Hitlers Torten

Adolf Hitler 1941 im Reichstag. Bild: Bundesarchiv, Bild 101I-808-1238-05 / CC-BY-SA 3.0

CIA stellt Geheimbericht von 1942 über den großen Diktator online

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Falls Guido Knopp Material über seinen bewährten Evergreen sucht, kann er sich nunmehr auch aus dem Online-Archiv des US-Auslandsgeheimdienstes bedienen. Vergangene Woche stellte die CIA, welche das Archiv ihres Vorgängers OSS verwahrt, ein Psychogramm über Adolf Hitler von 1942 ins Netz. Einige Medien berichteten über die Veröffentlichung, streiften allerdings vorwiegend die Boulevardthemen. Offenbar ausgelassen wurde die Frage, warum die CIA das Material überhaupt zurückgehalten hatte, obwohl darin ernsthafte Staatsgeheimnisse gar nicht enthalten sind. Historikern war das Material offenbar bereits seit 2000 zugänglich.

Deutsch-amerikanische Traditionen

Eine Erklärung für die lange Zurückhaltung dürfte in den Interessenkonflikten zu suchen sein, welche die von OSS und CIA repräsentierte US-Elite mit den Nazigrößen plagten. Historiker blenden gerne die in den 1930er Jahren enge Beziehung der rechtskonservativen Wallstreet mit Berlin aus (Blinde Flecken in transatlantischer Loge). Für ihre deutschen Mandanten richtete etwa die New Yorker Anwaltskanzlei des späteren CIA-Direktors Allen Dulles im Waldorf Astoria einen Empfang aus, um den Krieg gegen England angemessen zu feiern, den man damals auf nur drei Monate schätzte. Noch 1939 zelebrierten 20.000 Mitglieder des Amerikadeutschen Bundes den Aufstieg des Nationalsozialismus, so etwa auf einer Großveranstaltung im Madison Square Garden. Diese Bilder wirken heute so unwirklich wie eine Szene aus der TV-Serie "The Man in the High Castle".

Dementsprechend pikant war dann auch die Hauptquelle des Geheimdienstberichts, nämlich der deutsch-amerikanische Geschäftsmann Ernst Sedgwick Hanfstaengl. Der US-Bürger mit dem Spitznamen „Putzi“ war einst ein Klassenkamerad des späteren US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt gewesen. Hanfstaengl war mit US-Industriellen bestens verdrahtet und fungierte als Hitlers Auslandspressechef. Der Geschäftsmann hatte Hitler Anfang der 1920er Jahre mitfinanziert, ihn beim "Marsch auf die Feldherrenhalle" begleitet und sich während der Haft in Landsberg um seinen Schützling gekümmert. Der umtriebige Hanfstaengl hatte sich auch als Komponist verwirklicht.

Nach der "Machtergreifung" musste Hanfstaengl wegen einer Parteiintrige nach London fliehen, wo er für den eigentlich selbst ultrarechten Milliardär William Randolph Hearst eine Abrechnung mit Nazideutschland verfasste. 1942 erstellte Hanfstaengl für die USA psychologische Profile über NS-Personal und beriet hierzu US-Präsidenten Roosevelt persönlich. Dem OSS half er bei Zersetzungskampagnen, in denen man Hitler bei seinen Soldaten lächerlich machen und die Deutschen zum Aufgeben bewegen wollte. Doch nachdem Hanfstaengl seine Schuldigkeit getan hatte und seine Anwesenheit in Washington zur Presse durchgesickert war, schickte man den US-Bürger 1944 in britische Kriegsgefangenschaft.

Familiengeheimnisse

Nach Kriegsende hatten die Geheimdienste großes Interesse daran, die Rolle der US-Eliten beim Aufstieg von Nazideutschland zu vertuschen. Etliche Militärs umgarnten zudem die Deutschen, um sie für einen Krieg gegen die Sowjetunion zu gewinnen. Bei den von Moskau durchgesetzten Nürnberger Prozessen sorgten Strippenzieher wie John McCloy und Allen Dulles dafür, dass belastende Akten über deutsch-amerikanische Beziehungen verschwanden. Unerwünscht waren außerdem Berichte über die Okkultgläubigkeit von Nazis wie Heinrich Himmler, mit denen geschickte Verteidiger eine Unzurechnungsfähigkeit hätten anführen können.

Zum Narrativ vom übermächtigen wie verführerischen Monster, vor dem die USA Deutschland befreit hatten, passten weder Berichte über Hitlers amerikanische Freunde noch solche, die ihn der Lächerlichkeit preisgaben oder als Mensch erscheinen ließen. Die Folge, dass die von Hitler gewählte idealisierende Inszenierung eines bellenden wie massenhypnotischen Führers noch Generationen fortwirkte, nahm man in Kauf. Die so forcierte selektive Wahrnehmung sorgte ein halbes Jahrhundert später für ungläubiges Staunen, als Tonaufnahmen des norwegischen Geheimdienstes mit der normalen Stimme Hitlers auftauchten. Wie aus dem nunmehr online gestellten Bericht erfahren kann, pflegte das Monster sogar Opern zu pfeifen.

Die lange Geheimhaltung des hierzulande offenbar unbekannten Berichts bis zum Jahr 2000 ist schwer nachvollziehbar. Die Berichte über die privaten Gewohnheiten des Diktators sind kaum geeignet, etwa einem Führerkult das Wort zu reden, sondern wirken im Gegenteil desillusionierend. Wirklich nützliche Informationen oder brauchbares Kompromat enthielten sie nicht. Was sich der Geheimdienst von Hitlers Vorliebe für Essen und Unterhaltung versprach, bleibt rätselhaft.

Fleisch, Rum, Torte, Zigeunermusik, Zirkus und Lohengrin

Während der idealisierte Führer als Vegetarier galt, futterte er in Wirklichkeit durchaus auch mal Hühnchen und geräucherten Lachs. Dem Genuss von Bier und Wein hatte der Führer nach seiner Haft entsagt, nahm aber seinen Fünf-Uhr-Tee mit Rum. Dazu schätzte der Österreicher Baum-, Linzer-, Nuss- oder Schokoladentorte. Auch Gebrechlichkeiten kolportierte Hanfstaengl. So soll sich der einstige Frontsoldat bei einem Gasangriff ein Augenleiden zugezogen haben, das die Vorliebe des einstigen Aquarellmalers für kräftige Farben erkläre.

Der Rassist schätzte ausgerechnet Zigeunermusik, Raphsodien und Czardas von Liszt, die Traummusik von Grieg sowie die Werke von Verdi, Strauss und ganz besonders Wagner. "Tristan" soll für ihn wie eine Droge gewesen sein, Lohengrin pflegte er sogar zu pfeifen – jenen Lohengrin, den Charlie Chaplin 1940 als Musik für seine legendäre Hitler-Parodie mit dem Globus gewählt hatte.

Ähnlich frappierend ist der Bericht, dass sich Hitler über einen jüdischen Komiker scheckig lachte und bedauerte, dieser sei kein Arier. Jeden Abend sah er sich in seinem Privatkino in der Reichskanzlei Filme und Nachrichten an. Solche, die in Deutschland verboten waren, etwa wegen der Darstellung kommunistischer Demonstrationen, ließ er sich von Goebbels organisieren. Hitler schätzte pikanterweise auch einen jüdische Sänger. Sadistische Bedürfnisse stillte er mit Filmen über politische Gefangene. Hanfstaengl vermutet, dass der Staatsmann auch Pornos genossen habe.

Hitler besuchte selten Konzerte, dafür häufig die Oper, außerdem ging er gerne ins Varieté. Im Sommer 1933 besuchte der Führer Zirkusvorstellungen, erinnerte sich sogar an die Namen der Artisten einer gefährlichen Darbietung. Diesen sandte Blumen und Schokolade, außerdem trieb ihn um, wie die Verwandten wohl mit einem Unfall umgingen. Als er einmal von einer tödlich verunglückten Trapezkünstlerin las, sandte er Beileidswünsche. Hanfstaengl betont, dass es sich um eher dem Zigeunermilieu zuzurechnende Zirkusleute handelte. Raubtiernummern interessierten Hitler nur dann, wenn eine Frau in Gefahr war.

Sexgeschichten

Während seiner Haft in Landsberg pflegte sich Hitler mit seinem Knastbruder Rudolph Hess zu duzen, später allerdings achteten die Männer auf eine formale Anrede, ähnlich, wie sie dem Duce-Kult um Mussolini entsprach. Hanfstaengl spekuliert, dass sich die beiden Männer damals auch privat deutlich näher waren. Hess‘ Spitzname soll "Fräulein Anna" gewesen sein, auch soll dieser auf Bällen in Frauenkleidern erschienen sein.

Hanfstaengl deutete an, dass Hitler bereits in seiner Wiener Zeit Erfahrungen mit Homo- und Bisexualität sammelte. Das Männerheim Brigittenau, wo Hitler zeitweilig residierte, soll als Kontaktstätte für Männer bekannt gewesen sein, die sexuelle Kontakte zu jüngeren Männern suchten. Wie der Fall des SA-Chefs Ernst Röhm zeigt, wurde Homosexualität bei den Nazis anfangs geduldet. Die US-Geheimen erfuhren von Hanfstaengl, dass der Führer peinlich darauf bedacht war, nie nackt gesehen zu werden – wie man heute weiß, litt er an Hypospadie.

Eine Passage aus "Mein Kampf" deutet Hanfstaengl in der Weise, dass sich Hitler in seiner Wiener Zeit bei einer jüdischen Prostituierten mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt habe. Hanfstaengl berichtet, Hitler habe ihm einmal erzählt, die Ehe sei nichts für ihn und werde es nie sein. Ein Mann könne entweder nach der Frau beurteilt werden, die er heirate, oder nach der Art, wie er sterbe.

Größenwahn

Hitler soll während seiner Haft in Landsberg von seinem katholischen Glauben abgefallen sein. Hanfstaengl habe ihm damals das Lesen der Lutherbibel geraten, aus der Hitler damals häufig zitiert habe. Der Bibelforscher betrachtete sich offenbar als einen Messias, der Deutschland befreien werde. Er werde jedoch nicht Frieden, sondern das Schwert bringen. Von den historischen Persönlichkeiten soll Hitler vor allem von Napoleon fasziniert gewesen sein.

Auch das Sicherheitskonzept des Reichskanzlers war für den Geheimdienst von Interesse. Die ständige Gegenwart seiner Leibwächter empfand der Diktator als Gefängnis, verglich seine Situation etwa mit der des Papstes. Als riskant galten seit dem Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo vor allem Autokorsos. Hitler nahm stets auf dem Beifahrersitz Platz, um gegebenenfalls von einer kugelsicheren Windschutzscheibe zu profitieren. Personenschützer auf Trittsteigen lehnte er jedoch ab, da dies dem triumphalen Eindruck schade.

Skurril ist jene Anekdote, in der Hanfstaengl 1923 Hitler zur Rasur seines hässlichen Bärtchens riet. Hitler jedoch hatte keine Zweifel daran, dass sich seine Barttracht schon allein aus dem Grunde durchsetzen werde, weil er diesen Bart trage. Ob ihm damals Chaplins „The Tramp“ (1916) bekannt war, bleibt unklar.