Syrische Opposition trifft sich in Nordsyrien

Dialogforum der syrischen Opposition in Ayn Isa. Bild: ANFNews

Zeitgleich zu den Astana-Gesprächen in Kasachstan, wo Russland, der Iran, eine syrische Regierungsdelegation und die Türkei erneut über Syrien ohne die Opposition beraten

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Es ist die zweite Konferenz der syrischen, demokratischen Opposition, die sich dieser Tage im nordsyrischen Ain Isa traf. Die erste dreitägige Konferenz fand am 19. Juli dieses Jahres statt. Organisiert wurde die Konferenz vom Demokratischen Syrienrat (MSD), an der über 100 arabische, kurdische, aramäische, armenische, assyrische und turkmenische Vertreterinnen und Vertreter von Parteien, demokratischen Gruppen und unabhängigen Persönlichkeiten teilnahmen. Sie kamen aus Nord- und Ostsyrien: aus Tartus, Latakia, Homs, Hama, Şehba und Damaskus. Auch aus Brüssel, Deutschland, der Schweiz, der Türkei, dem Libanon und Ägypten waren Teilnehmer präsent.

Auf der Tagesordnung stand die humanitäre Situation in Syrien, das demokratische Verwaltungsmodell der nordsyrischen Föderation, die ökonomische Lage, eine mögliche neue Verfassung für Syrien und das Thema "Frauenbewegung in Syrien". Ferhad Hemo, Mitglied des "Komitees für Diplomatie" berichtete der kurdischen Nachrichtenagentur ANF, das Hauptziel der Konferenz sei es, die verschiedenen oppositionellen, demokratischen Strukturen und Personen in Syrien einander näherzubringen und gemeinsame Punkte zu finden. In Astana wurde bis heute die Lösung für Syrien immer außen gesucht. Letztendlich würden diese Staaten nur über ihre eigenen Vorteile sprechen. Wieder säßen keine Vertreter der Opposition oder der Minderheiten mit am Tisch, kommentiert Hemo die Astana-Gespräche: "Aber wir als Menschen aus Syrien kommen zusammen und diskutieren in Syrien über die Lösung des syrischen Problems hier im Land."

Die Ko-Vorsitzende des Demokratischen Syrienrats (MSD), Ilham Ehmed, erklärte den Teilnehmern das dezentrale Modell der Demokratisch-Autonomen Selbstverwaltung als Lösungsmöglichkeit für die Probleme zwischen dem staatlichen System und der Gesellschaft. Durch die Einbeziehung der Bevölkerung auf allen Ebenen der Verwaltung können Probleme zur Zufriedenheit der Bevölkerung gelöst werden.

Das Modell der demokratischen Selbstverwaltung kann nicht nur auf der Grundlage eines Volks oder einer Weltanschauung aufgebaut werden. Eine demokratische Nation entsteht aus der Vereinigung der kulturellen und nationalen Identitäten. Das ist die Grundlage der autonomen Selbstverwaltung. In der Kultur der demokratischen Autonomie kann keine Identität oder Weltanschauung verleugnet werden.

Ilham Ehmed

Ziyad Wetfe vom Koordinationskomitee der Bewegung für einen Demokratischen Wandel und der promovierte Ökonom Ehmed Yûsif referierten zum Thema Ökonomie. Die fehlenden Sicherheitsbedingungen in der Region seien ein großes Problem für die Realisierung von ökonomischen Projekten. Viele Arbeitsbereiche müssten neu definiert werden, insbesondere die Landwirtschaft. In der Tat ist der Anbau von Monokulturen, wie es das Regime jahrzehntelang praktizierte, mittlerweile ein großes Problem in der Region. Die Böden sind auslaugt, der Anbau verbraucht zu viel Wasser, vor allem seit die Türkei durch ihre Wasserpolitik Nordsyrien den Hahn zugedreht hat. Dr. Ehmed Yûsif beschrieb die Ansätze eines neuen ökonomischen Systems, wie z.B. den Aufbau von Kooperativen, das letztlich der gesamten Bevölkerung zu Gute kommen müsste.

Die gesamten Syrien-Gespräche sind ein diplomatisches Fiasko

Es hätten mittlerweile über 50 Gespräche in Genf, Wien, München, Wien, Astana, Riad, Kairo und Sotschi stattgefunden, die letztendlich immer wieder zur Verschärfung des Krieges beigetragen haben, beklagten die Teilnehmer.

Letztendlich seien diese Gespräche reine Zeitverschwendung, da es nicht wirklich um eine tragfähige Lösung für Syrien ginge. Das syrische Regime habe ebenfalls keine Lösung anzubieten, befanden die Redner auf dem Treffen in Ain Isa. Die verschiedenen Völker in Syrien brauchen Frieden und Freiheit, das Regime akzeptiere jedoch keine demokratische Lösung unter Berücksichtigung der Minderheiten. Syrien ist kein arabischer Staat, es ist ein Vielvölkerstaat - wie alle Staaten der Region. Dies müsse die syrische Regierung endlich akzeptieren, es gäbe kein Zurück mehr zu Zeiten vor der "Revolution".

Das zeige sich auch an den vielen Binnenflüchtlingen. Obwohl die Situation in den Flüchtlingslagern in Nord- und Ostsyrien schwierig ist, wollen sie nicht in ihre Heimatorte zurückkehren - sie trauen dem Regime nicht. Immer wieder gibt es Berichte darüber, dass die syrische Regierung Geflüchtete verhaften lässt und sie als Vaterlandsverräter betrachtet. Der IS sei zwar militärisch geschwächt, aber längst nicht besiegt. Dr. Abdulkarim Omar von der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens erklärte gegenüber ANF:

Wenn wir kein demokratisches, dezentrales und friedliches Syrien aufbauen, können wir dem Terror keinen Einhalt gebieten. Ja, wir haben den IS militärisch zurückgedrängt, aber er lebt immer noch als Geisteshaltung und diese Mentalität stellt die Grundlage dafür dar, dass er wiederauferstehen kann. Diese Grundlage kann nur durch Demokratie, Frieden und eine dezentrale Verwaltung aufgehoben werden.

Abdulkarim Omar

Hauptproblem Türkei

Mit ihrer Expansionspolitik verschärft vor allem die Türkei die Krise in Syrien. Darin sind sich die Teilnehmer des Kongresses in Ain Isa einig. Die Ko-Vorsitzende des Regionalrats von Afrin, Şîraz Hemo, berichtete, dass die Besatzungstruppen der Türkei in Afrin alle möglichen Formen von Gewalt wie Entführungen, Massaker und Vertreibungen praktizieren. Sie forderte die internationale Gemeinschaft und Menschenrechtsorganisationen auf, endlich gegen die Besatzung Position zu beziehen und die Verbrechen an der Bevölkerung von Afrin zu stoppen: "Sie müssen sich für einen Rückzug der Türkei aus Afrin einsetzen. Denn der türkische Staat hat Afrin besetzt."

Fatah Camus von der Bewegung für einen demokratischen Wandel (Heyet al-Tensiq) aus Homs warnte, der türkische Staat wolle die Besetzung Syriens mit Hilfe seiner Milizen weiter ausdehnen: "Der türkische Staat will nicht nur Idlib, sondern auch die Regionen östlich des Euphrat besetzen. Mit Hilfe der Dschihadisten will die Türkei in den Osten des Euphrat vorstoßen und ihn besetzen."

Erdogan wird in der Tat nicht müde, immer wieder seine Expansionspläne entlang der gesamten Grenze zu Syrien kundzutun. Ende Oktober griff die Türkei mehrmals die Grenzbereiche der demokratischen Föderation Nordsyrien an, es gab Tote und Verletzte. Die nordsyrischen Militärs (SDF) stoppten daraufhin ihre Offensive in Ostsyrien bei Deir ez Zor, um ihre Präsenz an der Grenze zur Türkei zu verstärken. Die Übergriffe der Türkei verschafften damit dem IS eine Verschnaufpause, die dieser zu einer neuen Offensive nutzte.

Am Montag berichtete die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte von einem Angriff des IS, bei dem 200 Menschen innerhalb von 3 Tagen ihr Leben verloren, darunter 19 Kinder. 92 der Toten sollen den SDF angehören, 61 seien IS-Kämpfer gewesen und 51 Zivilisten. Der IS soll rund 500 Kämpfer mobilisiert haben, darunter auch mehrere Selbstmordattentäter. Erst mit Hilfe von Luftangriffen der internationalen Anti-IS-Koalition sei es den SDF-Kämpfern schließlich gelungen, den Großangriff zurückgeschlagen, meldete die in London sitzende syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Überprüfen lassen sich die Meldungen nicht, da die Beobachtungsstelle ihre Informationen aus Berichten vor Ort bezieht.

Dass der türkische Präsident an seinen Expansionsplänen in Syrien festhalten wird, bestätigte der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu am Freitag, indem er erklärte, dass die Umsetzung der türkischen Roadmap im Osten des Euphrat den Zerfall der syrischen kurdischen Streitkräfte zur Folge haben wird.

Kritik in Astana an der Türkei

Seit Januar 2017 gibt es die Astana-Gespräche. Doch eine Lösung für einen Friedensprozess für ganz Syrien ist dort kein wirkliches Thema. Hauptthema dieses Gipfels war das Problem mit der Islamisten-Hochburg Idlib. Im Oktober traf sich der türkische Präsident Erdogan mit dem russischen Präsidenten in Sotschi, um eine Offensive der syrischen Armee auf Idlib zu vermeiden. Sie einigten sich auf eine 20 km breite entmilitarisierte Pufferzone.

Erdogan bekam daraufhin noch etwas Zeit, um seine unerledigten Hausaufgaben, die Islamisten unter einem Dach und dem Kommando der Türkei zu vereinen und handzahm zu machen. Die bewaffneten islamistischen Gruppen sollten aus Idlib abziehen. Nur, bis heute denken diese nicht daran. Die Türkei hat es bis heute nicht geschafft, dass auch nur eine Gruppe die Waffen niedergelegt hat. Abziehen können sie im Prinzip nur in die von der Türkei annektierten Gebiete bei Afrin und Dscharablus. Doch auch dort zerreiben sich die verschiedenen Islamistenmilizen gegenseitig. Jeder will möglichst viel vom Kuchen abhaben, den die Türkei anbietet.

Dies sieht auch der syrische UN-Botschafter Baschar al-Dschafari so. Baschar al-Dschafari leitete bei den Syriengesprächen in Astana die syrische Regierungsdelegation. Die Türkei sei ihren Verpflichtungen aus dem Sotschi-Abkommen nicht nachgekommen. Die Vereinbarungen von Sotschi seien deshalb von "den Terroristen in Idlib" verletzt worden. Er forderte als Konsequenz den Rückzug der türkischen Kräfte aus Syrien. Er beschuldigte ferner die Türkei, die Islamisten mit Chemiewaffen ausgerüstet zu haben, die diese in Aleppo eingesetzt hätten. Die Aktivitäten der Türkei in Syrien seien eine "offene Aggression".

Anstatt mit leichten Waffen polizeiliche Aufgaben zu übernehmen, hat die Türkei Soldaten und schwere militärische Ausrüstung in den Norden Syriens geschickt. In syrischen Städten werden türkische Fahnen aufgehängt … Ankara hat 11.000 bewaffnete Soldaten nach Idlib geschickt. Gemäß der Vereinbarung sollte die türkische Seite in diesen Gebieten zwölf Polizeikontrollpunkte einrichten.

Baschar al-Dschafari

Russland beschuldigt die Islamistenmiliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die mit der Türkei verbündet ist, die Giftgasangriffe aus Idlib ausgeführt zu haben (Angebliche Giftgasangriffe aus Idlib). Regelmäßig wird behauptet, dass HTS und die Weißhelme kooperieren. Die Weißhelme werden u.a. von den USA, Kanada, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland unterstützt. Diese Länder hatten zugesagt, Weißhelme aufzunehmen, die aus Syrien über Israel geflüchtet waren. In Deutschland wurde die Aufnahme der Weißhelme in den Medien kontrovers diskutiert. Seitdem ist es in Deutschland still geworden zu diesem Thema, keiner weiß, ob ihnen tatsächlich Asyl gewährt wurde. Auch von Russland musste sich die Türkei in Astana heftige Kritik anhören. Da es der Türkei bis heute nicht gelungen sei, die Islamisten aus der Region Idlib zurückzuziehen, sei Russland bereit, die Bombardierungen gegen die Islamisten dort fortzusetzen. Der russische Sonderbeauftragte für Syrien, Alexander Lavrentyev, berichtete am Mittwoch, rund 15.000 Kämpfer hätten sich der Al-Nusra-Front, einer Al-Qaida-Tochter, angeschlossen, die in Hayat Tahrir al-Sham (HTS) umbenannt wurde. In diesem Punkt gibt es einen deutlichen Dissens zwischen Russland und der Türkei. Während HTS für Russland eine islamistische Terrormiliz ist, sieht die Türkei in HTS einen engen Verbündeten (Syrien: Chemieangriffe sind wieder Alltag).

Auch der scheidende UN-Syriengesandte Staffan de Mistura kritisierte am Donnerstag, die zweitägigen Gespräche hätten "keinen greifbaren Fortschritt zur Überwindung des zehnmonatigen Patts bei der Zusammensetzung des Verfassungskomitees gebracht". Es sieht so aus, als hätte sich die Einschätzung aus Ain Isa, die Syriengespräche in Astana seien ein diplomatisches Fiasko gewesen, bewahrheitet.