Vorgehen gegen kurdische Vereine und Unterstützer: Angriff auf die Pressefreiheit in Deutschland

Die Durchsuchung der Berliner Räume von Civaka Azad im Juni 2018. Bild: NAV-DEM e.V., Presseerklärung

Civaka Azad: Das kurdische Zentrum beklagt rechtlich äußerst fragwürdige Maßnahmen

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Wenn es um die Kriminalisierung oder Einschränkung der kurdischen Organisationen oder kurdischstämmigen Bürgern geht, ist Deutschland "Spitzenreiter" in Europa. Kein anderes Land belegt kurdische Demonstrationen oder kulturelle Veranstaltungen wie z.B. das kurdische Neujahrsfest Newroz mit derart rigiden Auflagen, dass von der hoch gelobten Versammlungs- und Meinungsfreiheit nicht mehr viel übrig bleibt.

Auch mit der Pressefreiheit scheint man es in Deutschland mit den Gesetzen bezogen auf die kurdische Community bzw. die kurdische Berichterstattung nicht so genau zu nehmen, wie diese Woche der Fall des kurdischen Informationsbüros Civaka Azad auf verstörende Weise in Berlin zeigte.

Kriminalisierung von Kurden und deren Sympathisanten

Der Freistaat Bayern spielt beim Thema Kriminalisierung von Kurden und deren Sympathisanten eine besonders unrühmliche Rolle. Seit geraumer Zeit verfolgt die Münchner Polizei und Staatsanwaltschaft deutsche und kurdische Bürger, die sich solidarisch mit den Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ, den Bündnispartnern der Anti-IS-Koalition in Nordsyrien, erklären.

Kein anderes Bundesland geht derart rigide gegen die linke kurdische Bewegung und ihre Sympathisanten vor. Prominentes Beispiel ist der Fall des Münchner Kommunikationswissenschaftlers, Buchautors ("Die Kurden", vgl. Ein Staat, eine Sprache, eine Nation - und die Kurden) und Journalisten Kerem Schamberger. Gegen ihn wurde in Bayern Anklage erhoben wegen des Zeigens der Symbole von den YPG/YPJ. Auf seiner Facebook-Seite berichtet Schamberger über seine Anklage:

Mir wird in fünf Fällen vorgeworfen, auf Facebook Symbole der Frauenverteidigungs- und der Volksverteidigungseinheiten YPJ/YPG sowie der Partei der Demokratischen Einheit PYD veröffentlicht zu haben. Mir wird in vier Fällen das Tragen von YPG/YPJ-Fahnen auf Demonstrationen vorgeworfen.

Bei den Protesten gegen die Nato-Kriegstagung im Bayerischen Hof im Februar 2018 wurde ich dabei kurzfristig in Gewahrsam genommen.

Mir wird Diffamierung einer Polizeibeamtin vorgeworfen, weil ich sie in einem Facebook-Post als Person mit "türkisch-nationalistischer Gesinnung" bezeichnet hatte. Es handelte sich um eine Beamtin mit türkischer Herkunft, die an der Hausdurchsuchung beteiligt war und um 6 Uhr in der Früh in meiner Wohnung stand. Sie ist bekannt für ihre türkisch-nationalistische Gesinnung. Genau wie Seehofer für seine deutsch-nationalistische Gesinnung bekannt ist.

Mir wird Whistle-Blowing vorgeworfen, (a) weil ich den Durchsuchungsbeschluss der Staatsanwaltschaft für meine Wohnung auf Facebook geschwärzt (!) geteilt habe und (b) weil ich den richtungsweisenden Beschluss des Amtsgerichts Aachen, von einer Verfolgung von YPG-Symbolen abzusehen, ebenfalls auf Facebook geschwärzt (!) veröffentlicht habe. Mir wird ein Foto in der Abendzeitung München vorgeworfen, auf dem ich die Fahne der Anti-IS-Kämpfer*innen hochhalte.

Kerem Schamberger

Auch der 80-jährige Friedensaktivist Klaus Schreer ist angeklagt, weil er ein Bild von Abdullah Öcalan in der Hand gehalten hat. Ein derartiges Vorgehen erinnert stark an türkische Verhältnisse, wo ebenfalls hochbetagte Frauen und Männer ohne Beweise wegen Terrorpropaganda angeklagt werden.

Abgesehen davon, dass in keinem Bundesland die Fahnen von YPG/YPJ per se verboten sind - Gerichte hatten derartige Versuche seitens der Polizei mit der Begründung abgelehnt, man müsse schon beweisen, dass diese Fahnen als Ersatz für die Fahnen der in Deutschland verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK benutzt wurden, ist das Symbol der nordsyrischen Partei PYD erst recht nicht verboten. Es scheint, als ob die bayerische Polizei etwas Nachhilfe benötigt.

Nachträgliche richterliche Legitimation einer illegalen Bürodurchsuchung

Berlin scheint sich allerdings auch alle Mühe zu geben, Bayern den Rang beim repressives Vorgehen gegen kurdische Organisationen abzulaufen. Dazu wird dann schon mal zu rechtlich äußerst fragwürdigen Maßnahmen gegriffen. So geschehen beim Berliner Kurdischen Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit Civaka Azad.

Am 13. Juni dieses Jahres wurden umfangreiche Hausdurchsuchungen in kurdischen Vereinen und bei kurdischen Aktivisten durchgeführt. Für diese Durchsuchungen lagen Durchsuchungsbefehle vor. Die Büroräume des Öffentlichkeitsbüros Civaka Azad wurden jedoch ohne Durchsuchungsbefehl oder sonstige richterliche Anordnung durchsucht, wie an dieser Stelle berichtet wurde (siehe Deutsche Wahlkampfhilfe für Erdogan in Berlin?).

Aber nicht nur dass es eine rechtswidrige Durchsuchung gab. Die bewaffneten und maskierten Polizisten begingen auch noch Sachbeschädigungen, indem sie die Eingangstür des Büros zerstörten und die Räumlichkeiten verwüsteten. Darüber hinaus beschlagnahmten sie ohne richterliche Anordnung, also rechtswidrig zwei PCs und Datenträger. Als der Vorfall durch die Medien ging, wurden "Fehler" eingeräumt.

Fragwürdige Methoden

Die scheint man nun mit fragwürdigen Methoden ausbügeln zu wollen: Am 30. Oktober bekam das Büro eine E-Mail vom Berliner Landeskriminalamt mit der Aufforderung, binnen zwei Tagen die Passwörter der beschlagnahmten Computer herauszugeben - man hätte nun die richterliche Bestätigung. Was bedeutet: "ich zerstöre erst mal, beschlagnahme erst mal ohne Legitimation, denn die hole ich mir dann problemlos hinterher". Wenn das mal nicht an das Vorgehen der Polizei in der Türkei erinnert, wo Gerichte ebenfalls im Nachhinein Rechtswidrigkeiten von Militär und Polizei legitimieren.

Das Vorgehen bei Civaka Azad ist auch für den deutschen Journalismus pikant und sollte schleunigst auf den Schreibtisch des Berliner Innensenators und des grünen Justizsenators. Das Öffentlichkeitsbüro ist selbst journalistisch tätig und arbeitet mit vielen Journalisten und Redaktionen Deutschland- und europaweit zusammen. Viele Journalisten beziehen ihre Informationen aus den Veröffentlichungen des Büros.

Die Mitarbeiter stehen allen Redaktionen bei Nachfragen zur Verfügung. Auch Politikerinnen und Politiker der im Bundestag vertretenen Parteien stehen im Kontakt mit dem Informationsbüro und greifen auf das fundierte Wissen der Mitarbeiter des Büros zurück. Das Vorstandsmitglied von Civaka Azad, Mako Qocgiri erklärt zu dem schwerwiegenden Eingriff in die Pressefreiheit:

Wir hatten bereits nach der Razzia erklärt, dass durch die Beschlagnahmung den Sicherheitsbehörden die Möglichkeit eröffnet wird, rechtswidrig Zugriff auf unser redaktionelles Datenmaterial zu erhalten. Die heutige Aufforderung der Polizei die Kennwörter der PCs zu übermitteln, damit eine Datensicherung erfolgen könne, bestätigt unsere damaligen Befürchtungen.

Diese Praxis greift in besonderem Maße in die vom Grundrecht der Pressefreiheit umfasste Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit ein, als auch in das Vertrauensverhältnis zu Informanten.

Darüber hinaus weisen wir ausdrücklich darauf hin, dass wir bis heute keine richterliche Bestätigung der Beschlagnahmung erhalten haben. Die heutige Anfrage der Polizei stellt für uns somit einen Skandal dar.

Mako Qocgiri, Vorstandsmitglied von Civaka Azad

Civaka Azad veröffentlicht das E-Mail des Berliner LKA in voller Länge. Dort ist zu erfahren, dass bei Durchsuchungsmaßnahmen in den Räumlichkeiten des Vereins unter anderem "2 Tower-PC's(!) beschlagnahmt" wurden.

In den folgenden Sätzen heißt es dann: "Die in Rede stehende Beschlagnahme wurde mittlerweile richterlich bestätigt. Bei dem Versuch die Daten der Tower-PC's(!) zu sichten, wurde festgestellt, dass beide über ein Kennwort gesichert sind. Es wird nunmehr darum gebeten, die in Rede stehenden Kennwörter (… ) zu übermitteln, da ansonsten eine Datensicherung über eine entsprechende Fachdienststelle erfolgen wird, was unter Umständen einen zeitlichen Verzug der Ermittlungen und somit auch der erneuten Herausgabe der Gerätschaften an die Betroffenen nach sich ziehen kann."

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