Blutspur nach Europa

MQ-9 Reaper. Bild: DoD

Amerikanische Drohnenangriffe im Orient wären ohne den Stützpunkt Ramstein nicht möglich

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Der Fürst muss den Ruf der Grausamkeit nicht scheuen.

Niccolò Machiavelli

Mehrere der eingangs erwähnten Geheimgefängnisse (die nach 9/11 von den USA betrieben wurden) befanden sich in Europa, und Entführungen durch amerikanische Agenten wurden auf europäischem Boden ausgeführt. Die gerichtliche Aufklärung hierzu ist spärlich; Haftbefehle wurden nicht vollstreckt, das Thema scheint abgeschlossen. Doch Drohnen fliegen weiterhin. Hat dies etwas mit Europa zu tun? Können wir nicht einfach nur bedauern, was aus einem Land wurde, das uns mit Marshall-Plan und Berliner Luftbrücke das Überleben sicherte? Uns darüber wundern, welch schändliche Transformation die älteste dauerhafte moderne Demokratie der Welt wählte?

Durch die Recherchen einer Gruppe Investigativjournalisten der Süddeutschen Zeitung wurde bekannt, dass zumindest die deutsche Regierung sich in Sachen Drohnen die Hände nicht in Unschuld waschen kann. Etliche Dokumente und Aussagen belegen, dass die US-Militärbasis Ramstein und damit das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland eine ausschlaggebende Rolle im Drohnenkrieg spielt. Die Datenleitung zur technischen Befehlsweitergabe zwischen den Drohnenpiloten auf amerikanischem Boden und den unbemannten Flugobjekten selbst, die im Nahen und Mittleren Osten unterwegs sind, läuft über die Militärbasis in Deutschland.

Dabei kommt der Befehl von der amerikanischen AFRICOM-Zentrale aus Stuttgart, die Drohnenpiloten selbst sitzen auf den Militärbasen "Creech" bei Las Vegas, "Ellsworth", "Whiteman" und "Cannon" in South-Dakota, in Missouri und in der Wüste New Mexicos. Ihnen soll kein ausländischer Staat habhaft werden. Die Krümmung der Erdkruste würde eine Echtzeitverbindung aus den USA mit den Drohnen im Einsatzgebiet unmöglich machen; ein per Knopfdruck ausgelöster Angriff würde ein fahrendes Auto verfehlen. Die einzige Satelliten-Relais-Station der USA in Reichweite der Einsatzorte befindet sich in Ramstein. Die Daten fließen zuerst per Glasfaserkabel aus den USA nach Ramstein und von dort per Satellit an die Drohnen im jeweiligen Einsatzgebiet. Ebenso laufen Daten von den Drohnen, wie die Echtzeitüberwachungsbilder, zurück an die Einsatzteams - und nach Langley in die CIA-Zentrale, die stets mit auf die geteilten Bildschirme der Piloten schaut.

Um eine Drohne einen Tag in der Luft zu halten, benötigt das Militär auf die Welt verstreut 168 Beteiligte in Gestalt von Piloten, Technikern, Geheimdienstagenten, Sensorexperten, Juristen, Koordinatoren und Kommandeuren. Amerikanische Drohnenangriffe im Orient wären ohne den Stützpunkt Ramstein nicht möglich. Ohne einen Stützpunkt auf bundesrepublikanischem Gebiet, von dem laut Zwei-plus-Vier-Vertrag "nur Frieden ausgehen wird" (Artikel 2).

Der Text stammt aus dem eben im Promedia-Verlag erschienenem Buch von Josef Alkatout: "Ohne Prozess. Die Entrechtung unserer Feinde im Kampf gegen den Terror".

Wie freiheitlich ist eine sich auf die Werte der Aufklärung berufende Gesellschaft noch, wenn sie ihren Gegnern ein faires Verfahren vorenthält? Und wer sind die Terroristen, deren bloßes Erscheinen die Grundfesten unseres Rechtsstaats zu Fall zu bringen droht? Gegen die Aufständischen sowie deren Netzwerke setzen die USA, Europa und ihre Verbündeten auf eine weltumspannende Offensive, die mit der zeitlichen und räumlichen Begrenzung herkömmlicher bewaffneter Konflikte nichts gemein hat. Nicht mehr die Kriegszeiten, sondern die Friedenszeiten - sofern es sie noch gibt - sind die Ausnahme.

Dieses präzedenzlose Vorgehen im Namen westlicher Sicherheit umfasst drakonische Folterverhöre durch Geheimdienste, rechtlos gestellte Häftlinge in Guantánamo Bay sowie staatlich angeordnete Tötungen durch ferngesteuerte Drohnen. Es hebelt Konventionen zur Kriegsführung aus, die über Jahrhunderte mühsam zwischen Regierungen ausgehandelt wurden, und bringt weit voneinander entfernt lebende Völker gegeneinander auf.

Josef Alkatout besucht das abgeschottete Turkmenistan, den verwahrlosten Gazastreifen und die iranischen Mullahs. Er berichtet von einer US-Drohnenbasis im Niger und aus dem Zentrum des Anti-Terrorkampfs in Afghanistan. Er porträtiert Schicksale von zermürbten Gefangenen, die in Guantánamo seit beinahe zwei Jahrzehnten auf ihren Prozess warten und gibt Einblick in einen Justizskandal, der seinesgleichen sucht.

Den Leser nimmt Alkatout mit auf eine Reise zu den Grundlagen des Konflikts zwischen den islamischen Rebellen und der westlichen Welt, zu einem entmenschlichten Selbstverständnis von der Moral des Tötens, aber auch zu engagierten Richtern und unerschütterlichen Demokratieverfechtern, die sich der Aushöhlung des Rechtsstaats mutig entgegenstellen.

Josef Alkatout, geboren 1984 in Süddeutschland, ist promovierter Rechtsanwalt und Dozent für internationales Strafrecht an verschiedenen Universitäten. Er lebt in Genf.

Wer Zweifel an der Bedeutung des Standorts Ramstein mit seinen mehr als 16.000 amerikanischen Bediensteten für das US-Drohnenprogramm hegt, wird von einem amerikanischen Bauantrag mit der Nummer TYFR073143 eines Besseren belehrt. Die Autoren des Buches "Geheimer Krieg - Wie von Deutschland aus der Kampf gegen den Terror gesteuert wird" fanden im Budgetverfahren für eine Satellitenstation in Ramstein, den das amerikanische Verteidigungsministerium dem eigenen Parlament zur Genehmigung vorlegte, den Hinweis, dass ohne diese Anlage "Drohnenangriffe nicht unterstützt werden können".

Der Drohnenpilot Brandon Bryant hat mehr als fünf Jahre lang von einer Militärbasis in den USA über 1400 Drohneneinsätze gesteuert. Er hat Menschen gezielt getötet und ist vom US-Militär für diese "Leistungen" ausgezeichnet worden. Wie er im Dokumentarfilm "Drone" aus dem Jahr 2017 angibt, fielen seinen Drohnengeschossen insgesamt 1626 Menschen zum Opfer. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung hat er seine Erfahrungen wie folgt zusammengefasst: "Es ist ganz einfach. Ohne Deutschland wäre der gesamte Drohnenkrieg des US-Militärs nicht möglich." Aufgrund der journalistischen Berichterstattung hat der Deutsche Bundestag einen Untersuchungsausschuss einberufen, auf den sich auch eine Strafanzeige des Abgeordneten der grünen Partei, Christian Ströbele, stützt.

Bryant wurde im Oktober 2015 als Zeuge in öffentlicher Sitzung angehört und konnte die von ihm vorgenannte Zusammenfassung mit zahlreichen Details belegen. Der Drohnenpilot gab bezüglich der Anlagen des Stützpunkts Ramstein an, dass diese unverzichtbar gewesen seien, damit er und ein weiterer Drohnenpilot die Kampfdrohnen von den USA aus etwa im Nahen Osten steuern konnten. Alle Signale zu und von den Drohnen in deren Zielgebiet seien über die Relaisstation in Ramstein via Satellit gelaufen. Er selbst sei darüber extra informiert worden, um andere Mitarbeiter in seiner Einheit zu schulen. Auch sei aus den USA vor jedem Einsatz die US-Basis in Ramstein kontaktiert worden, um eine Verbindung zum Satellit und zu den Drohnen herzustellen, auch um diese starten zu können. Wenn diese Verbindung unterbrochen worden sei, hätten die Piloten warten müssen.

Vorgesetzte hätten Herrn Bryant ausdrücklich gesagt, dass die deutsche Regierung über alles genau informiert sei, und dass die Unterlagen zu den Einsätzen auch an sie als Bündnispartner übergeben worden seien. In der US-Basis Ramstein gebe es ferner eine Bodenstation mit einer Gruppe amerikanischer Bediensteter, die bei Drohneneinsätzen mitbeobachteten. Überall, wo Bryant persönlich an Drohnen-Einsätzen beteiligt gewesen sei, sei auch die US-Basis Ramstein beteiligt gewesen. Die Angriffsbefehle für Einsätze in Afrika würden vom US-Oberkommando AFRICOM (das Regionalkommando für den afrikanischen Kontinent der amerikanischen Streitkräfte) in Stuttgart an die Piloten in den USA übermittelt.

Wieso das Oberkommando überhaupt in einem europäischen Land anstelle eines afrikanischen eingerichtet wurde, haben Christian Fuchs und John Goetz vom NDR herausgefunden. Während 18 Monaten seien hohe Beamte des amerikanischen Außenministeriums in Afrika von Hauptstadt zu Hauptstadt geflogen und hätten unter anderem in Südafrika, Angola, Simbabwe, Namibia, Botswana, Kongo und Algerien erfolglos vorgesprochen. Trotz der finanziellen Vorteile, die mit der Stationierung eines Kontingents amerikanische Streitkräfte in einem armen afrikanischen Land einhergegangen wären, wollte keiner der zwölf angefragten Staaten auf dem Kontinent mit den Skandalen der US-Foltergefängnisse oder Ähnlichem in Verbindung gebracht werden. Die deutschen Unterhändler hießen die amerikanische Drohneneinsatzzentrale jedoch bei sich willkommen.

Das geheime Einverständnis erteilte die Bundesregierung im Januar 2007 und dies sollte vom damaligen Präsidenten George W. Bush bei seiner Rede zur Lage der Nation als große Errungenschaft verkündet werden. Das war den Deutschen jedoch ein Zuviel an Aufrichtigkeit: Der Unterhändler aus Berlin bat seine Kollegen auf der anderen Seite des Atlantiks darum, diese Zusage vorerst diskret zu behandeln. Laut den oben genannten NDR-Reportern wurde dieser Bitte stattgegeben und der Hinweis aus Bushs Rede gestrichen. Nichtsdestotrotz hören mittlerweile mehr als 3600 US-Militärangehörige weltweit auf die Kommandos aus dem Stuttgarter Stützpunkt, den sich die Vereinigten Staaten pro Jahr beinahe 300 Millionen US-Dollar kosten lassen. Und auch in Grafenwöhr, einem kleinen Ort in der nordbayerischen Oberpfalz, ist das amerikanische Militär laut einer Werbebroschüre über die "Sondererlaubnis der deutschen Regierung" und den "einzigartig gesperrten militärischen Luftraum" froh, um "Drohnen zu testen und Piloten auszubilden". Das Bundesfinanzministerium hat dem NDR zudem bestätigt, dass der deutsche Staat in den vergangenen Jahrzehnten mehrere hundert Millionen Euro in den Aus- und Umbau der Einrichtungen investiert habe.

Darüber hinaus tauscht Deutschland, wie andere mit den USA befreundete Staaten, Geheimdienstinformationen über die Identifizierung und den Aufenthaltsort von Personen aus, die auf den Abschusslisten der amerikanischen Dienste stehen. Der Vorsitzende des US-Schnüffeldienstes NSA gab an, es sei eine Ehre und ein Privileg mit den Deutschen zusammenzuarbeiten. Diese seien Schlüsselpartner bei der Informationsbeschaffung über Afghanistan. Der Bundesnachrichtendienst sei der "fleißigste Partner" der USA, so ein von der NDR-Redaktion ausgewertetes internes Dokument.

Auch werden die amerikanischen Dienststellen darüber informiert, wenn ein von befreundeten Behörden als "Gefährder" eingestufter Bürger sein Heimatland verlässt - und somit auf den Drohnenradar der USA gerät. Diese Weitergabe von Informationen binden die Behörden nicht an die Bedingung eines Anfangsverdachts auf eine Straftat gegen die betreffende Person. Die Weitergabe von Informationen an ausländische Dienststellen soll gerade dann erfolgen, wenn die europäischen Behörden selbst keine rechtliche Basis haben, um in ihrem Land etwas zu unternehmen. Die betroffene Person wird nicht vor den Folgen ihrer Ausreise gewarnt; im Gegenteil, einmal außer Landes, fühlen sich die Behörden ihres Heimatstaats nicht mehr zuständig und werfen sie den amerikanischen Jägern zum Fraß vor.

Ein eifriger deutscher Richter, den diese Vorgehensweise empörte, zeigte den Chef des Bundeskriminalamts wegen Beihilfe zu Mord an. Die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens wurde abgelehnt. Die Bundesregierung teilte dazu mit, dass sie "grundsätzlich keine Informationen weiter[gebe], die unmittelbar für eine zielgenaue Lokalisierung benutzt werden können". Wissen die Behörden deshalb so genau, wozu ihre Informationen benutzt werden, weil in Ramstein seit 1996 ein Verbindungskommando der deutschen Luftwaffe stationiert ist und sich dieses über die Drohnenangriffe ins Bild setzt? Es bleibt ihr Geheimnis.

Doch Deutschland hilft nicht nur mit der Bereitstellung der Militärbasen aus. Christian Fuchs und John Goetz fanden heraus, dass amerikanische Dienste von den deutschen Migrationsbehörden hinzugezogen werden, wenn über Fälle von Asylbewerbern aus strategisch wichtigen Staaten entschieden wird. Die Einwanderer werden zu einem separaten Interview gebeten, in dem die Befrager wissen wollen, wer in ihrem Heimatort Fundamentalist ist und wer nicht. In welche Moschee dieser gehe, wo er sich tagsüber gewöhnlich aufhalte und mit wem er befreundet sei. Geben die Asylbewerber bereitwillig Auskunft, steht ihrem eigenen Bewilligungsverfahren nichts mehr im Weg. Und einem amerikanischen Drohnenangriff, der sich auf solch präzise Daten stützen kann, auch nicht.

Freilich werden die deutschen Behörden nicht müde zu unterstreichen, dass die Weitergabe der Informationen an die USA nicht der Tötung der Verdächtigen, sondern dem gewöhnlichen, partnerschaftlichen Austausch diene. Auch erhalte man im Gegenzug selbst wertvolle Informationen. Dank dieses Austauschs seien auf europäischem Boden bereits mehrere Terroranschläge verhindert worden. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass der Datenfluss in Richtung USA dazu beiträgt, dass die amerikanischen Drohnen auf Jagd gehen können.

Europa kauft sich seine Sicherheit bei den Amerikanern mit dem Austausch von Geheimdienstinformationen. Der Preis wird von den Drohnenopfern bezahlt, die aufgrund der von den Europäern gelieferten Informationen aufgespürt und getötet werden. Wenn in diesem Buch nicht nur von den USA, sondern auch vom Westen, den Industriestaaten, den reichen Ländern, dem Abendland, den G-7 und Europa die Rede ist, dann darum, weil es den USA weder technisch noch politisch möglich wäre, ihren Drohnenkrieg ohne die Unterstützung von Komplizen zu führen. Der Finger am Abzug - oder bei Drohnen besser gesagt am Auslöseknopf - ist meist ein amerikanischer. Die Köpfe dahinter kommen jedoch aus den demokratischen Rechtsstaaten der gesamten westlichen Welt. Den Staaten, die es sich am Kabuler Flughafen nicht nehmen lassen, mit einem Schild in der Landessprache darauf hinzuweisen, wer hier das Sicherheitsdispositiv für die Bevölkerung gespendet hat.

Der Westen zeichnet sich durch seine - nicht obligatorische, sondern für richtig gehaltene - Entwicklungszusammenarbeit aus. Diese Hilfe hat den Anspruch, vor allem Regime, die bestimmte Standards im Bereich der Menschenrechte und wirtschaftlicher Freiheiten erfüllen, zu unterstützen. Sie vergibt Geld an Frauen in Ländern, in denen die Geschlechtergleichheit nicht zufriedenstellend ist, und versucht, die Empfängerstaaten partnerschaftlich einzubinden, damit die Hilfszahlungen irgendwann überflüssig werden. Die entwickelten Länder möchten sich gerade dadurch auszeichnen, dass nicht nur Realpolitik betrieben wird, wie man es China und Russland vorwirft, die mit ihrer Außenpolitik grausame Regime am Leben halten und sich mit Geld in rohstoffbedingte Konflikte einkaufen.

Die Maxime der Westmächte ist eine Politik, bei der es nicht nur darum geht, was für uns selbst am besten ist, sondern darum, was für die Welt und uns alle, die wir sie bewohnen und noch bewohnen werden, richtig ist. Selbst dann, wenn dies für uns nicht immer der leichteste Weg ist. So haben wir uns das immer gedacht. Wir werden - in anderen Weltregionen ist dies weniger klar - lieber von den USA als von China oder Russland dominiert. Aber darf der große Bruder alles? Der mittlerweile verstorbene US-Politologe und Präsidentenberater Samuel Huntington, dem konservative außenpolitische Einstellungen nachgesagt wurden, formuliert es so: "Der Westen hat die Welt nicht durch die Überlegenheit seiner Werte erobert, sondern durch seine Überlegenheit beim Anwenden von Gewalt. Westler vergessen diese Tatsache oft, Nichtwestler nie."

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