Ukraine: Parlament billigt unter Einschränkungen die Verhängung des Kriegsrechts

Bild: Presidential Administration of Ukraine/CC BY-SA-4.0

Unklar bleibt, was Präsident Proschenko damit bezweckt. Russland hat demonstriert, dass die Kontrolle des Asowschen Meers mit militärischer Gewalt gewahrt wird

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Das ukrainische Parlament, die Rada, hat mit einer Mehrheit von 273 Stimmen der Anordnung von Präsident Poroschenko zugestimmt, nach dem Vorfall an der Straße von Kertsch in einigen Gebieten, die an Russland, Transnistrien und das Asowsche Meer grenzen, das Kriegsrecht zu verhängen. Zu dem Zwischenfall kam es, als drei kleine ukrainische Kriegsschiffe durch die Meerenge fahren wollten, aber ein russisches Kriegsschiff sie mit Waffengewalt daran hinderte und beschlagnahmte, weil sie in russische Hoheitsgewässer eingedrungen seien. Ob es russische Hoheitsgewässer sind, hängt auch davon ab, ob die Krim rechtmäßig zu Russland gehört, was die Ukraine und bislang die Vereinten Nationen bestreiten.

Ein ukrainisches Schiff wurde vom russischen Kriegsschiff gerammt. Dass davon Bilder veröffentlicht wurden, dürfte darauf hinweisen, dass Russland demonstrieren will, dass man es ernst meint. 24 ukrainische Seeleute sind noch in russischer Haft und werden befragt. Die Verwundeten werden behandelt, heißt es von russischer Seite. Kurzzeitig wurde darauf die Durchfahrt unter der neuen Brücke zwischen Russland und der Krim durch ein Lastschiff gesperrt.

Russisches Schiff rammt ukrainisches Schiff.

Aus Russland hört man Verwunderung, dass wegen des "kleinen" Zwischenfalls gleich das Kriegsrecht ausgerufen wird, was man bei schweren Kämpfen bislang nicht gemacht habe. Der Vorfall wird als Provokation seitens der ukrainischen Regierung gedeutet, um den Nationalismus vor den Wahlen im nächsten Jahr anzufachen, bei denen die Regierungsparteien nach Umfragen ebenso wie Poroschenko bislang keine große Chancen haben. Angesetzt sind die Wahlen am 31. März.

Die Durchfahrt durch die Passage von Kertsch ist für die Ukraine wichtig, um eine Seeverbindung etwa zur Hafenstadt Mariupol zu gewährleisten. Man darf vermuten, dass Russland Kiew hier Stolpersteine in den Weg liegen will. Mariupol liegt nahe der "Volksrepublik Donezk" und ist von strategischer Bedeutung. Die ukrainische Regierung ruft Alliierte und Partner auf, Maßnahmen zur Abwehr des Aggressors zu ergreifen und neue Sanktionen zu verhängen. Russland ist daran gescheitert, wegen des Vorfalls eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats einzuberufen.

Militante rechte Gruppen üben Druck auf das Parlament während der Abstimmung aus. Bild: Oleh Bohachuk/Censor.NET

Das ukrainische Parlament unterstützt Präsident Poroschenko und hat das Kriegsrecht für 30 Tage in 10 Provinzen (Oblasten) gebilligt. Das wahrscheinlich auch deswegen, weil man in der Ukraine bislang den Ausbau der Armee an den Kämpfen mit den Separatisten der "Volksrepubliken" im Donbass ausgerichtet hatte. Der Zwischenfall hat aber deutlich gemacht, dass die ukrainische Marine schlecht gerüstet und veraltet ist, sofern überhaupt noch vorhanden. Dazu hat Russland mit dem Bau der Brücke über die Straße von Kersch das Asowsche Meer abgetrennt und die Kontrolle der Durchfahrt ermöglicht, was offenbar auch militärisch durchgesetzt wird. Das trifft die Ukraine nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich.

276 der anwesenden 330 Abgeordneten stimmten nach stundenlangen Diskussionen am Abend für die Verhängung des Kriegsrechts ab dem 28. November. Dabei haben die Abgeordneten den Text des Gesetzes gar nicht lesen können, sondern nur die Ausführungen des Parlamentssprechers Andriy Parubiy gehört. Poroschenko wollte eigentlich das Kriegsrecht für 60 Tage über die ganze Ukraine verhängen. Die Einschränkungen zeigen den heiklen Stand des Präsidenten und seiner Regierung. Auf der anderen Seite verlangten rechtsnationalistische Demonstranten, darunter uniformierte Mitglieder des mit dem Asow-Bataillon verbundenen Nationalen Kommandos (Nationalni Druschini oder National Druzhyna) vor dem Parlament eine harte Reaktion.

Mit dem Kriegsrecht können Ukrainer zum Arbeitsdienst eingezogen und Unternehmen zum Dienst der Verteidigung herangezogen werden. Es kann eine Ausgangssperre verordnet und die Kontrolle der Grenzen verstärkt werden. Politische Parteien können verboten, Medien beobachtet und Bürger sowie deren Häuser durchsucht, Eigentum kann beschlagnahmt werden. Interessant ist, dass während des Kriegsrechts keine Wahlen durchgeführt werden können. Zwar wurden erst nur 30 Tage bewilligt, es ist aber nicht klar, wie und aufgrund welcher Bedingungen das Kriegsrecht verlängert werden kann. Man könnte also durchaus den Verdacht hegen, dass die ukrainische Regierung mit dem Kriegsrecht um ihr Überleben kämpft.