten haben: "In der Summe werden die Ausländer, die 2012 in Deutschland lebten, in ihrer verbleibenden Lebensspanne im Gegenwartswert noch 147,9 Milliarden Euro mehr an Steuern und Beiträgen zahlen, als sie an Sozialtransfers in Anspruch nehmen."

Nun wird mancher Skeptiker einwenden, dass diese Studie vor 2015 entstand und die Möglichkeit einer solch massiven Zuwanderung wie in diesem Jahr nicht im Blick hatte. Allerdings gibt es bislang keinen Grund anzunehmen, dass es in diesem Fall langfristig anders sein sollte als bisher. Im Gegenteil. Deutschland überaltert. Der demografische Wandel wird bereits heute zum Problem - dass Zuwanderung notwendig ist, um dieses Problem langfristig aufzufangen, ist unstrittig.

Die Bemühungen der Politik, die heute darauf verwendet werden, sich von den Scheinargumenten der AfD treiben zu lassen, wären sinnvoller aufgewendet, wenn man überlegen würde, wie man möglichst schnell möglichst viele der neuen Mitbürger aus der Mühle der Asylbürokratie und damit auch der persönlichen Unsicherheiten heraus - und in die hiesige Gesellschaft und den Arbeitsmarkt hereinholt.

Man könnte dann ebenfalls deutlich mehr Energie darauf verwenden, dass Steuerbetrug wie im Cum-Ex- und Cum-Cum-Skandal in Zukunft nicht mehr möglich ist. Mehr als 55 Milliarden Euro an Steuergeldern sollen die Täter erbeutet haben, und wahrscheinlich kommen sie damit sogar davon, denn die meisten Fälle sind inzwischen verjährt.

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