AKW-Neckarwestheim: Über 100 Risse in Rohren

AKW Neckarwestheim. Neckarwestheim_Kernkraftwerk_Weinberge_20061102.jpg:Bild: Thomas/CC BY-SA-2.0

Anti-AKW-Aktivisten sind wegen einer Schadensmeldung aus dem baden-württembergischen AKW alarmiert

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Die Anti-AKW-Kampagnenorganisation .ausgestrahlt berichtet von zahlreichen Rissen in Rohren im AKW Neckarwestheim 2 (Betreiber-Seite). Demnach sind mehr als 100 Rohre des Dampferzeugers, in dem die Wärme aus dem Primärkreislauf des Kraftwerks an einen Sekundärkreislauf abgegeben wird, betroffen.

Die Rohre hätten normalerweise eine Wandstärke von 1,2 Millimetern, seien aber stellenweise nur noch 0,1 Millimeter stark. Schon vor einem Jahr seien in dem AKW "punkt- und muldenförmige Vertiefungen an zahlreichen Dampferzeugerheizrohren festgestellt worden": Mehr als ein Dutzend Rohre hätten stillgelegt werden müssen.

Die Gruppe wirft dem Betreiber EnBW und dem zuständigen Umweltministerium vor, das Ausmaß der Schäden unterschätzt zu haben. Die Heizrohre in den Dampferzeugern gehörten zum radioaktiven Primärkreislauf des Reaktors. Im Betrieb müssten die Rohre einem Druckunterschied von 80 bar standhalten.Das Leck solcher Rohre stelle einen Störfall da, der sich im schlimmsten Fall zum Super GAU ausweiten kann.

Nach Darstellung der Plattform Atomsicherheit kann ein Bruch der Rohre des Sekundärkreislaufs unter unglücklichen Umständen zu einer unkontrollierten Kettenreaktion führen. Dazu müsse das Wasser aus dem Sekundär- in den Primärkreislauf eindringen und dort das mit dem Element Bor versetzte Wasser teilweise verdrängen bzw. verdünnen.

Bor fängt Neutronen ein. Geschieht dies nicht mehr im ausreichenden Maße, steigt die Zahl der in den Brennstäben von den Neutronen ausgelösten Kernspaltungen, wodurch wiederum die Zahl der Neutronen weiter zunimmt. Wird nun die Kettenreaktion nicht anderweitig unterbrochen, läuft sie schon bald aus dem Ruder.

Das baden-württembergische Umweltministerium schrieb auf seiner Seite bereits im September über den Befund: "In zwei Dampferzeugern wurden dabei bei einer größeren Anzahl von Heizrohren rissartige Wanddickenschwächungen in Umlaufrichtung festgestellt, die von der Sekundärseite ausgehen." Der Betreiber habe das als "INES 0 (keine oder sehr geringe sicherheitstechnische Bedeutung)" eingestuft.

Das Ministerium beschreibt die Bedeutung der Rohre wie folgt:

"Bei einer Undichtigkeit käme es zu einem unerwünschten Aktivitätsübertrag und Kühlmittelverlust vom Primär- auf den Sekundärkreislauf. Während des Leistungsbetriebs vor der Revision gab es aus der Betriebsüberwachung keine Hinweise auf Heizrohrleckagen."
Umweltministerium Baden-Württemberg

Das Magazin .ausgestrahlt der Gruppe gleichen Namens hat den ehemals als Ingenieur mit dem Bau und Betrieb von Atomkraftwerken beschäftigten Dozenten und Autor ("Der Störfall") Helmut J.L.Mayer zu den Schäden befragt. Mayer war Dozent an der Schule für Kerntechnik in Karlsruhe und lehrt heute Kraftwerkstechnik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim.
Auf die Frage, wie häufig Lecks im Dampferzeuger vorkommen, antwortet er:

"So selten ist das sicher nicht. Vier Dampferzeuger mit jeweils ca. 4.000 Heizrohren, jedes im Schnitt etwa 13 Meter lang, das macht 200 Kilometer Rohre, Wandstärke 1,3 Millimeter, alle einzeln angeschweißt. Die müssen teilweise Druckunterschiede von 80 bar und Temperaturschwankungen von mehreren Hundert Grad aushalten. Das ist eine erhebliche Beanspruchung. Und weil sie innerhalb der Systeme sitzen, sind sie zudem recht schwer zu überwachen."
Helmut J.L.Mayer

Der Reaktor Neckarwestheim 2 steht am Neckar in Baden-Württemberg unweit von Heilbronn. Mit einer Leistung von 1.400 Megawatt gehört es zu den größten Kraftwerken Deutschlands und ist seit Anfang 1989 am Netz. Der kleinere Reaktor Neckarwestheim 1 ist bereits stillgelegt. Sein großer Bruder kann nach dem Atomgesetz noch bis maximal Ende 2022 Strom liefern. Stilllegung und Abbau sind bereits beantragt.