Entscheidung mit dem Hintergedanken, eine Regierung loszuwerden, die unbequem ist?

Grafik: TP

M5S und Lega halten die Empfehlung der EU-Kommission, ein Defizitverfahren gegen Italien einzuleiten, für falsch

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die EU-Kommission hat den Euro-Staaten diese Woche wie erwartet empfohlen, ein Defizitverfahren gegen Italien einzuleiten (vgl. EU-Kommission lehnt italienischen Haushaltsentwurf ab). Nun müssen die Finanzminister der Euro-Mitgliedsländer diese Empfehlung prüfen, wozu sie bis zum Januar Zeit haben. Für den portugiesischen Eurogruppenvorsitzenden Mário José Gomes de Freitas Centeno steht allerdings schon jetzt fest, dass sie "die Europäische Kommission in diesem Prozess unterstützten" werden.

Ein Defizitverfahren kann theoretisch in ein Bußgeld in Höhe von 0,2 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung des betroffenen Landes münden, was beim aktuellen Stand für Italien etwa 3,4 Milliarden Euro wären. Für den Fall, dass sich die EU dazu entschließen sollte, hat die italienische Regierung bereits angekündigt, das Bußgeld nicht zu zahlen. Matthias Kullas vom ordnungspolitisch orientierten Think Tank Centrum für Europäische Politik (CEP) in Freiburg sieht darin einen Anhaltspunkt dafür, dass "der Ansatz, die Haushalte der Mitgliedstaaten durch Gesetze zu steuern, endgültig gescheitert" ist. Seiner Ansicht nach können "letztlich […] nur die Kapitalmärkte Regierungen disziplinieren", weshalb die EU "diesen Ansatz stärken" solle.

Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte hält die Neuverschuldung, die der EU-Kommission Anlass für ihre Empfehlung war, für notwendig, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und Italien so aus der inzwischen schon zehn Jahre währenden Stagnation zu führen. Das nützt seinen Worten nach nicht nur Italien, sondern auch Europa. Der lettische Euro-Kommissar Valdis Dombrovskis glaubt jedoch, dass die Neuverschuldung keine positiven, sondern negative Auswirkungen auf das Wachstum haben wird, weil sie seiner Erwartung nach die Unsicherheit und die Zinssätze steigen lässt.

Berlusconi setzt auf Sturz

Francesco D’Uva, der Fraktionsvorsitzende der M5S, betonte in der italienischen Abgeordnetenkammer, dass seine Regierung mit dem Budgetentwurf gar nicht gegen den EU-Stabilitätspakt verstoße, der eine maximale jährliche Neuverschuldung in Höhe von drei Prozent jährlich erlaubt. Tatsächlich liegt die im Haushaltsentwurf vorgesehene Neuverschuldung von 2,4 Prozent darunter, auch wenn die sozialdemokratische Vorgängerregierung Brüssel eine noch deutlich niedrigere (nämlich 0,8 Prozent) versprochen hatte.

Allerdings ist der Gesamtschuldenstand Italiens mit 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts höher als die dort maximal erlaubten 60 Prozent. Überschreiten die Gesamtschulden eines Landes den Maximalwert, soll es dem Stabilitätspakt nach den Teil, der darüber liegt, alle drei Jahre durchschnittlich um ein Zwanzigstel verringern, damit ein Defizitverfahren vermieden wird. In Italien liegen die Daten, mit denen sich das errechnen lässt, noch gar nicht vor. Die EU-Kommission konstatiert in ihrer Empfehlung deshalb nur eine "erhebliche Gefahr", dass dieses Ziel verfehlt werden könnte.

Die Il-Giornale-Autorin Alessandra Bocchi glaubt angesichts dieser nicht ganz stabilen Konstruktion, dass die Kommission ihre Entscheidung nicht neutral fällte, sondern mit dem Hintergedanken, eine Regierung loszuwerden, die ihr unbequem ist. Als potenzielle Alternative dazu meldete sich bereits der ehemalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der verlautbarte, die Koalition aus M5S und Lega sei "nicht in der Lage, Italien weiterzuregieren" und würde durch eine Verunsicherung internationaler Kapitalgeber die italienischen Unternehmen gefährden.

Salvini erinnert an Italiens Nettozahlerrolle

Der italienische Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini richtete sich dagegen eher an die "kleinen Leute", als er nach der Brüsseler Entscheidung twitterte, er werde "das Recht der Italiener auf Arbeit, Gesundheit, Bildung, weniger Steuern und mehr Sicherheit" verteidigen. Außerdem erinnerte er daran, dass Italien jährlich fünf Milliarden Euro mehr in die EU-Kasse einbezahlt, als es zurückbekommt. Den Umfragen nach kommt diese Position bei den italienischen Wählern gut an: Sie verdoppelten den Wert für seine Lega seit der letzten Wahl auf jetzt 33 Prozent.

Ein anderer Haushalt, mit dem die EU Probleme hat, ist ihr eigener (beziehungsweise der des deutschen Haushaltskommissars Günther Oettinger). Sein Entwurf kam bei den Vertretern der EU-Mitgliedsstaaten so schlecht an, dass Oettinger bis Anfang Dezember einen neuen vorlegen muss. Entpuppt sich auch dieser neue Entwurf als nicht zustimmungsfähig, greift ab dem 1. Januar 2019 eine Regelung, die vorsieht, dass die EU mit dem Monatseinkommen weiterarbeitet, das ihr im letzten Jahr zur Verfügung stand.