Österreichs Regionalkassen-Konflikt

Ein Spiegel für Merkel-Deutschland

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Wir haben in Telepolis in dem Artikel Österreichs Regionen wehren sich gegen Krankenkassenzerschlagung über die neoliberale Gesundheits-"Reform" in Österreich im Ländervergleich mit Deutschland und die beachtenswerte Gegenwehr der österreichischen Regionen gegen die geplante Zentralkrankenkasse in Händen der Wiener Regierung berichtet. Die deutschen Medien haben das Thema kaum behandelt. Dabei könnte Deutschland aus der EU-konformen Gesundheits-"Reform" in Österreich wenigstens nachträglich lernen, was da bei seinem Reformschrecken der zurück liegenden fünf Jahrzehnte eigentlich passiert ist.

Zu diesem Beitrag gab es eine breite, gelegentlich am Thema des Berichtes vorbeigehende Debatte im Forum. Drei Fragen nach Fakten und Analysen blieben aber offen und werden nachfolgend eingehender beantwortet.

Gesundheitskosten der Flüchtlinge

Zunächst: Die Gesundheits- bzw. Behandlungskosten für Flüchtlinge bzw. Asylbewerber werden nach den zum Zeitpunkt der Flüchtlingswelle geltenden Regelungen zunächst für 15 Monate von den Kommunen und teilweise von den Ländern getragen. Sie belasten also die Steuerzahler und hierbei gerade die größte Gruppe, die Verbraucher als Mehrwertsteuerzahler. Spätestens nach Anerkennung der Asylanträge werden dann die Flüchtlinge bzw. Asylbewerber als Sozialhilfeempfänger bzw. Arbeitslosengeld II - Empfänger Versicherte der Gesetzlichen Krankenkassen. Ihre Beiträge werden als Pauschalen aus dem Bundeshaushalt aufgebracht.

Allerdings gibt es hierzu einen bereits jahrelangen Streit zwischen den Gesetzlichen Krankenkassen und der Politik. Die von der Regierung erstatteten Pauschalbeiträge decken nicht einmal die Hälfte der Effektivkosten für die Krankenbehandlung von Hartz IV-Empfängern oder Vergleichbaren. Auf diesem verdeckten Pfad verschiebt die Bundesregierung die Gesundheitskosten ihrer Flüchtlingswelle auf die Beitragszahler der Gesetzlichen Krankenkassen. Aus diesem Grund hat die AOK Rheinland-Hamburg bereits im September 2016 mit Beitragserhöhungen gedroht, wenn keine Anhebung der Pauschalerstattungen erfolgt.

Im Jahr 2017 entnahm dann die Bundesregierung 1,5 Mrd. Euro aus der Reserve des Gesundheitsfonds zur Finanzierung der bei den Krankenkassen anfallenden erhöhten Flüchtlings-Gesundheitskosten.

Untertanen-Glaube: Zentralisierung spart Kosten

Der Mythos von Kosteneinsparungen durch die organisatorische Zentralisierung von Verwaltungsstrukturen hat in der Bundesrepublik Deutschland zwar eine lange Tradition, gewinnt dadurch aber nicht an Realitätsgehalt. Das haben schon die Erfahrungen mit der Welle von kommunalen Gebietsreformen in den 1960er und 1970er Jahren gezeigt.

Zur aktuell wieder vorgetragenen These, durch Zentralisierung und Konzentration könnten im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung Kosten eingespart werden, hat Kollege Prof. Bert Rürup eine ernüchternde Studie zitiert. Nach den von ihm berichteten Ergebnissen haben die in Deutschland durchgeführten Zusammenschlüsse von Krankenkassen gezeigt, dass Gesetzliche Krankenkassen mit zunehmender Größe "eher kostenungünstig arbeiten".

Experten-Konsens: Zentralkassen extrahieren die Peripherieregionen

Auch unter ansonsten kontrovers positionierten Sozialfinanzexperten in Deutschland besteht Übereinstimmung darin, dass es bei Zentralkrankenkassen mit einheitlichem Beitragssatz zu einer stetigen Finanzdrift aus den peripheren und/oder strukturschwächeren Regionen in die Metropolregionen kommt. Hauptursache hierfür ist die deutlich höhere Ausstattung dieser Zentren mit aufwändiger Gesundheitsinfrastruktur in Verbindung mit entsprechend hohen Ausgaben. Diese werden aus dem Zentralbudget, d.h. auch mit den Einnahmen aus den Peripherieregionen beglichen. Hierzu liegen Veröffentlichungen vor von v. Augurtzky, Bruckmeier, Göpp- farth, Goeschel, Koller, Martens, Rürup/Wille, Schnitzlein u.a.