Die rechte Lust an der Revolte

Einer Partei anzugehören, hat etwas Braves an sich. Verwegener ist es, Teil einer "Bewegung" zu sein

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Hass auf das "System" und die "selbsternannten Eliten", Verachtung der "Lügenpresse", Geraune vom kommenden Bürgerkrieg - Woher kommt der Furor der Rechten? Ihre eigene Erklärung lautet: Weil in diesem Lande vieles ganz schiefläuft. Die Erklärung vieler Kritiker lautet: Weil sie intolerant sind und einer antipluralistischen Gesinnung anhängen. Doch eine wesentliche Erklärung muss auch lauten: Weil radikal sein Spaß macht.

Demokratie ist eine großartige Sache, wenn sie einigermaßen richtig funktioniert, aber sie kann auch ein bisschen langweilig sein. Alle sind integriert, alle dürfen mitmachen, jeder zählt. Schon klar, in der Wirklichkeit ist da noch viel Luft nach oben. Doch grundsätzlich ist Demokratie inklusiv, der Streit ist eingehegt, die unterschiedlichen Interessen werden ausgeglichen. Demokratische Politik bewegt sich im Rahmen stabiler Institutionen, anstelle der irren Willkür eines Herrschers herrscht das verlässliche Räderwerk des Rechts. Das ist gut, aber nicht immer aufregend. Manchem Gemüt fehlt es an Dramatik, an Action, am Heroischen.

Was kann man dagegen tun? Freeclimbing vielleicht. Oder Zocken. Für manche ist es auch der Kitzel des Geldverdienens. Doch kaum etwas ist so heldenhaft wie der Widerstand gegen ein unterdrückerisches politisches System. Gegen einen übermächtigen Staat zu kämpfen, ist cool und erfüllend. Der Freiheitskämpfer leidet keinen Mangel an Sinn. Mutig, aufrecht und rechtschaffen gesellt er sich im Geiste zu den Helden vergangener Revolutionen. Er glaubt etwas von der Coolness eines Che Guevara zu erben und von der Lauterkeit eines Václav Havel, auch wenn er sonst nichts mit ihnen gemein hat. Revolte macht euphorisch.

Genau dies macht es so attraktiv, auf die rechte Pauke zu hauen. Und zwar je heftiger, desto mehr. Deshalb ist die Rhetorik der AfD und ihrer Gefolgschaft so durchdrungen mit Vokabeln des Aufstands: "Widerstand", "ziviler Ungehorsam", "geht aufrecht!", "Hol dir dein Land zurück!" und so weiter.

Schon oft wurde festgestellt, dass die Rechten die Protestformen der Linken übernommen haben. Wichtiger aber scheint mir zu sein, dass sie deren aufständische Lust für sich entdeckt haben. Einer Partei anzugehören, hat etwas Braves an sich. Verwegener ist es, Teil einer "Bewegung" zu sein. Eine Partei wird gewählt, eine Bewegung aber macht Geschichte, sie verspricht Eifer, Kampf und Aufruhr.

Der Rausch des Aufstands neigt dazu, ein Eigenleben zu entwickeln, sich also von der tatsächlichen gesellschaftlichen Wirklichkeit ebenso wie von den eigentlichen Anliegen abzulösen. Das kennt man auch von anderen politischen Strömungen. Als Student lebte ich in einer WG mit einigen "Antifa"-Mitgliedern. Ist schon ein Weilchen her, aber ich werde nie vergessen, wie sie von einer Demonstration zurückkehrten, auf der es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen war. Mit leuchtenden Augen kamen sie nach Hause: "War voll geil."

Ich will die Parallele zwischen Links- und Rechtsextremen nicht überstrapazieren, aber gemein ist ihnen die unpolitische Lust an der politischen Revolte, der Spaß am Widerstand gegen die Staatsmacht um seiner selbst willen.

In der Demokratie wirkt die revolutionäre Pose lächerlich

Das Problem ist natürlich: In der Demokratie wirkt die revolutionäre Pose lächerlich. Die Möchtegern-Revoluzzer würden gern eine Bastille oder eine Berliner Mauer stürmen, aber es gibt keine mehr. Sie möchten die Regierenden stürzen, dabei lassen die sich in geordneten Verfahren abwählen. Sie wollen das Tor zur politischen Beteiligung mit Krawall durchbrechen, doch es steht bereits weit offen. Eine Demokratie geht vielleicht aus einer Revolution hervor, aber in ihr ist kein Platz für Revolutionen. So wirken die extrem Rechten wie aufmüpfige Spätpubertierende, die nicht begreifen, dass sie längst mündig sind.

Heißt das, sie sind eigentlich harmlos? Nein, im Gegenteil. Denn irgendwie spüren die Rechten natürlich trotzdem, dass es lächerlich ist, die Medien ungestraft als "Systempresse" zu diffamieren. Oder die Fäuste gegen die Regierenden zu recken, ohne dass die Polizei auch nur mit den Schultern zuckt. Deshalb müssen die Rechten, um nicht als lächerliche Revoluzzer-Wichte erkannt zu werden, unsere Demokratie in Grund und Boden reden.

Erst von daher wird verständlich, warum ein Björn Höcke meinen muss, den "Verwesungsgeruch einer absterbenden Demokratie" in der Nase zu haben. So wird klar, warum ein Alexander Gauland die Bundesregierung ein "Regime" nennt und die Bundeskanzlerin auf den Spuren Erich Honeckers oder gar Adolf Hitlers marschieren sieht.

Dieses aberwitzige politische Seemannsgarn spielt für die extreme Rechte eine wichtige legitimatorische Rolle. Denn nur da, wo es keine Demokratie gibt oder allenfalls eine völlig deformierte, ist der umstürzlerische Gestus angemessen. Erst das groteske Schlechtreden unserer Demokratie verschafft dem rechts-revolutionären Feeling seine scheinbare Berechtigung.

Genau das macht die rechte Revolte so gefährlich. Denn die revolutionär Gestimmten brauchen ihre düster-bizarren Einbildungen. Sie müssen sich das Bild von der Lage der Nation radikal zurechtbiegen, damit es zur eigenen Radikalität passt. Sie müssen ihre politischen Halluzinationen weiter verschärfen, damit die Glut der Kampfeslust nicht erlischt. Um antidemokratisch wirksam zu sein, muss man gar nicht antidemokratisch gesinnt sein. Es reicht, die existierende Demokratie rhetorisch zu vernichten. Denn wer sie rhetorisch abschafft, glaubt sich berechtigt, sie real abzuschaffen.

Was lässt sich dagegen tun? Reden? Gewiss, Miteinander-Reden ist immer gut. Aber gegenüber den Scharfmachern und der Scharfmacherei bedarf es in Zukunft noch einer anderen Strategie: Ihnen gilt es weniger mit eilfertiger Empörung zu begegnen, als vielmehr mit einer gehörigen Portion überlegener Lässigkeit, wie man sie gegenüber Leuten mit Wahrnehmungsstörungen aufbringt. Wem an unserer Demokratie gelegen ist, muss das aufgeblasene revolutionäre Getue der extremen Rechten und ihrer dazu nötigen Autosuggestionen als das benennen, was es ist: als lachhaft. Nicht um die rechte Gefahr zu verharmlosen, sondern um ihrer weiteren Ausbreitung die mentale Grundlage zu entziehen.

Roland Kipke ist Philosoph an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und Autor des jüngst im Metzler-Verlag erschienenen Buches "Jeder zählt. Was Demokratie ist und was sie sein soll" (262 S., 19,99 Euro).