"Get Snuggly!"

Drogen, Aerobic, Selbsthass: Garstige Wahrheiten hinter der täglichen Fassade. Ein Lagebericht

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Der globale Kapitalismus ist als "gewaltiger Zerstörungszusammenhang" (so zuletzt Milo Rau) beschrieben worden, in dem bedingungslose Produktivität als oberstes Ziel gilt. Uns interessiert der menschliche Faktor, anders gesagt: die Frage, wie Menschen mittels Formen neuzeitlicher Gängelei, dazu gehört auch Angst, in eine Welt zunehmender Monotonie eingepasst werden - ein Aspekt unter vielen, wie Ausbeutung organisiert ist.

Exposition, E313: Rasender Stillstand

Josef Beuys ließ sich 1980 auf einer Rückfahrt von Gent/Belgien in einer Autobahnraststätte bei Antwerpen, die brückenartig über die Fahrspur der E313 ragt, mit einer spezifischen Geste, als bediene er einen übergroßen Schalter, vor einer der oberen Fensterfronten stehend fotografieren - wenige Meter unter ihm der unduldsame, Tag und Nacht fließende Verkehr -, und nannte das fertige Bild "Der Mann am Haupthebel".

An einem Un-Ort wie diesem - Paul Virilio, der am 10. September in Paris gestorbene große Analyst des Phänomens Geschwindigkeit, würde wohl sagen: "Rasender Stillstand" - ein widerständiges Signal oder vielmehr Ausdruck einer Utopie (oppositional), nämlich des Wunsches nach Rückgewinnung der Kontrolle über das sinnlose Weltgetriebe (WER eigentlich ist am Schalter?), vielleicht ja die Suche nach einem Zipfelchen Sinn und Verstand?

Wir sind Tag für Tag ungefragt Teil, oder anders: Objekt der Maschinerie, und neuesten Meldungen zufolge sind wir sogar real dabei, nach und nach zu verdummen. Der verbreitete haltlose Optimismus der Angepassten sorgt zu allem Überfluss noch dafür, dass wir uns mehrheitlich in der Regel "informiert" und "frei" fühlen.

Auch dafür gibt es einen ganz bestimmten Grund, eine Einpassungsform. György Konrád schrieb: "Der unmittelbare Gehorsam wird durch die subtileren Spielregeln der Loyalität abgelöst." In unseren Tagen - süchtigen Tagen einer Weltmaschine, die vom zirkulierenden Geldstrom angetrieben wird - läuft die Sache im Prinzip nicht (jedenfalls nicht allein) über Befehl und Diktat (äußerer Zwang), sondern über Loyalität und sogar Begeisterung (implantierte Ergebenheit): Die Sklaven von heute sind glückliche Sklaven. Und "aufgeklärte" noch dazu.

Tod durch Arbeit

Arbeit im Kapitalismus, so das Autorenteam Cederström/Fleming, hat sich derweil zu einer unentrinnbaren und alternativlosen Totalität aufgebläht: "Auch die Unbeschäftigen und selbst Kinder können sich der Obsession nicht entziehen", und weiter:

Ob im Büro, dem Callcenter, am Serviceschalter, in der Kreativindustrie, in Verkaufsräumen oder Warenlagern, Leben scheint weit weg zu sein.

Carl Cederström / Peter Fleming: Dead Man Working. Die schöne neue Welt der toten Arbeit. Berlin 2013

Die Totalität erlaubt keine Ausnahme. Vermeintliche Auswege, Fluchtwege sind Hirngespinste, sie sind nicht echt. Sie sind es deswegen nicht, weil sie vom System schon mitgedacht sind - mit-gedacht und mit-verwaltet. Im solchermaßen "traurigen Materialismus" können sich die Teilnehmer nur in künstliche Zonen von "Freizeit" (aber nicht Freiheit) begeben, diese bieten bloß "kurze Fluchten aus einer Gesellschaft ohne Sinn" (Cederström/Fleming). Am Ende seiner Kräfte, sucht der moderne Sklave Zuflucht zu "Drogen, Selbsthass, Aerobic und Selbstmord". Übertrieben?