Skripal als Beispiel eines Informationskriegs gegen Russland

Die von der britischen Polizei verdächtigten Russen. Bild: Metropolitan Police

Ein Kurs an der Staatlichen Russischen Universität sieht die Darstellung des Skripal-Falls als "Hetzjagd" der britischen Geheimdienste gegen Russland

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Es kommt immer darauf an, von welcher Seite man etwas wahrnimmt. Von westlicher Seite wird trotz aller offenen Fragen weitgehend das Narrativ akzeptiert und vielfach auch von Medien befördert, dass der Anschlag auf Skripal mit Nowitschok vom russischen Geheimdienst GRU mit Billigung des Kreml und wahrscheinlich Wladimir Putin selbst durchgeführt wurde. Dazu ist die Haltung weit verbreitet, dass Russland versucht, die "Wahrheit" durch Informationsoperationen zu vernebeln und die Öffentlichkeit mit Fake News zu beeinflussen, beispielsweise was die beiden Russen betrifft, die Großbritannien als verdächtige Täter bezeichnet, die aber Putin selbst als ganz normale russische Geschäftsleute in Schutz nahm.

Wirkliche Beweise fehlen allerdings weiterhin, die britische Regierung lässt eher Medien und scheinbare unabhängige Organisationen wie Bellingcat, deren Beziehungen zum Sicherheitsapparat unklar sind, für weitere "Aufklärung" sorgen und hält die Skripals vor der Öffentlichkeit verborgen. Dabei war schon ganz zu Beginn der Verdacht berechtigt, dass die britische Regierung, die einen schweren Stand wegen des Brexit hat, schnell auf Russland als Verantwortlichem zeigt, um so wieder eine Einheit in der EU und der Nato und vor allem mit den USA gegenüber dem gemeinsamen Feind zu erreichen. Das klappte auch mit einem konzertierten Vorgehen bei der Ausweisung von russischen Botschaftsangehörigen und anschließend mit Angriffen auf angebliche syrische Chemiewaffeneinrichtungen nach einem Vorfall in Duma, wo ebenfalls nicht nachgewiesen wurde, dass dort ein Giftgasangriff stattfand und wer ihn zu verantworten hat.

Als Beweis für die Verantwortung des Kremls wurde zunächst von der britischen Regierung - u.a. durch ein geleaktes Handout - präsentiert, dass es keine andere Erklärung gäbe. Vor Gericht wäre die behauptete, aber nicht einmal nachgewiesene Alternativenlosigkeit in einem Rechtsstaat ein inakzeptables Argument, zumal klar wurde, dass Nowitschok durchaus auch in Militärlaboren von Nato-Staaten vorhanden war oder ist. Zuletzt gab es Probleme mit den beiden russischen Verdächtigen, weil die Zeitangaben nicht damit vereinbar zu sein scheinen, dass sie den Türgriff kontaminiert haben, bevor die Skripals das Haus verlassen haben.

Während in den Nato-Staaten die Angst vor russischen Beeinflussungskampagnen geschürt wird und mitunter davon gesprochen, dass Information zur Waffe gemacht wird (weaponized information), um die Bedrohlichkeit zu verstärken, wobei geflissentlich die eigenen Propaganda- und Beeinflussungskampagnen ausgeblendet werden, hat man in Russland einen anderen Blick darauf. Die Darstellung des Skripal-Anschlags wurde nun in einem Kurs der Fakultät für Politikwissenschaft an der Moskauer Staatsuniversität zu einem Thema, um zu zeigen, wie westliche Geheimdienste Nachrichten verbiegen, um Moskau zu beschuldigen. Unter dem Titel "Informationskriege und Interventionsoperationen in die inneren Angelegenheiten der Russischen Föderation", wird die von den Geheimdiensten inszenierte "Treibjagd" analysiert.

Der unabhängige Fernsehsender RTVI berichtete letzte Woche, dass Andrey Manoilo, ein ehemaliger Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes FSB den Kurs leitet. Er soll die These verfolgen, dass die britischen Behörden den Anschlag auf die Skripals zu einem "Nervengiftangriff auf die britische Gesellschaft durch einen feindlichen Staat" transformierten. Es seien Methoden der "Treibjagd" verwendet worden, weil versucht wurde, Moskau durch gefälschte, nach und nach veröffentlichte "Nachrichten" in die Enge zu treiben. Und die russische Seite habe versagt und dem nichts entgegenstellen können.

Den Studenten wird angeboten, Abschlussarbeiten und Dissertationen über "Formen und Methoden der Durchführung eines Informationskriegs gegen die Russische Föderation am Beispiel der Vergiftung von Skripal" oder "Die Rolle des Vorfalls von Salisbury bei der Umsetzung der Sanktionspolitik in den USA gegen die Russische Föderation" zu schreiben. Will der Dozent nun, womöglich im Auftrag des Kreml, eine Verschwörungstheorie in die Gehirne der Studenten pflanzen? Offenbar geht es eher darum, Strategien zu entwickeln, um feindliche Propaganda aushebeln zu können.

Es habe mehrere Pannen von russischer Seite gegeben. Nach Manoilo sei es ein großer Fehler gewesen, die zwei Verdächtigen im Fernsehen auftreten zu lassen und zuvor noch Putin zu engagieren, der erklärte, sie sollten alles erzählen. Zudem habe Moskau nicht thematisiert, warum die britischen Geheimdienste die Bilder der Überwachungskamera am Flughafen Gatwick manipuliert haben. Man habe den Bericht anerkannt.

Studenten erzählten dem Sender, dass sie in dem Kurs keine Propaganda, sondern neuen Informationen erhielten. Sie würden alles im Internet verifizieren. Da scheint dann Bellingcat, wo Laien forensisch zu arbeiten vorgeben und in der Regel eine vorgefasste Meinung zu bestätigen suchen, zu einem Vorbild zu werden. Manoilo verweist natürlich nicht auf Bellingcat, sondern auf das internationale Journalistenteam, das die Panama Papers bearbeitete. In der nächsten Vorlesung soll es darum gehen, warum es nach den Midterm-Wahlen für Donald Trump geschickt wäre, die Demokraten gegen Russland mit neuen Sanktionen wegen Skripal zu "hetzen".

Nach RTVI soll es für künftige Journalisten am Staatliche Moskauer Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO) einen ähnlichen Kurs über Informationskriege geben. Tatiana Alekseeva, die stellvertretende Direktorin der Fakultät für Politikwissenschaft, sagte, es sei bei manchen Fällen schwer, sich von seiner persönlichen Interpretation zu lösen: "Es ist schwierig, aber möglich." Die Frage ist nur, ob die Studenten bei solchen Kursen lernen sollen, die Konstruktion von Propaganda - man muss ja nicht gleich von Infowar sprechen - zu durchschauen oder sie anhand von Beispielen zu erlernen. Dass die russische Propaganda offenbar nicht hinterfragt wird, gleicht den angeblichen Aufklärungsbemühungen über Fake News im Westen, wo in der Regel auch nur der staatliche oder mediale Gegner zerpflückt wird, was selbst auch als PsyOp gelten kann.

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