Französische Kinder aus IS-Familien: "Zurück nur ohne Mutter"

Ehemalige "IS-Hauptstadt" Rakka nach der Eroberung durch kurdische geführte SDF. Foto: Voice of America / gemeinfrei

Behörden in Paris planen die Rückkehr von Kindern mit französischer Staatsbürgerschaft, deren Mütter in kurdischen Lagern in Syrien gefangen sind

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Französische Behörden erwägen, Kinder von Frauen mit französischer Staatsbürgerschaft, die sich dem IS angeschlossen hatten und nun in Nordsyrien in kurdischen Lagern gefangen gehalten werden, nach Frankreich zu holen - wenn die Mütter damit einverstanden sind. Diese sollen prinzipiell in Syrien bleiben. Entschieden werde von Fall zu Fall, so die Haltung der Justizministerin Nicole Belloubet.

"Ausreisen mit Erlaubnis der Mütter"

Aus Regierungskreisen hieß es stets, dass prinzipiell die Kinder nach Frankreich kommen könnten, die Mütter aber nicht. Die Tageszeitung Le Monde berichtet heute von diesem Lösungsansatz. Als Quelle wird ein anonymer hochrangiger Administrationsvertreter oder eine Vertreterin genannt, die oder der mit der Sache näher befasst ist.

Wörtlich ist die Rede davon, dass sich die zuständigen Stellen "in einer Phase befinden, in der man die Rückkehr von Kindern vorbereitet, deren Mütter die Erlaubnis dazu geben". Laut Quelle geht es hauptsächlich um Kinder, die jünger sind als 5 Jahre. Seit drei Monaten habe man eine "klarere Sicht" auf die Situation als zuvor.

Ungeachtet der behaupteten Klarheit der Behördensicht liefert der Le Monde-Bericht nur ungefähre Zahlenangaben. Die betroffenen Familien würden signalisieren, dass es um rund 60 Frauen gehe, von diesen sollen etwa 40 insgesamt 150 Kinder haben. Altersangaben gibt es dazu nicht; auch heißt es, dass man nur von einem Teil der Frauen den genauen Aufenthaltsort kenne - eben von denjenigen, die sich in Lagern der Kurden in Syrien befinden. Manche seit über einem Jahr.

Kurden wollen gefangene IS-Mitglieder loswerden

Das Problem ist schwierig, es gibt keine Musterlösungen. Anfang Oktober verbreitete sich auch in hiesigen Medien die Aufforderung des Außenbeauftragten der kurdischen Selbstverwaltung in Nordsyrien (Rojava), Abdul Karim Omar, an Herkunftsländer im Westen, von Kurden gefangene IS-Mitglieder zurückzunehmen, da in der Region Chaos immer möglich sei und gefährliche Gefangene fliehen könnten, "die Europa und die internationale Gemeinschaft ernsthaft bedrohen" könnten.

Auch wenn die Dringlichkeit zur Rhetorik gehört - die Kurden wollen die Dschihadisten loswerden -, so ist die Rede von der Gefährlichkeit nicht so weit hergeholt, wie jüngst Recherchen von Volkmar Kabisch, Georg Mascolo und Amir Musawy über einen Anschlagplan des IS in Deutschland nahelegten. Einer der Beteiligten "sitzt in einem Gefängnis in Nordsyrien und hofft, sobald wie möglich nach Deutschland zurückkehren zu können".

Nun fällt das Nein zur Rückkehr in solchen Fällen vergleichsweise leicht, wie generell bei Männern, die als Kämpfer am Dschihad in Syrien teilgenommen haben, selbst wenn auch das mit Schwierigkeiten verbunden sein kann. Schwieriger wird es bei Frauen, die sich dem IS angeschlossen haben - auch deutsche Behörden haben damit ein Problem, wie die Deutsche Welle Anfang des Jahres berichtete. Wie die Probleme genau aussehen, wird dort allerdings nicht konkretisiert.

Hartnäckige Ideologie

Es gäbe viele Fragen, die mit der Einstellung und der Verantwortlichkeit der Frauen zu tun haben. Sind sie gefährliche Radikale, die andere missionieren wollen? Geht es um Frauen, die ihrem Ehepartner gefolgt sind und zwar dessen religiöse Einstellung teilen, die aber im strafrechtlichen Sinn nichts getan haben? Oder haben sie sich strafbar gemacht, weil sie sich der Religionspolizei angeschlossen und damit anderen Leid zugefügt haben? Wie stellen sie sich zur Ideologie, die mit Menschenrechten nicht vereinbar ist?

Die allermeisten IS-Fanatiker - und es gehört Fanatismus dazu, für diese radikale Ideologie nach Syrien zu reisen, um entweder zu kämpfen oder ein sehr bizzarres, strenges Leben aufzunehmen - sind nach Erfahrungen, die David Thomson in seinem Buch "Les Revenants" (Die Rückkehrer) berichtet, möglicherweise enttäuscht vom IS, aber nur in Ausnahmefällen von der Ideologie, an der sie weiter festhalten (vgl. dazu auch IS-Frauen aus Raqqa: Enttäuschte Dschihad-Groupies).

Die Entradikalisierungs-Zentren, die sich in Frankreich versuchten, haben keine vorzeigbaren Erfolge.

Kinder und Gehirnwäsche

Das ist ein Hintergrund für das Nein in Frankreich gegenüber Frauen, die zum IS nach Syrien oder in den Irak reisten und nun zurückwollen. Noch schwieriger liegt die Sache bei Kindern. Politiker, auch in Deutschland, äußern sich vorsichtig, gerade wenn es um Kinder geht, die dem Kleinkindalter entwachsen sind.

Als die Medienabteilung des IS in Syrien noch im Vollbetrieb war, gab es mehrere grausige Videos mit Kindern, die vom IS Gefangene töteten, dazu Bilder von Kindersoldaten, Drill und aufgesagten IS-Lehrmeinungen.

Trennung von den Müttern

Dass die Entscheidung im Fall von Kindern, die nur dann in das Land können, deren Staatsbürger sie sind, wenn sie von ihren Müttern getrennt werden, höchst schwierig ist, muss nicht weiter erklärt werden. Effekte der oben genannte Gehirnwäsche, die Indoktrination, der die Kinder ausgesetzt waren oder noch sind, sind wohl Gründe dafür, weswegen in den französischen Behörden die Rückkehr zunächst nur von Kindern unter 5 Jahren ins Auge gefasst wird.

Selbst wenn die Mütter in die Trennung einwilligen, gebe es viele Schwierigkeiten, um die Rückführung umzusetzen, wie die Zeitung berichtet. Da die Türkei ihre Grenzen für Flüchtlinge aus Syrien ziemlich abgesichert habe, sei es schwierig die Kinder aus dem Land zu bringen.

Erklärt wird, dass das Verhältnis zwischen syrischen und irakischen Kurden von Spannungen gekennzeichnet sei, so dass auch dieser Grenzübertritt nicht leichtfalle. Zudem müssten die Papiere, besonders die Erklärung der Mutter, bei der Vielzahl der Passagen akzeptiert werden.

Die Anwälte der Mütter kämpfen weiter darum, dass auch sie nach Frankreich zurückdürfen. Bislang gab sich die französische Regierung im Grundsatz ablehnend, allerdings mit der Ergänzung, dass von "Fall zu Fall" entschieden werde. Die IS-Mitglieder sollen vor Ort vor Gericht gestellt werden, weil dort auch etwaige Straftaten begangen wurden, dazu gehört, je nach Rechtslage, schon die Mitgliedschaft zum IS.

Kinder ohne Schulunterricht in miesen Bedingungen

Allerdings ist umstritten, inwiefern die Gerichtsbarkeit in den Teilen Nordsyriens, die unter kurdischer Verwaltung stehen, anerkannt werden kann. Offiziell zuständig ist die syrische Regierung in Damaskus. Mit der dortigen Regierung hat Paris jedoch jeglichen offiziellen diplomatischen Kontakt abgebrochen (was auch zu den Grenzübergangsschwierigkeiten bei der Rückholung der Kinder beiträgt).

Einigkeit gibt es in der französischen Regierung laut den Informationen des Berichts von Le Monde hauptsächlich darüber, dass die Kinder aus den Lagern geholt werden müssen, weil ihre Situation dort unerträglich ist. Sie besuchen keine Schule und sind Gewalttätigkeiten ausgesetzt.