Bio ist eine Produktion für die verwöhnten Söhne und Töchter von Wohlstandsgesellschaften

Udo Pollmer, renommierter Lebensmittel-Experte, erklärt im Interview, warum er Fastfood aus Süditalien bevorzugt - statt Neujahrs-Diäten, Veggie-Superfood und Vagina-Gurken

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Zum Welternährungstag gab es neue Zahlen: Der Hunger in der Welt nimmt wieder zu. Gleichzeitig verkaufen sich in Deutschland zwischen Oktoberfest und der Adventszeit Diät-Bücher am besten.

"Wir Deutschen haben uns großgehungert!" - sagte die Nazi-Internatsdirektorin mit protestantischem Stolz im Romy-Schneider-Film "Mädchen in Uniform". Nachdem die Deutschen durch die kulinarisch-ästhetische Re-education nach dem WWII gelernt hatten, dass die Welt auf und um den Küchentisch nicht nur aus Kartoffeln und alemannischer "Kartoffeligkeit" (Jan Böhmermann) besteht, kehrte hierzulande erst einmal ansatzweise lukullisch-zivilisatorischer Normalzustand ein. Die Boches lernten, dass Essen nicht nur der Ernährung dient, sondern eine eklektische Kulturleistung und ein körperlicher Genuss ist - was kurioserweise seit den 80ern den angeblich typisch osmanischen Döner in einer vom türkischen Original sehr stark abweichenden Variante ja gar zum meistverkauften Imbiss in diesen nordischen Breiten werden ließ, denn nicht nur die Knoblauchsauce dazu ist in Istanbul oder Izmir völlig unbekannt.

Durch die Kaugummi-Invasion im Gefolge der GIs wurde "alles so schön zuckrig, klebrig, süß hier" (Tocotroinc). Die Verkaufszahlen von Kartoffeln sanken in den letzten Jahrzehnten tatsächlich um ein Vielfaches. In den 70ern aber verspürten so manche ob der ganzen Coca Cola, Systemgastronomie und Großkonzern-Industrialisierung eine gewisse Überfremdung durch unnatürliche Kunstprodukte.Und dutzende Lebensmittel-Skandale bis heute ließen eine essenskritische "Bewegung" entstehen, die auch barbarische Arbeitsbedingungen in den Ursprungsländern kritisierte. Während diese Arbeitsbedingungen unverändert existieren, entwickelte sich aus der Kritik am "Industrie-Essen" wiederum eine eigene Industrie - mit vermeintlich gegenkulturellem Anspruch, aber noch anspruchsvolleren Preisen für die Endprodukte.

Flankiert von den kalifornischen South Beach-Atkins-Aerobic-Diäten der 1980er und dem Follower der Fitness-Popkultur, dem fast globalen TV-Trend von Koch-Shows in den 90ern und dem aktuellen Vegan-Werbehype ist diese mittlerweile ebenso milliardenschwer mit den globalen Schwerpunkten von Produktion und Konsumtion in akademisch-"linksliberal" geprägten Schichten Kaliforniens und Mittel- und Nordeuropas - obwohl der vegane "organic"-Lifestyle ursprünglich als umfassend politisch-individualistische Lebenshaltung in den frühen 90ern aus der teils subproletarischen, radikal konsumismus- und werbekritischen Surfcore-Jugendkultur des Straight X im Großraum Los Angeles und Südkalifornien entstand.

Der studierte Lebensmittelchemiker Udo Pollmer - von der Politik-Zeitschrift Cicero zu den "wichtigsten Vordenkern der Naturwissenschaften" gezählt - war in Deutschland 1982 einer der ersten, der mit Sachbüchern wie "Iß und stirb! Chemie in unserer Nahrung" und TV-Docs wie "Schrott und Korn" (ARD) auf fragwürdige Methoden in der Lebensmittel-Industrie hinwies. Nach diversen Lehrtätigkeiten an Universitäten und in der Ausbildung von Ernährungsberatern war Pollmer lange Jahre Kolumnist des beflissenen und damals neuartigen Umwelt- und Politik-Magazins "Natur". In weiteren sehr quellenreichen Büchern, die auch im Ausland erschienen, setzte er sich mit Lebensmittel-Panschereien, populären Fitness- und Ernährungsirrtümern (u.a. in "Еsst endlich normal!"), dem Мythos Cholesterin, den PR-Fakes von Nahrungsergänzungspräparaten und dem vermeintlichen Gesundheits- und Ökologie-Kult einer hysterischen Nachrichten-Gesellschaft auseinander ("Wer gesund isst, stirbt früher"), die sich von Halbwissen nähre (zuletzt: "Don't Go Veggie!").

Seit 1995 ist er wissenschaftlicher Leiter des Euroäischen Institutes für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften und arbeitet auch als Unternehmensberater. Für Frosta entwickelte er die gesamte Umstellung aller Produktlinien, die sämtlich frei von künstlichen Aromen sind. Von der Hamburger Lebensmittelstiftung wurde er mit der Konzeptionierung des Deutschen Zusatzstoffmuseums beauftragt. Seit seinem Studium publiziert Pollmer auch in nationalen und internationalen Fachperiodika wie der Zeitschrift für Allgemeinmedizin, Agro-Industry Hi-Tech, Chemical Senses oder Migration & Diffusion, u.a. zu frühkindlicher Geschmacksdispositionierung durch das Kunstaroma Vanillin, die bereichernde Kosmopolitisierung nationaler Küchenkulturen, die Handelsgeschichte einzelner Lebensmittel oder mikrobiellen Risiken.

Pollmers Untersuchungen lösen nicht selten heftige Reaktionen von Lobby-Organisationen aus, so nach einem von ihm herausgegebenem Heft-Special zu Lebensmittelzusätzen für die Zeitschrift Öko-Test. Neben seiner Kolumne in der Branchenschrift "Catering Management" moderiert er seit nun 20 Jahren das wöchentliche ARD-Radiomagazin "Mahlzeit" . Pollmer ist engagiert in der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung, die Erstunterzeichnerin des "Unteilbar"-Demonstrationsaufrufes war.

"Unterschiedlichen physiologischen Typen dieselbe "gesunde Ernährung" zu empfehlen, erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung"

Das Oktoberfest 2018 ist Geschichte - historisch erstmals ohne neuen Bierverkaufsrekord. Die essensreiche Adventszeit aber steht bevor ... Man könnte meinen, in der westlichen Welt hätten dann wieder alle ein schlechtes Gewissen gegenüber sich selber ob ihrer saisonal gesteigerten Kalorienzufuhr. Sie auch?

Udo Pollmer: An hohen Festtagen versichert sich seit jeher gegenseitig, Anhänger desselben Glaubenssystems zu sein. Es hat den gleichen Stellenwert wie das Schmücken des Tannenbaums oder das Verkleiden zur Fasnacht, nur eben deutlich lustloser. Wem es an Einsicht fehlt, der mag seine Verehrung des allmächtigen Kaloriengottes gern zur Schau stellen. Als Naturwissenschaftler und Agnostiker bin ich da außen vor.

Wenn man dem Ton so mancher Diskussionen in der Öffentlichkeit traut, stehen die Menschen in den Industrieländern ja alle kurz vor schweren Krankheiten, weil sie fast alle falsch essen. Ist das so?

Udo Pollmer: Wer das nötige Einkommen hat, wird leicht Beute der Schakale im Gesundheitswesen. Dazu stilisiert man allerlei Missbefindlichkeiten zur drohenden Krankheit hoch. In Deutschland gibt es laut Google schon zwei Dutzend "Volkskrankheiten Nummer 1". Je mehr Angst die Menschen haben, desto leichter kann man sie als Patienten abfischen. Dann lassen sie sich wie eine Weihnachtsgans ausnehmen.

Der Hinweis auf "ungesunde Ernährung" löst bei vielen Menschen Schuldgefühle aus. Sie entfalten zerstörerische Kräfte. Übrigens: In meiner Kindheit bekamen Männer, die sich zum Hausarzt verirrt hatten, gewöhnlich vom Arzt den Ratschlag, weniger Sex zu haben, denn der schwäche den Körper. Die damals populäre Idee vom Rückenmarksverlust ist um nichts absurder als die moderne Vorstellung, "Fast Food" führe zu den üblichen "Volkskrankheiten Nr.1".

Eigentlich können ja auch nur Menschen oder Tiere gesund sein, aber nach sprachlicher Definition ein Lebensmittel nicht, höchstens gesundheitsfördernd o.ä. Aber woher soll der dumme Durchschnittsbürger denn nun erkennen, was gesundheitsfördernd ist?

Udo Pollmer: Das ist eigentlich ganz einfach: Jene Lebensmittel, denen unsere Ernährungsdamen alle Krankheiten dieser Welt an den Hals dichten, können Sie problemlos essen, solange Sie Appetit darauf haben und auch vertragen. Aber sobald eine ungeliebte Speise das schmückende Beiwort "gesund" trägt, halten Sie lieber Distanz. Essen muss bekömmlich sein, weil Unbekömmliches niemals "gesund" sein kann.

Und lebt jemand wirklich besser oder länger, wenn er auf sein Salat-Dressing verzichtet? Braucht man wirklich Obst und Gemüse? Schließlich gibt es keinen bekannten Fall, dass Leute an täglicher Tiefkühlpizza mit Salami verstorben sind ...

Udo Pollmer: Da passt ein Exkurs in die Evolution des Menschen: Nomaden sind auf tierische Lebensmittel eingestellt. In den Savannen Afrikas oder der Eiswüste der Arktis gedeihen kaum essbare Pflanzen. Dieser Personenkreis wird von Pflanzenkost krank. Pflanzen enthalten, da sie nicht weglaufen können, gewöhnlich Abwehrstoffe, sog. Antinutritiva. Ihre Aufgabe besteht darin, dem Fraßfeind den Appetit zu verleiden und seine Gesundheit spürbar zu schädigen, damit er sich an Konkurrenzpflanzen gütlich tut.

Die Aufgabe, diese Abwehrstoffe zu entgiften, übernehmen in unserem Körper die Sulfotransferasen. Ihre eigentliche Aufgabe besteht allerdings darin, Stresshormone abzubauen, wenn die Gefahr vorüber ist. Eine dauerhafte Anflutung dieser Hormone führt über kurz oder lang zum metabolischen Syndrom. Bei Nomaden reichen die Sulfotransferasen gewöhnlich nur zum Abbau der körpereigenen Stresshormone. Müssen diese Transferasen Pflanzenstoffe entgiften, bleiben die Stresshormone unbehelligt und schädigen den Organismus. Auch in den westlichen Industrienationen gibt es genug Menschen mit dieser Nomaden-Genetik.

Jäger und Sammler, bzw. deren Nachfahren sind besser an Pflanzenkost angepasst. Ihr Körper produziert so viel Sulfotransferasen, dass diese sowohl zum Entgiften als auch zum Stressabbau ausreichen. Um jedoch Stärke in größerer Menge zu vertragen, bedarf es weiterer genetischer Voraussetzungen. Die Menschen, die an den Ackerbau angepasst sind, verfügen über einen präabsorptiven Insulinreflex und aktivere Amylasen. Diesen ganz unterschiedlichen physiologischen Typen - die hier stark vereinfachend skizziert wurden - ein und dieselbe "gesunde Ernährung" zu empfehlen, erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung.

Wissenschaftliche Studien ergeben nach Meinung vieler ja eh immer nur das, was sich der bezahlende Auftraggeber als Ergebnis wünscht? Gibt es dann überhaupt wahre und klare Erkenntnisse, da ja auch der akademische Betrieb in Europa durchökonominisiert ist und es immer politisch-strukturelle Verbindungen in Institutionen gibt, aber auch in vermeintlich neutralen, eher linken NGOs?

Udo Pollmer: Früher haben Staat und Wirtschaft vorgegeben, was bei kritischen Themen veröffentlicht werden durfte und was nicht. Seit Jahren sind die Daten, die die Industrie abliefert, zumindest in Deutschland belastbar, wenn auch nicht immer vollständig. Wissenschaftlich wertlos sind viele Publikationen der NGO. Die dienen gewöhnlich nur zum Beschmieren der Leimruten, damit mehr Spendengelder kleben bleiben. Die bemühen sich schon gar nicht mehr um den Anschein von Wissenschaftlichkeit oder Seriösität.

Und wie bewerten Sie dann Organisationen wie die WHO?

Udo Pollmer: WHO und FAO sind hilfreich, solange sie sich Problemen wie der Bekämpfung des Hungers oder der Verbesserung der Hygiene in Ländern der 3.Welt widmen. Inzwischen zielt man eher auf das Geld der Menschen in den Industrienationen. Denen wollen sie Medikamente verkaufen, die keiner braucht, man denke nur an die sinnlose Vogelgrippe-Impfung vor einigen Jahren.

Just follow the money … Die Lebensmittelindustrie ist die milliardenstärkste der Welt, aber auch mit den Abermilliarden, die weltweit in "Gesundheits"-Kampagnen ausgegeben werden, könnten wohl der Hunger und Armutskrankeiten global abgeschafft werden. Agenturen, Funktionäre, Campaigner - alle leben sehr gut davon, nur die Betroffenen nicht. Muss man sich mittlerweile einfach nur selber das Label "sozial" geben, um über jede Kritik und die kritische Nachfrage nach den real positiven Auswirkungen des eigenen Tuns sakrosankt erhaben zu sein?

Udo Pollmer: So ist's. Offenbar haben diese Gruppen im Hintergrund Gönner. Auch "umweltbewusstes", "soziales" und "gerechtes" Treiben kann unerwartete Folgen zeitigen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Das Internet hätte ja ganz allgemein ein globales Zeitalter universaler Aufklärung für jeden einläuten können. Jeder kann gegensätzliche Informationen divers gegenchecken und den wahren Gehalt herausfiltern. Kurioserweise aber befördert es den Wahnsinn … Kann es sein, dass die Menschen gar nicht klug und vernünftig werden wollen - selbst, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu schenkt?

Udo Pollmer: Die Internet-Unternehmen sind nicht dazu da, Suppe an die Armen zu verteilen. Wenn die Verbreitung von Unsinn, von gefährlichen Unsinn, wie im Falle der Ernährungspropaganda, mehr einbringt, als Hilfreiches und Rettendes, dann geht das Geschäft vor. Jeder Schaden, der entsteht, ist für andere von Nutzen. Man hat damit ein Instrument geschaffen, das die Begehrlichkeiten aller weckt, die unsaubere Ziele verfolgen. Der Bürger ist Nutzer des Internets, nicht Eigentümer, und er bezahlt für die Leistungen meist nicht. Hier gilt die alte Regel: Wenn der Kunde für eine Leistung nicht bezahlen muss, ist er selbst die Ware. Zu verschenken hat niemand etwas.

Gerade beim Alltagsthema Ernährung hypen angeblich unkommerzielle Influencer permanent neue Must haves, die schon beim ersten Anschein völlig absurd sind wie Superfood oder der Mega-Trend "leichte Mittelmeerkost", der mit dem wirklichen deftigen Essen der Menschen in Marokko, Israel, Andalusien, Katalonien oder Neapel Null übereinstimmt - und es wird ein Milliardengeschäft … Da fällt einem fast schon ein Satz von Goebbels ein, wonach eine Lüge nur groß genug sein muss, damit die Menschen sie auch glauben!?

Udo Pollmer: Na bitte! Weil den Veganerinnen das Grünzeug schon zum Hals rauskommt, stecken sie sich die Gurken nun in die Vagina, nicht nur, um diese durch geschickte Bewegungen zu "reinigen", sondern auch, um so "Vitamine und Mineralstoffe" aufzunehmen. Mit dieser debilen Idee haben vegane Influencer einen Volltreffer gelandet. Andere haben angefangen, weil es Celebrities vorgemacht hatten, den Mutterkuchen, d.h. die menschliche Nachgeburt, zu essen, es mangelt im Internet nicht an Rezepten. Statt Bratwurst gibt's jetzt halt "Kuchen" von Muttern. Wir streben also wieder dem Kannibalismus zu. Das ist dann echtes Superfood, denn der Mensch enthält logischerweise alles, was der Mensch braucht. Manchmal bleibt einem nur noch der Sarkasmus.

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