Verlorenes Ackerland - Boden unter Beton

Bild: Memory Catcher / CC0

Boden ist ein wertvolles Gut. Doch Grünland und Ackerböden - meist verbal zu "Flächen" herabgestuft - schrumpfen dramatisch

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In Deutschland gehören rund 29 Millionen Hektar Acker, Wiesen und Wald zur Land- und Forstwirtschaft, das sind 81 Prozent der Gesamtfläche. Der größte Teil davon - 11,8 Millionen Hektar - wird als Ackerland bewirtschaftet. Das Dauergrünland umfasst etwa 4,7 Millionen Hektar.

Während die für Bebauung und Verkehr genutzte Fläche von 1992 bis heute um 1,05 Millionen auf 5,1 Millionen Hektar angewachsen ist, ist die Landwirtschaftsfläche im selben Zeitraum um rund 1.247.000 Hektar geschrumpft, heißt es im Situationsbericht des Deutschen Bauernverbandes (DBV) von 2017/18. Bedingt durch den Ausbau von Siedlungen, Einkaufs- und Logistikzentren und sonstige Verkehrsinfrastruktur gehen täglich 62 Hektar Land - eine Fläche von rund 90 Fußballfeldern - verloren.

Die Versiegelung der Böden

Die fortschreitende Versiegelung von Boden für Straßen, Parkplätze, Wohn-, Industrie- und Gewerbegebiete zerstört nicht nur dessen natürliche Funktionen. Versiegelter Boden kann auch kein Wasser mehr aufnehmen und zwischenspeichern.

Bei Starkregen hingegen wird das Wasser schneller in Flüsse abgeleitet, so dass die Gefahr von Hochwasserspitzen zunimmt. Prof. Jan Siemens von der Uni Gießen sieht darin ein großes Problem. Gerade die Wasserspeicherfunktion des Bodens sei wichtig, um immer länger werdenden sommerlichen Trockenperioden zu überstehen, so der Bodenkundler im Interview mit der ARD.

Dabei ist man sich der Problematik auf Regierungsseite durchaus bewusst. Der Boden sei "natürliche und unentbehrliche Lebensgrundlage", heißt es auf den Seiten des Hessischen Umweltministeriums. Zahlreiche Hinweise, Strategien und Leitlinien fordern zu mehr Bodenschutz bei Baumaßnahmen auf.

Doch angesichts der alltäglichen Bodenversiegelung lesen sich diese Sätze wie unverbindliche Empfehlungen. Auch das Bundes-Bodenschutzgesetz ist vergleichsweise allgemein gehalten. Zudem gilt es grundsätzlich nur dann, "soweit andere Gesetze, wie zum Beispiel das Baurecht, Einwirkungen auf den Boden nicht regeln".

Invasion der Lagerhallen

In Hessen werden täglich drei Hektar Land zugebaut, das sind knapp 1100 Hektar im Jahr. An der Autobahn A4 bei Bad Hersfeld zum Beispiel wird seit Ende der 1990er Jahre ein Gewerbegebiet nach dem anderen errichtet. Die Firma Dietz mit Sitz im südhessischen Bensheim profitiert als eines von vielen Unternehmen vom Logistikboom.

Landauf, landab errichtet der Investor riesige Industriehallen und Gebäude sowohl in Städten, aber auch auf dem Lande. Hier zerstören die oft überdimensionierten Bauwerke ländlich-kulturell gewachsene Strukturen und fügen sich wenig harmonisch ins Landschaftsbild ein.

So wie im hessischen Main-Kinzig-Kreis, wo sich die Fläche des Gewerbegebietes Limes von 24 auf 48 Hektar verdoppeln soll. In diesem Sommer wurde hier ein erster Mietvertrag mit ID Logistics über vier Hektar große Lagerhallen abgeschlossen.

Im nordhessischen Neu-Eichenberg wurde vor 15 Jahren ein besonders fruchtbarer Ackerboden als Industriegebiet ausgewiesen. Nun will der oben genannte Investor auf dem 80 Hektar großen Gelände die üblichen Logistikhallen errichten. Diese sollen an Unternehmen wie DHL, Fraport, Hermes und DPD vermietet werden. Die hessische Landesregierung, der das Grundstück gehört, hat dem Verkauf bereits zugestimmt.

Doch hinter der geplanten gigantischen Anlage würde nicht nur der kleine Ort Hebenshausen verschwinden, auch der Schwerlastverkehr auf der vorbeiführenden Bundesstraße würde sich massiv erhöhen.

Dabei sind die vorhandenen Straßen nicht ansatzweise für das zu erwartende Verkehrsaufkommen ausgelegt. Mit zahlreichen Aktivitäten wie Konzerten, Vortragsreihen und einer Petition will die lokale Bürgerinitiative Gemeindevertreter und Anwohner nun zum Umdenken bewegen.

Die Angst vor einer ökologischen und sozialen Katastrophe, die mit dem Sondergebiet Logistik über die Gemeinde hereinbrechen könnte, ist nicht unbegründet. Immer wieder haben Kommunen unter den Fehlplanungen ehrgeiziger Bauprojekte zu leiden - so wie in Mienenbüttel südwestlich von Hamburg.

Am Ortsrand der 250-Seelen-Gemeinde wurden vor einigen Jahren 80 Hektar mit riesigen Hallen zugestellt, in denen sich Unternehmen wie Geodis Logistics, DHL und C&A niederließen. Die Bürgerinitiative vor Ort konnte das Projekt seinerzeit nicht verhindern. Nun leiden die Anwohner unter wachsenden Verkehrsstaus, Lärm und Emissionen. Die Lebensqualität ist dahin - immerhin werden in den Hallen 500 Menschen beschäftigt.

Wälder müssen Industriegebieten weichen

Mit dem Versprechen, Arbeitsplätze zu schaffen und die Wirtschaft anzukurbeln, verkommen ländliche Regionen zu Lagerplätzen und Zubringer für Metropolen. Trauriger Spitzenreiter im Flächenverbrauch ist Bayern, wo täglich zehn Hektar Land - etwa 17 Fußballfelder - für Gewerbe- und Industriegebiete versiegelt werden.

Im Landkreis Augsburg entsteht ein Gewerbegebiet nach dem anderen, meist bebaut mit einstöckigen Hallen. Immer mehr Äcker sollen dafür versiegelt werden. Neuerdings sind Bebauungen auch auf Wiesen erlaubt, wo sie bislang verboten waren.

Auch Wälder müssen verschwinden, wenn sie dem Wirtschaftswachstum im Wege stehen. So wie in Weiden in der Oberpfalz, wo sich immer mehr Firmen ansiedeln. Um das vorhandene Gewerbegebiet noch erweitern zu können, soll ein staatlicher Wald direkt vor der Stadt gefällt werden.

Zwar gibt es rund um den Ort alte Fabrikgelände, Industriebrachen und leere - waldfreie - Plätze, die sich für Neubebauung besser eignen würden. Doch das sind jeweils nur zwei bis drei Hektar, klagt der Bürgermeister gegenüber dem BR-Team, viel zu klein für die geplanten Megabauprojekte. Zudem hat die Stadt so genannte Ausgleichsflächen erworben.

Diese können sich die Gemeinden von spezialisierten Dienstleistern vermitteln lassen, um ihr Öko-Konto wieder aufzupolieren. Im konkreten Fall handelt es sich um ein 150 Kilometer weiter westlich gelegenes Waldstück. So wird Naherholung zwar zur Fernerholung, wenigstens kann dann der Wald vor der eigenen Haustür abgeholzt werden.

Auf Nachfragen des Bayerischen Rundfunks hieß es aus dem Forstministerium, der Verkauf von Staatswald sei nötig, weil die Ausweisung von Gewerbegebieten sonst mancherorts nicht möglich sei. Genau das aber - weniger Flächenfraß - ist offizielles Ziel der Bundesregierung: Bis zum Jahr 2030 soll der Flächenverbrauch auf unter 30 Hektar pro Tag verringert werden, ab 2050 soll der Flächenverbrauch ganz aufhören.

Angestrebt wird eine Flächenkreislaufwirtschaft in einem klimaneutralen Deutschland. Wie nur passen diese ehrgeizigen Boden- und Klimaschutzziele zu den Plänen, Wälder zu roden, um noch mehr Gewerbe anzusiedeln?

Mehr Wohnungsbau auf dem Land als in der Stadt

Im Moment jedenfalls sind wir von einem klimaneutralen Deutschland noch weit entfernt. Unter anderem sind die Anreize zum Bauen immer noch viel zu groß. Die Gemeinden wetteifern um die größten Gewerbeflächen, denn damit können sie Steuern einnehmen. Dieser "kommunale Kannibalismus" müsse aufhören, fordert Richard Mergner vom BUND Naturschutz gegenüber dem BR-Team.

Die Flächen, die von den Kommunen als Gewerbegebiete ausgewiesen werden, sind etwa zehnmal so groß wie die jährliche Zunahme an tatsächlich genutzten Gewerbeflächen. Dabei würden die bereits vorhandenen Gewerbeflächen zehn weitere Jahre für den aktuellen Bedarf völlig ausreichen.

Gebaut wird vor allem auf dem Land. Hier werden, zumindest in Bayern, die Gewerbeflächen nur noch vom Wohnungsbau übertrumpft: Von 2014 bis 2016 wurde für Flächen doppelt so viel für Wohnen als für Gewerbe ausgegeben.

Auch wuchs die Bebauungsfläche gegenüber den Städten fast um das Dreifache, obwohl die ländliche Bevölkerung nur halb so stark wächst. Wohngebiete entstehen also nicht dort, wo sie gebraucht werden, sondern wo Grundstücke billig zu haben sind.

Glaubt man dem Sachverständigen für Umweltfragen, Manfred Nikisch, sind beim Thema Boden zu viele Leute zuständig. Und wo sich niemand wirklich zuständig fühlt, greift auch niemand steuernd ein. Letztendlich entscheiden die ganz unten angesiedelten kommunalen Verwaltungen, was in ihrem Ort passiert. Sollte der Staat, der sich sonst wenig um den Boden kümmert, hier nicht doch mehr Mitsprachrecht haben?