Brasilien: Militär in Regierung, soziale Bewegung "terroristisch"

Jair Bolsonaro (September 2018). Bild: Jeso Carneiro/CC BY-NC-2.0

Nach der Wahl des Rechtsextremisten Jair Bolsonaro droht eine massive Zuspitzung der politischen und sozialen Auseinandersetzungen

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Nach der Wahl des Rechtsextremisten Jair Bolsonaro zum neuen Präsidenten von Brasilien am Sonntag zeichnen sich die ersten Grundzüge seiner Regierungs- und Personalpolitik ab. Nach Angaben brasilianischer Medien will der 63-Jährige mindestens vier Militärs in sein Kabinett aufnehmen. General Augusto Heleno soll Verteidigungsminister werden, Oberstleutnant Marcos Pontes soll das Wissenschaftsressort leiten. Auch die Ministerien für Infrastruktur und Bildung sollen Armeeangehörigen unterstehen.

Bolsonaro, der sich mehrfach als Anhänger der Diktatur (1964-1985) geoutet hat, setzt damit auch in der Personalpolitik auf eine Militarisierung der Innenpolitik und eine neue radikale Frontstellung gegen soziale Bewegungen.

Bolsonaro hatte am Sonntag die Stichwahl um das Präsidentenamt gewonnen. Nach Auszählung von 99,85 Prozent der Urnen kam er auf 55 Prozent der gültigen Stimmen. Der Kandidat der Arbeiterpartei, Fernando Haddad, erhielt dementsprechend 45 Prozent. Der Wahlsieg des Rechtsextremisten bedeutet für die brasilianische Demokratie eine Zäsur. Der Hauptmann der Reserve hat angekündigt, das Land von politischen Gegnern zu "säubern".

In einem ersten Interview mit dem Privatsender RecordTV äußerte sich Bolsonaro auch zu seinen im Wahlkampf angekündigten Vorhaben wie einer Liberalisierung des Waffenrechtes und einer Verschärfung der Politik gegenüber sozialen Bewegungen. Vor allem von der Landlosenbewegung MST und der Bewegung der Obdachlosen in dem von massiven sozialen Gegensätzen geprägten Land dürften diese Stellungnahmen mit Sorge aufgenommen werden. Landbesetzungen durch die MST-Bewegung will Bolsonaro künftig nicht mehr akzeptieren und als Terrorismus verfolgen lassen. Er werde weder mit der Landlosenbewegung noch mit der Bewegung der obdachlosen Arbeiter Gespräche führen, sagte er gegenüber RecordTV. "Jede Aktion von MST und MTST wird als Terrorismus beurteilt werden. Das Privateigentum ist heilig", so Bolsonaro.

Eher Duterte als Trump

Die ersten Schritte des designierten Präsidenten scheinen die Befürchtungen vor einer gewaltsamen Zuspitzung der politischen und sozialen Kontroversen in dem südamerikanischen Schwellenland zu bestätigen. Um die Tragweite der Wahl vom Sonntag zu verstehen, müssen Herkunft, Ideologie und Bündnispolitik des ultrarechten Politikers gemeinsam betrachtet werden.

In westlichen Medien wurde Bolsonaro in Anlehnung an den US-Präsidenten wiederholt als "Trump Brasiliens" bezeichnet. Diese Parallele stimmt insofern, als auch Bolsonaro parteienpolitisch lang als Außenseiter galt und in seiner fast 30-jährigen Parlamentszugehörigkeit mehr durch Provokationen als durch Sacharbeit von sich reden machte.

Auch der massive Rückgriff auf Fake-News gleicht dem Vorgehen der Alt-Right-Bewegung in den USA. Vor allem über Whatsapp-Gruppen wurden wilde Verschwörungstheorien über die linksgerichtete Arbeiterpartei und ihren Kandidaten Haddad verbreitet, wie ARD-Südamerika-Korrespondent Ivo Marusczyk berichtete: "Haddad befürworte Inzest und Pädophilie. Er fahre einen Luxus-Sportwagen und plane eine kommunistische Diktatur ohne jede Moral. Haddad wolle alle Kirchen verbieten, das Vermögen aller Brasilianer beschlagnahmen. Und seine Vize-Kandidatin sei der Meinung, Jesus sei Transvestit."

Ein genauerer Blick auf das Weltbild des 63-Jährigen aber zeigt, dass er eher dem philippinischen Autokraten Rodrigo Duterte gleicht als dem amtierenden US-Präsidenten. Bolsonaro sieht sein rechtsextremes Weltbild von Gott bestätigt und stützt sich auf evangelikale Strömungen, die in Brasilien zuletzt massiv an Macht gewonnen haben. Die politische Linke innerhalb und außerhalb des Parlamentes bezeichnet er als "rote Verbrecher", die es zu "beseitigen" gelte. Weitere Beispiele von Bolsonaros Ausfällen hat die brasilianische Journalistin Elaine Brum für die britische Tageszeitung Guardian zusammengetragen:

- "Ich hatte vier Söhne, aber dann hatte ich einen schwachen Moment und unser fünftes Kind wurde ein Mädchen." - "Ich werde Sie nicht vergewaltigen, weil Sie sehr hässlich sind" (zu einer oppositionellen Parlamentsangeordneten).

- "Ich würde es bevorzugen, dass mein Sohn bei einem Autounfall stirbt, ehe er mit einem Typen als Date auftaucht."

- "Ich bin für Folter, so wie die Bevölkerung auch."

- Zu den Quilombolas, den Nachkommen aufständischer afrikanischer Sklaven: "Sie machen überhaupt nichts. Ich glaube, sie sind noch nicht einmal mehr für Nachwuchs zu gebrauchen."

- "Sie können sich sicher sein, wenn ich Präsident werde, wird es kein Geld mehr für NGOs geben. Wenn es nach mir geht, wird jeder Bürger eine Waffe zu Hause haben. Und es wird keinen Zentimeter mehr für Indigenengebiete oder Quilombolas geben." (Quelle)

- "Sie werden in diesem Land nichts mit Wahlen verändern - gar nichts. Leider kann man die Dinge nur über einen Bürgerkrieg verändern, indem die Arbeit erledigt wird, die das Militärregime (Diktatur) nicht erledigt hat. Indem 30.000 Leute umgebracht werden, beginnend mit FHC (Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso). Umbringen. Wenn ein paar unschuldige sterben, geht das schon okay." (Quelle)

Wahl Bolsonaros ist Ergebnis eines schleichenden Putsches

Dass Brasilien nun in die Hände eines rechtsextremen Hardliners gefallen ist, ist auch das Ergebnis eines schleichenden Putsches unter dem Deckmantel der Rechtsstaatlichkeit. Begonnen hatte dieser Staatsstreich im August 2016 mit der Absetzung von Ex-Präsidentin Dilma Rousseff. Das Verfahren gegen die PT-Politikerin wurde mit Regelverstößen beim Umgang mit Staatsgeldern begründet.

Rousseff und hochrangige Juristen verweisen darauf, dass auch vorherige Regierungen in ähnlicher Weise in den Haushalt eingegriffen haben. Zudem wurden die Haushaltstricks, die Rousseff nach dem Überlaufen ihres Vizepräsidenten Michel Temer ins gegnerische Lager das Amt kosteten, nach ihrer Absetzung umgehend legalisiert. Tatsächlich spricht vieles dafür, dass Rousseffs Gegner sie gestürzt haben, um selbst Korruptionsermittlungen zu entgehen - ein Großteil der Abgeordneten sah sich selbst Ermittlungen ausgesetzt (Brasiliens korrupte Bonzen setzen zum Putsch an).

Das zweite Kapitel im Parlaments- und Justizputsch gegen die lange regierende Arbeiterpartei war der Prozess gegen Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und seine folgende Inhaftierung. In einer Aufsatzsammlung trugen Experten Dutzende Manipulationen und Verfahrensfehler zusammen. Der Jurist Jacson Zilio von der Bundesuniversität des Teilstaates Paraná (UFPR) konstatierte "schwere juristische Probleme" im Ermittlungsverfahren und dem folgenden Prozess. "Eines der größten Probleme sind die juristischen Defizite in diesem Prozess und der Missbrauch des Strafrechtes zu politischen Zwecken", sagte Zilio. Er sieht den demokratischen Rechtsstaat in Gefahr, "weil Strafprozesse sowie Verfahren im rechtlichen Ausnahmezustand durchgeführt werden".

Auch in Deutschland gab es durchaus Kritik an dem Lula-Verfahren. Die ehemalige SPD-Justizministerin (1998-2002) Herta Däubler-Gmelin bezeichnete den Prozess als Teil eines "sozial- und wirtschaftspolitischen Rollbacks". Und in der Tat: Ohne die umstrittene Inhaftierung von Lula, der die Umfragen lange anführte, wäre Bolsonaro kaum Präsident geworden. Der Dank kam umgehend: Bolsonaro kündigte an, Ermittlungsrichter Sergio Moro, der Lula da Silva in den Knast brachte, zum Justizminister zu machen.