DGB-Vorschlag zur Hartz-IV-Reform: "Garantiertes Auffangversprechen"

Der Gewerkschaftsbund sieht eine deutliche Verlängerung des Bezugs des Arbeitslosengelds vor, höhere Regelsätze und eine Reform des Systems zur Aufstockung

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Als größten Fehler von Hartz IV hat DGB-Chef Reiner Hoffmann vor wenigen Wochen in einem Interview die drastischen Kürzung der Leistungen von Arbeitslosen hervorgehoben. Konkret sprach er das Abrutschen vom Arbeitslosengeld I auf ALG II, meist Hartz IV genannt, an: Die Arbeitslosen dürften nicht schon nach zwölf Monaten in die Grundsicherung rutschen, sagte er.

Dazu hat man sich im Deutschen Gewerkschaftsbund nun Vorschläge überlegt. Sie machen den konkreten Teil eines Positionspapiers zur Korrektur des Hartz-IV-Systems aus, das man der Zeit-Redaktion zugespielt hat. Die Wochenzeitung veröffentlicht heute Kernpunkte und Details des DGB-Konzepts sowie ein paar ergänzende Erklärungen von Annelie Buntenbach, die im Vorstand des Gewerkschaftsbunds ist.

Auch Buntenbach sieht den Hauptfehler des gegenwärtigen Hartz-IV-Systems darin, dass es Beschäftigte dem Risiko des Abdrängens in die Bedürftigkeit aussetzt, ohne ihnen eine angemessene Sicherheit in Aussicht zu stellen. Dem müsse anders als bisher begegnet werden: Mit einem "garantierten Auffangversprechen", das die "Arbeitsleistung von Beschäftigten würdigt und soziale Sicherheit schafft".

Zum ersten Punkt - der Würdigung von Arbeitsleistung - liefert das DGB-Positionspapier tatsächlich ganz praktische und konkrete Vorschläge. Sie laufen darauf hinaus, dass das ALG I länger bezahlt wird, je nach der Dauer der vorhergehenden Beschäftigung.

"Wer insgesamt zehn Jahre lang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, soll demnach fünf zusätzliche Monate lang Arbeitslosengeld I beziehen", berichtet die Zeit von dem Vorschlagspapier. Es folgen noch weitere Beispiele, die verdeutlichen, wie man sich beim DGB die Verlängerung des ALG I über die bisherige 12-Monats-Begrenzung der Leistung vorstellt:

Nach dem DGB-Modell würde beispielsweise eine unter 50-Jährige mindestens 17 Monate lang Arbeitslosengeld I bekommen und maximal 29 Monate lang. Wer unter 50 ist, aber 20 Jahre lang beschäftigt war, käme auf eine Bezugsdauer von knapp zwei Jahren. Und wer etwa mit 55 Jahren und nach 30 Jahren Beschäftigungszeit seinen Job verliert, der erhielte 33 Monate lang Arbeitslosengeld I. Auch wer kurz vor der Rente steht und gesundheitliche Probleme hat, soll länger als bisher Arbeitslosengeld bekommen.

Die Zeit

DGB-Chef Reiner Hoffmann hat, nicht nur im eingangs erwähnten Interview, sondern auch an anderer Stelle eindeutig Position gegen die Vorschläge der Grünen bezogen. Deren Vorsitzender Robert Habeck hatte - ebenfalls in der Zeit - ein Strategiepapier dazu vorgestellt, wie Hartz-IV zu ersetzen wäre und dabei ein "staatliches Garantiesystem" vorgestellt, bei dem der "Zwang zur Arbeitsaufnahme entfällt" (vgl. Der Sozialstaat in grün - Zauberwort: Garantiesicherung). Darüber hinaus tritt Habeck dafür ein, dass die Sanktionen wegfallen.

Erwerbsarbeit als "zentraler Baustein der Gesellschaft"

Damit hadert die Gewerkschaft. Sie sieht darin, wie der DGB-Vorsitzende Hoffmann kritisiert, eine "mögliche Entkoppelung von Arbeit und Leistungsbezug". Für die Gewerkschaften bleibe die Erwerbsarbeit der zentrale Baustein der Gesellschaft. Das ist auch den Vorschlägen zur Verlängerung des ALG I zu entnehmen, die von der zuvor geleisteten Erwerbsarbeit abhängig ist.

Das werden sicherlich diejenigen als gerechter empfinden, die viele lange Jahre gearbeitet haben und sich darüber ärgern, dass sie wie andere, die weitaus weniger lange eingezahlt haben, nach 12 Monaten in die Grundsicherung rutschen.

Aber dazu gibt es, worauf an dieser Stelle Alexander und Bettina Hammer in ihrer Kritik am Nahles-Vorschlag zur Hartz-IV-Reform aufmerksam machten, auch andere Haltungen und Positionen, die mit einer "Abkehr vom Denken, dass die Erwerbsarbeit das Zentrum des Lebens sein soll" einhergehen.

Das DGB-Papier ist prinzipiell nicht weit von der Position Nahles entfernt, die Alexander und Bettina Hammer prägnant mit der Aussage zusammenfassen. "Wir wollen ein Recht auf Arbeit - und eben nicht ein Recht auf bezahltes Nichtstun. Das ist die exakt entgegengesetzte Logik."

Recht auf Weiterbildung

Es geht einerseits darum, vor dem Abrutschen abzusichern und anderseits darum, die Arbeitslosengeldbezieher wieder in Arbeit zu bringen. So betont man den Wert von Weiterbildungsmaßnahmen.

Menschen ohne Arbeit sollen ein Recht auf Weiterbildung erhalten, heißt es in der Zeit und: "Wer an einer Qualifizierungsmaßnahme teilnimmt, soll nach den Plänen des DGB 15 Prozent mehr Arbeitslosengeld erhalten, mindestens aber 200 Euro zusätzlich."

Zudem soll ein Recht auf eine "intensivierte Vermittlung, Beratung und Betreuung durch die Agentur für Arbeit bzw. das Jobcenter eingeführt werden. Die Behörden sollen dafür personell besser ausgestattet werden.

Leistungsbezug an "gute Gründe geknüpft"

Das Konzept des DGB ist auf das Ziel der Wiederbeschäftigung ausgerichtet, das auch mit Pflichten verbunden wird. Zwar sollen die heutigen Sanktionen abgeschafft werden, aber man spreche sich "nicht generell gegen Pflichten für Arbeitslose aus". Aus dem Konzeptpapier wird zitiert, dass es für den sozialen Zusammenhalt wichtig sei, dass der Leistungsbezug an "gute Gründe geknüpft ist".

Wie diese guten Gründe aussehen, wird leider nicht konkretisiert. Die Zeitung nennt in diesem Zusammenhang nur eine Art "Bemessungsgrenze": Dass dies (die Verknüpfung des Leistungsbezugs mit guten Gründen) nicht dazu führen dürfe, dass das Existenzminimum unterschritten wird.

Wie hier ersichtlich, gibt es offenbar auch in diesem Papier, das sehr konkret neue Regelungen zur Verlängerung des ALG I vorstellt, noch einige vage Flächen, die brenzlige Punkte überdecken.

Die Aufstocker

Ein gewisser Kosmetik-Anteil, der den Vorstößen aus der SPD und den Grünen vorgehalten wird, ist auch beim DGB-Papier zu sehen. Zum Beispiel wenn es um den Ansatz geht, dass Aufstocker aus dem Hartz IV-System rausgenommen werden sollen. Die Zeit schreibt dazu:

Tatsächlich sind die meisten der heutigen 4,2 Millionen Menschen, die Hartz IV erhalten, nicht Arbeitslose, sondern Personen, die aufstockende Leistungen beziehen. Neben Verbesserungen bei den Löhnen, etwa durch die Erhöhung des Mindestlohns oder mehr allgemeinverbindlich erklärten Tarifen, soll daher die Anrechnung von Erwerbseinkommen beim Wohngeld entschärft und außerdem der Kinderzuschlag erhöht und nach dem Alter der Kinder gestaffelt werden. Nach Berechnungen der Gewerkschaften wären dann 480.000 Erwachsene und 400.000 Kinder nicht mehr auf Hartz IV angewiesen.

Die Zeit

Es bleibt offen, was genau damit gewonnen wird, wenn dies darauf hinausläuft, dass der Wegfall von Hartz-IV-Leistungen für Aufstocker künftig durch mehr Wohngeld und mehr Leistungen für Kinder kompensiert wird? Mehr Sicherheit für die Betroffenen, weniger Bürokratie, ein überschaubareres System oder eine bessere Statistik, weil sich die Verwaltungsrubrik ändert?

Laut Zeit plädiert der DGB auch dafür, dass die Regelsätze neu ermittelt und erhöht werden. Eine Sachverständigenkommission aus Wissenschaftlerinnen, Vertretern und Vertreterinnen der Tarifpartner sowie aus Wohlfahrtsverbänden und Betroffenenorganisationen soll die Höhe festlegen und regelmäßig anpassen. Auch soll das Schonvermögen neu angepasst werden. Leistungsempfängern soll "künftig nicht mehr so viel weggenommen werden, dass sie von Armut betroffen sind".

Für all diese Vorschläge gibt es keine Zahlen. So bleibt erstmal die Größenordnung der Kosten unbekannt.

Dafür rechnet der DGB vor, dass 1,6 Millionen von derzeit etwa 4,2 Millionen Hartz-IV-Empfängern durch die Maßnahmen aus dem reformbedürftigen System fallen und "materiell bessergestellt würden".