Mutmaßlicher russischer Spion in Österreich enttarnt

Sitz des österreichischen Verteidigungsministeriums in der Rossauer-Kaserne im 9. Wiener Gemeindebezirk. Im Vordergrund Schmierereien. Foto: © Bwag/Wikimedia. Lizenz: CC-BY-SA-4.0.

Außenministerin Kneissl sagt Besuch bei Putin ab

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Gestern bestätigte die Salzburger Staatsanwaltschaft, dass sie auf eine Anzeige des österreichischen Verteidigungsministeriums hin gegen einen inzwischen pensionierten Oberst ermittelt, der seit den 1990er Jahren für Russland spioniert und dafür insgesamt etwa 300.000 Euro erhalten haben soll.

Verteidigungsminister Mario Kunasek zufolge wurde man durch einen Hinweis eines "befreundeten Nachrichtendienstes" auf den Spion aufmerksam, den österreichische Medien in Anspielung auf einen aus Literatur und Film bekannten Geheimnisverräter aus der K.u.K.-Zeit den "modernen Oberst Redl" nennen. Der Standard will über den "befreundeten Nachrichtendienst" noch etwas mehr wissen und schreibt, es handele sich dabei um einen "deutschen Dienst".

"Extrem unauffällige Tätigkeit"

Den Informationen der Kronen-Zeitung nach übte der "moderne Oberst Redl" eine "extrem unauffällige Tätigkeit in einer Leitstelle des Heeres" aus und meldete sich alle 14 Tage bei seinem russischen Kontakt "Juri". Seine Aufträge soll er ganz traditionell und wie im Kalten Krieg über in Zahlenkolonnen verschlüsselte Kurzwellennachrichten erhalten haben. Von einer Quelle aus dem Heeres-Abwehramt will die Zeitung außerdem erfahren haben, dass der Salzburger vor zwölf Jahren versucht haben soll, seine Spionagetätigkeit zu beenden, was ihm jedoch von den Auftraggebern nicht erlaubt worden sei.

Unmittelbar vor der Beschlagnahme seiner Computer und Datenträger soll er dann von diesen Auftraggebern die Anweisung erhalten haben, belastendes Material zu vernichten, was das Heeres-Abwehramt der Krone zufolge aber verhindern konnte. Nachdem man ihn mit den Vorwürfen konfrontierte, legte der Spion der Tageszeitung Die Presse zufolge stattdessen "ein umfassendes Geständnis ab".

Thema war "auch die Migrationslage in Österreich in den letzten Jahren"

Die Salzburger Staatsanwaltschaft nennt in ihrer Presseaussendung den § 252 Absatz 1 des österreichischen Strafgesetzbuchs ("Verrats von Staatsgeheimnissen") als Tatbestand ihrer Ermittlungen, aber nicht den von der Kronen-Zeitung aufgeführten § 319 ("Unterstützung eines militärischen Nachrichtendienstes für einen fremden Staat"). § 252 droht zehn Jahre Haft an, § 319 lediglich zwei.

Ob der heute 70-Jährige tatsächlich Staatsgeheimnisse verriet, oder - wie die Presse schreibt - "keine streng geheimen Informationen", sondern lediglich "allgemein zugängliche Nachrichten aus dem Intranet des Heeres und aus seinem unmittelbaren Arbeitsbereich" sowie "Stimmungsbilder aus dem Bundesheer" weitergab, ist unklar. Verteidigungsminister Mario Kunasek sprach gestern eher unscharf formuliert von einem "Interesse an Waffensystemen", "Persönlichkeitsprofilen" und davon, dass "auch die Migrationslage in Österreich in den letzten Jahren ein Thema war". Bei den Persönlichkeitsprofilen soll es den Salzburger Nachrichten nach unter anderem darum gegangen sein, "wer welche Schwächen [und] welche Vorlieben beim Trinken und Essen" hat.

Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Sebastian Kurz meinte Kunasek außerdem, der Fall zeige nicht nur, "dass neutrale Staaten auch nach dem Kalten Krieg Ziel von Spionage sind", sondern sei auch eine Warnung, dass man die "Cyberverteidigung" ausbauen müsse. Kurz sagte, er gehe "aufgrund der Umstände davon aus, dass sich die Vorwürfe bestätigen", was "das Verhältnis zwischen Russland und der Europäischen Union nicht verbessern" werde. Vorab habe Außenministerin Karin Kneissl schon einmal den russischen Botschafter einbestellt und ihre für den 2. und 3. Dezember geplante Reise nach Moskau abgesagt.

Russische Medien spekulieren über Sotschi-Sabotage

Dort, in Moskau, ließ der russische Außenminister Sergej Lawrow wiederum den österreichischen Botschafter Johannes Eigner einbestellen und kritisierte: "Wir werden beschuldigt und es gibt Aufforderungen, dass wir uns für eine Sache entschuldigen, von der wir nichts wissen." Wenn es "Fragen" an Russland gebe, dann solle sich Österreich "über bewährte Kanäle des Dialogs" direkt an Moskau wenden, anstatt mit einer "Megafon-Diplomatie" über die österreichischen Medien.

Russische Medien wie das Portal Sputnik konstatieren, der Vorwurf der Spionage "belaste […] die Beziehungen zwischen Wien und Moskau" und mutmaßen gleichzeitig, ob das "vielleicht auch das einzige Ziel der Übung" war, weil die bei Kneissls nun abgesagtem Moskau-Besuch geplante weitere "Umsetzung des Sotschi-Dialogs […] bestimmten Kräften ein Dorn im Auge" sein könnte.

Der österreichische Oppositionsabgeordnete Peter Pilz spekuliert dagegen, ob der Anlass dafür, plötzlich Informationen über einen seit 20 Jahren aktiven Spion herauszugeben, vielleicht damit zu tun hat, "dass der Eintritt der FPÖ in die Bundesregierung befreundete westliche Nachrichtendienste dazu veranlasst hat, dem [österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT)] die Rote Karte zu zeigen". Diesen Verdacht will er nun durch einen bereits laufenden BVT-Untersuchungsausschuss untersuchen lassen.