Netter Vorschlag: "Internet der Ohren"

Bild: Case Western Reserve University

Unermüdlich basteln Wissenschaftler daran, wie Technik uns in Smart Homes überwachen und steuern könnte - natürlich nur zu unserem Vorteil und zur Optimierung

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Die Auseinandersetzung über das Globale Gehirn liegt schon zwei Jahrzehnte zurück, kam mit der Ausbreitung des Internet auf und hat sich damit beschäftigt, ob die Vernetzung von allem und jedem dazu führen, dass im Cyberspace oder im virtuellen Raum der Netzwerke ein übergeordnetes kollektives "Gehirn" bzw. ein Superorganismus sich entwickeln könnte, das bzw. der mit den Daten von Menschen, Softwareagenten, Maschinen und allem, was im Internet of Things angeschlossen ist, gefüttert wird. Peter Russell, einer der Vertreter dieser Hypothese, prophezeite 1996: "Wir werden uns nicht mehr als isolierte Individuen wahrnehmen, sondern wissen, dass wir ein Teil eines schnell zusammenwachsenden Netzes sind, die Nervenzellen eines erwachenden globalen Gehirns."

Ob dies der Fall ist, lässt sich schwer beurteilen. Man würde meinen, angesichts der wachsenden Konflikte in dem zwar zusammenwachsenden, aber keineswegs kooperativen Netzwerks, nehmen die Spannungen und Konkurrenzen zu, gleichzeitig aber teilt die Mehrheit der Menschen, die Zugang zum digitalen Raum haben, nicht nur eine gemeinsame Informationsumwelt, sondern nähern sich mit den globalen Wirtschafts- und Finanzverbindungen und Warenstörmen auch die Lebenswelten zumindest der reichen oder globalisierten Schichten einander an. Auf globale Ereignisse oder Informationen reagieren, wenn auch unterschiedlich, Hunderte von Millionen oder auch Milliarden Menschen, während die Maschinen und Geräte untereinander ein noch viel dichteres und schneller reagierendes Netz weben.

Was die digitale Vernetzung jedenfalls mit sich bringt, sind Maschinen und zunehmend Umgebungen, die den Menschen beobachten, von diesen Steuerungsdaten aufnehmen und auf unterschiedliche Weisen darauf antworten. Zunehmend intelligenter werdende Maschinen und Menschen wechselwirken in kybernetischen Kreisläufen, in denen Menschen scheinbar Befehle geben, die aber im System verarbeitete Signale sind und mit den Daten vieler anderer "humans in the loop" verbunden werden. Die virtuelle Umgebung schmiegt sich an den Menschen an, der gleichzeitig zum Teil dieser wird. Solche Symbiosen sind beispielsweise Virtual-Reality-Schnittstellen oder auch smart homes bzw. smart cities, wenn man weiter denkt. Dabei wird zunehmend unklar, ob die Menschen sich den vorgegebenen, aber sich dynamisch verändernden Strukturen anpassen, um sich und sein Leben zu optimieren oder auch einfach nur um Kosten zu sparen, oder ob die digitale Umgebung, die sich über die Lebenswelt stülpt, sich den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen anpasst.

"Wir versuchen, eine Gebäude zu schaffen, das den Menschen im Inneren 'zuhört'"

Wissenschaftler der privaten Case Western Reserve University haben für "smart homes" das "Internet of Ears for crowd-aware smart building" vorgestellt. Das Konzept wurde im Rahmen der Konferenz 2017 IEEE Sensors veröffentlicht.Das ist wahrscheinlich ungeschickt, weil die Dimension der Überwachung, also des Abhörens, damit deutlich ist. Die Erwartung ist, dass ein Haus oder eine Wohnung in seinen Funktionen vom Licht über Heiz- oder Kühlsystemen bis hin zum Fernseher oder Kühlschrank nicht mehr durch Apps, sondern allein durch die körperliche Anwesenheit der Bewohner, die sich einzeln erkennen und räumlich lokalisieren lassen, gesteuert werden.

Sensoren, die in Räumen angebracht werden, können Vibrationen, Geräusche oder Bewegungen erkennen, die von Menschen und Tieren oder von kleinen Änderungen der elektrischen Felder ausgehen. Sie stellen sich vor, dass sich das Haus der Zukunft den Aktivitäten der Benutzer mit diesen Sensoren im Boden oder in den Wänden anpasst, ohne dass Kameras angebracht werden müssen, die deutlich machen, dass man beobachtet wird.

"Augen" sind auffälliger als "Ohren", deswegen soll es also weniger aufdringlich sein, wenn man nur abgehört wird: "Wir versuchen, eine Gebäude zu schaffen, das den Menschen im Inneren 'zuhört'", sagt der Elektrotechniker und Informatiker Ming-Chun Huang: "Wir verwenden Prinzipien, die denen des menschlichen Ohrs gleichen. Es werden Vibrationen erfasst und unsere Algorithmen entziffern sie, um die spezifischen Bewegungen festzustellen."

Huang ist zuständig für die biometrische Identifizierung des Gangs und der Bewegungsverfolgung, sein Kollege Soumyajit Mandal konzentriert sich auf die Erfassung der Vibrationen und die durch die Präsenz von Menschen und Katzen verursachten Veränderungen des elektrischen Feldes. Normalerweise gebe es ein 60-Hz-Feld um Menschen, sagt er. Weil deren Körper Strom leitet, unterbrechen sie das elektrische Feld ein wenig: "Durch das Messen der Störung können wir deren Präsenz oder sogar ihr Atmen erkennen, selbst wenn mit dem Geräusch keine Vibrationen einhergehen." Die seismischen Sensoren des "Internet der Ohren" können die Schritte, die Gehrichtung und die Position eines Menschen erkennen und verfolgen.

Getestet haben die Wissenschaftler ihre Technik in Konferenzräumen auf dem Campus und im Smart Living Lab im Ohio Living Breckenridge Village, einem Seniorenheim. Aus Datenschutzgründen wurde die Möglichkeit abgestellt, die Menschen an ihrem Gang zu identifizieren. Dienen sollen die Sensoren etwa dazu, die Energieeffizienz von Gebäuden zu verbessern, die Licht- und Heiz- bzw. Kühlsystem sollten sich den Menschen anpassen, wenn sie sich von einem Raum zum anderen bewegen.

Man könne auch die Sicherheit eines Gebäudes im Hinblick auf die Präsenz von Menschen oder eher von deren Gewicht messen, also abschätzen, ob etwa die Böden in alten Gebäuden dem Druck des Gewichts von Menschen bzw. deren räumlicher Verteilung standhalten. Einleuchtender wäre schon, dass die Informationen bei Katastrophen Helfern dienlich sein oder mit ihrer Hilfe Menschenmengen sicherer geleitet werden könnten.

Die Wissenschaftler propagieren jedenfalls die angebliche Notwendigkeit von "Gebäuden und Infrastruktur mit einer intrinsischen Wahrnehmung ihres eigenen dynamischen und evolutionären Prozesses und der eingebauten Möglichkeiten, ihre menschlichen Bewohner zu überwachen".

Wohl bewusst vergessen haben die Wissenschaftler aber, dass sich ihre Technik eben nicht nur zur Steuerung der Energieeffizienz nutzen lässt, sondern auch zur Überwachung und Erkennung, ob und wo sich Menschen und Menschenmengen in Räumen aufhalten und wer sie sind bzw. ob sich Unbekannte dort aufhalten. Das könnte sowohl für Diebe und Kriminelle interessant sein, wenn sie sich in das Netzwerk einhacken, als auch für Sicherheitskräfte. Zudem ließen sich so Räume für unbefugte oder fremde Besucher sperren.

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