KI-System zur präventiven Identifizierung von möglichen Straftätern

Britische Polizei will mit Big Data künftige Täter und Opfer ausmachen, um vor einer Tat zu intervenieren

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Mit viel Geld und großen Versprechungen wird derzeit weltweit die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz gefördert, mit der nebenbei gerechtfertigt werden kann, möglichst viele Daten zu erzeugen. Ohne Zugriff auf Big Data können KI-Systeme nicht effektiv lernen. Dass auch die KI-Systeme nicht objektiv arbeiten, sondern durchaus wie Menschen Vorurteilen nachgehen können, wenn sie entsprechend gefüttert werden, wurde schon öfter bemängelt. Paradebeispiel sind etwa in den USA Programme zur Berechnung der Wahrscheinlichkeit der Rückfälligkeit von verurteilten Straftätern, mit denen auch über das Strafmaß entschieden wird.

Die Schattenseite von großen KI-Systemen hat China schon deutlich gemacht, das deren Einsatz in allen möglichen Bereichen massiv fördert. Heraussticht die Absicht, mit möglichst umfassender Überwachung für alle Bürger ein landesweites System mit Sozialkreditpunkten aufzubauen, um das Verhalten der Menschen nach Staatsraison zu optimieren. Dazu werden Daten aus Zig-Behörden abgefragt. Wer sich "gut" verhält (und politisch unauffällig ist), erhält mehr Punkte und darf mehr, wer sich nicht regelkonform verhält, muss Punkteabzüge hinnehmen, was seine Handlungsmöglichkeiten einschränkt.

Aber das chinesische Punkte-System bezieht sich (noch) nicht auf zukünftiges Verhalten wie die oben erwähnten Programme zur Berechnung der Rückfallwahrscheinlichkeit. Aber es sollen bereits KI-Programme zum Einsatz kommen, die einzelne Uiguren aus Xinjiang herauspicken, die im Sinne des Staats gefährlich werden könnten. Nebenbei wird in Xinjiang, wie Medien und die Menschenrechtsorganisation HRW berichtet haben, die massenhafte Überwachung und Umerziehung von "Gefährdern" erprobt. In solchen Lagern sollen bis zu einer Million Menschen festgehalten werden.

Stärker verbreitet sind etwa Programme, die vorhersagen sollen, an welchen Orten und zu welchen Zeiten sich höchstwahrscheinlich Straftaten wie Einbrüche oder Gewaltkriminalität ereignen (Predictive Staatsschutz). Sie dienen dazu, die Polizeiarbeit zu optimieren, gerade wenn die Stellen unterbesetzt sind. In dem Sinne ersetzen sie bereits Jobs.

In der Science Fiction schon länger vorhergesagt, wird nun in Großbritannien im Rahmen von der West Midlands Police ein Versuch gestartet, mit einem KI-Programm vorherzusagen, welche Menschen ein hohes Risiko haben, ein schweres Gewaltverbrechen zu begehen, wie New Scientist berichtete. Ein Bericht des Alan Turing Institute zur ethischen Evaluierung zitiert weitere Inhalte des Projekts und äußert größere Bedenken. Dabei sollen nicht nur verurteilte Straftäter einbezogen werden, sondern auch von Personen, deren Identität bei "Stop and Search"-Vorfällen festgestellt wurde. Aber es geht noch darüber hinaus.

Allerdings ist noch vieles im Vagen. Noch ist das System nur angedacht, aber es ist bereits die Absicht, ein Präventionssystem zur Identifizierung möglicher Täter zu schaffen, das das Projekt hervorhebt. Das britische Strafverfolgungssystem war schon immer wegen seiner "Innovationen" bekannt, gleich ob es um Überwachungskameras, den Aufbau einer nationalen Gendatenbank oder die Verarbeitung von Daten geht.

Kombination aus KI und Statistik

Unter dem Titel National Data Analytics Solution (NDAS) soll jetzt mit "einer Kombination aus Statistik und KI" das Risiko ermittelt werden, dass jemand zu einem Straftäter oder zu einem Opfer einer Gewalttat wird. Auch die Wahrscheinlichkeit soll ermittelt werden, mit der jemand zum Opfer moderner Sklaverei werden könnte (offenbar ist damit auch gemeint, wenn jemand von Schleusern ins Land geschmuggelt wird). Die Abteilung Digital Investigations and Intelligence der West Midlands Police unter der Leitung von Superintendent Iain Donnelly soll bis Ende nächsten Jahres einen Prototyp erstellen. Mitbeteiligt sind acht weitere Polizeibehörden, die Absicht ist, dass alle Polizeidienststellen des Landes NDAS bzw. NAS benutzen können. Die Wunschvorstellung:

Die Ermöglichung von Präventionsmodellen der Polizeiarbeit, so dass die Strafverfolgungspartner einen präventiven und proaktiven Zugang zur Kriminalität und auch zu einer nicht mit Kriminalität verbundenen Nachfrage haben, um Bedrohungen und Schaden zu verhindern, bevor sie sich ereignen.

Nach Donelly ist die Initiative im Rahmen der "Data Driven Insight & Data Science Capability for UK Law Enforcement" auch von Budgetkürzungen motiviert. Man brauche ein System, um die bereits bekannten Menschen zu überwachen und diejenigen herauszupicken, die eine Intervention erforderlich machen. Man wolle aber damit als künftige Straftäter gekennzeichnete Menschen nicht strafrechtlich belangen oder sie präventiv festnehmen, sondern beispielsweise Sozialarbeiter oder bei psychischen Störungen den Gesundheitsdienst zu ihnen schicken, um ihnen zu helfen, also sie davon abzuhalten, eine Straftat zu begehen. Das ist auch bei möglichen Opfern angedacht. Genaues sei aber noch nicht festgelegt worden.

Nach der Beschreibung von NDAS werden von der Polizei gesammelte Daten herangezogen, es wird aber auch daran gedacht, solche von "Partner" einzubeziehen: "social care services, local authorities, education providers and other emergency services), private sector organisations or open source". Je mehr "Partner" mitmachen, so wird versprochen, desto bessere Daten gebe es und desto mehr Interventionen könnten erfolgen.

Terabyte an Daten

Die Polizeibehörde gibt an, dass bereits jetzt ein Terabyte an Daten aus vielen Datenquellen gesammelt wurden, darunter 10 Millionen namentliche Einträge und 30 Millionen von Vorfällen mit 1349 KPIs (Key Performance Indicator oder Leistungskennzahl). Daraus konnte man 5,2 Millionen Identitäten gewinnen, die mit 1,9 Vorfällen verbunden sind. Die Rede ist von einer Genauigkeit des Algorithmus bei der Verbindung von Namen mit Vorfällen von 99 Prozent. 32 der gefundenen KPIs hätten sich als besonders wichtige Indikatoren erwiesen, die meist mit dem sozialen Netzwerk der Personen zu tun hätten.

Bild: West Midlands Police

Hier ging es darum, Risikoprofile von Menschen, einschließlich Kinder unter 11 und zwischen 11-16 Jahren zu erstellen, die in Gruppen als "influencer" wirken - und deswegen die höchste Wahrscheinlichkeit haben, zum Straftäter zu werden und andere mitzuziehen. Erkannt werden sollen vor allem jene, die auf dem Wege sind, solche Beeinflusser zu werden. Bei der ganzen Sache geht es auch um eine Kostenanalyse. So sollen beispielsweise die Kosten berechnet werden, die eine Person verursacht, der eine Straftat alleine oder mit anderen verübt hat, nachdem er zu einem Influencer geworden ist

Man wollte herauskriegen, wer bereits einen anderen Menschen verletzt hat und zuvor mit anderen (co-offended) eine solche Tat begangen hat. Die Hypothese ist, dass viele zuerst in einer Gruppe erste Straftaten begehen und dann auch eher alleine ausführen. So haben nach der Auswertung 52 Prozent derjenigen Unter-11-Jährigen, die zuerst gemeinsam eine Straftat begangen haben auch später eine Gewalttat begangen. Bei Älteren sinkt die Wahrscheinlichkeit. Ziel ist es, Mitglieder der Kerngruppe, die 2 und mehr Verbrechenbegangen haben, und deren Beeinflusser zu identifizieren, die das meist im Alter zwischen 14 und 20 Jahre werden sollen. Sie sind direkt oder über eine andere Person an Straftaten beteiligt. Nach der Analyse gelten 5 Prozent der Straftäter als Beeinflusser, die für 40 Prozent der gemeinsam verübten und 23 Prozent der alleine verübten Straftaten verantwortlich sind