Gelbe Westen: Wie mit dem Zorn umgehen?

Proteste am 24. November 2018 in Paris. Foto Bernard Schmid

Proteste in Frankreich: Gewerkschaften versuchen eine eigene Spur zu ziehen. Die Regierung rüstet sich indessen gegen die erwartete Gewalt am Samstag

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In Frankeich spitzen sich die Dinge zu, denn in diesen Tagen entscheidet sich, ob der Protest der "Gelben Westen" abflauen oder aber aufrechterhalten bleiben wird. Dem kommenden Samstag, den 08. Dezember, könnte dafür entscheidende Bedeutung zukommen.

Unsichere Regierung

Das Regierungslager unter Präsident Emmanuel Macron und seinem Premierminister vermittelt den Eindruck, dass sie unter Druck stehen, der sie panisch macht. Im Laufe der Woche gab es dort zunächst einiges Hin und Her über die Frage, ob die ab dem 1. Januar 19 geplante Spritsteuererhöhung nun vorübergehend ausgesetzt sei - wie es zunächst von Regierungsseite her hieß, wo die Verschiebung als "Moratorium" bezeichnet wurde - oder vielleicht doch sogar aufgehoben?

Am gestrigen Mittwochabend entschied sich dann der Elysée-Palast, das präsidiale Machtzentrum in Frankreich, für die zweitgenannte Sprachregelung: Die Spritsteuer-Anhebung sei "abgeschafft". Bei genauerem Lesen oder Hinhören ist dann wiederum von "abgeschafft für 2019" die Rede, also lediglich für das kommende Haushaltjahr, in dessen Staatshaushalt die Erhöhung nicht eingeplant ist. Dies entspricht zunächst einem Ausfall von zwei Milliarden Euro an voraussichtlichen Einnahmen. Für die darauffolgenden Jahre gibt es natürlich noch keine Haushaltsgesetze.

Unter dem Druck der Proteste zeichnen sich auch an anderer Stelle im Regierungslager zunehmende Risse ab. Mehrere Regierungsmitglieder, unter ihnen Frauenministerin Marlène Schiappa, haben zu erkennen gegeben, dass sie nicht gegen eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer (ISF) seien, welche Emmanuel Macron 2017 - ganz zu Anfang seiner Regierungszeit - kippte, was dem Staat vier Milliarden Euro Einnahmen von Reichen und Superreichen entgehen ließ.

Dafür wurde die Ministerin jedoch durch Macron in scharfer Form zur Ordnung gerufen. Im Sinne dessen, was in Deutschland zu Gerhard Schröders Regierungszeit als "Bastapolitik" bezeichnet wurde, "haute" Macron auf den Kabinettstisch und schloss jegliche Wiedereinführung der Vermögensabgabe aus.

Unterdessen versucht die Regierungsspitze die Wahrnehmung der Ereignisse zu dramatisieren: Aus dem Elysée-Palast verlautbarte, man rechne für Samstag mit der Anreise von "Tausenden Personen, die kommen, "um kaputtzuschlagen und zu töten" und mit "großer Gewalt" zu agieren. Die Sache mit der behaupteten Tötungsabsicht ist dann wahrscheinlich doch allzu starker Tobak.

Dramatisierungen

Auch an anderer Stelle wird reichlich dramatisiert. So wollte der seit kurzem amtierende französische Innenminister Christophe Castaner am Sonntagabend nicht ausgeschlossen wissen, dass der - infolge der Attentate vom Bataclan und an anderen Orten verhängte und von November 2015 bis zum 31. Oktober 2017 landesweit geltende - Ausnahmezustand erneut verhängt werde. Diesbezüglich wollte er zunächst "keine Tabus" in der Diskussion gelten lassen.

Am Montag früh schien diese Option jedoch, laut seinem Innen-Staatssekretär Christophe Nuñez, wieder vom Tisch. Allerdings sollen nun die polizei- und ordnungsrechtlichen Maßnahmen im Hinblick auf künftige Protestversammlungen überdacht werden.

Der konservative Oppositionsführer Laurent Wauquiez (Les Républicains) - selbst ein Gegner der Spritsteuererhöhung - seinerseits forderte von der Regierung, "den Ausnahmezustand für einige Tage einzuführen". Solche Vorschläge scheinen sogar relativ populär, denn wenn die Bevölkerung auch laut Meinungsumfragen mehrheitlich die Anliegen der Protestierenden unterstützt, so ist zugleich auch eine knappe Mehrheit ebenfalls für einen Ausnahmezustand auf Zeit.

Proteste am 24. November 2018 in Paris. Foto Bernard Schmid

Innerhalb der Polizei selbst, wo es von Anfang auch Sympathien für die Protestbewegung - zumal diese als nicht-linke wahrgenommen wurde - gegeben hat, werden nun die Verwaltungsdienste ab kommenden Samstag zum "unbefristeten Streik" aufgerufen. Zugleich fordert aber auch eine Polizeigewerkschaft, angesichts der heftigen Auseinandersetzungen am 1. Dezember rund um die Champs-Elysées, eine Verstärkung der Polizeikräfte durch die Armee

Inhaltlich stellt sich die Frage, ob es neben der - in der Anfangsphase gegenüber der Öffentlichkeit sehr präsenten Rechten und extremen Rechten - nun auch Versuche seitens der Linken oder der Gewerkschaften gibt, auf diese Bewegung Einfluss zu nehmen.

Linke versucht Einfluss zu gewinnen

Tatsächlich wird dies über verschiedene Kanäle versucht, denn die Bewegung hat in Wirklichkeit zwei unterschiedliche Gesichter: Die eine Dynamik läuft darauf hinaus, dass man generell von Steuern, Abgaben und darüber hinaus von Formen gesamtgesellschaftlicher Verantwortung am liebsten in Ruhe gelassen werden will. Dies findet auch darin seinen Ausdruck, dass Angehörige der Protestbewegung etwa ein Finanzamt im zentralfranzösischen Riom abfackelten.

Eine andere Dynamik hingegen beansprucht eher Steuergerechtigkeit. Auf dieser Seite der Bewegung spricht man sich dagegen aus, dass durch - nicht einkommensproportionale - Verbrauchssteuern ein Staatshaushalt ausgeglichen wird, dem zugleich etwa durch die Abschaffung der oben zitierten Vermögenssteuer Einnahmen entzogen werden.

Hier ist man nicht generell gegen Steuern oder gegen ökologische Erfordernisse, sondern möchte darüber diskutieren, wie sie beschlossen werden und wer belastet wird. Beide zueinander widersprüchlichen Tendenzen finden sich in dieser Bewegung wieder.

Auf parlamentarischer Ebene haben die etablierten Linksparteien - Sozialdemokratie, die Kommunistische Partei, die Wahlplattform LFI ("Das unbeugsame Frankreich") von Jean-Luc Mélenchon - für kommenden Montag einen Misstrauensantrag gegen die Regierung angekündigt. Aufgrund der bestehenden parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse werden sie diese jedoch mit der Zahl ihrer Sitze nicht stürzen können.

Was die Haltung der Gewerkschaften betrifft, so haben sich die Positionen unterdessen zum Teil verschoben, im Sinne einer gewissen Annäherung zumindest an Teile der Protestbewegung.