Innovation: Bahn führt aleatorischen Fahrplan ein

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Es soll dem Zufall überlassen bleiben, ob ein Zug fährt, wann und wohin, nach der statistischen Wahrscheinlichkeit soll sich so die Verbindungsqualität deutlich erhöhen

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Die Deutsche Bahn stellt zum 9. Dezember auf einen sogenannten aleatorischen Fahrplan um. Damit ist der deutsche Staatsbetrieb weltweit Vorreiter in Sachen Transparenz und Unabhängigkeit. "Heute kosten uns Verspätungen, Zugausfälle, Personalengpässe und alle Arten von Störungen des Betriebsablaufs viel Kraft und Kreativität", erläutert Fahrplan-Vorstand Fred Steinhauer auf Anfrage. "Fast jedes Malheur muss von uns per Hand erarbeitet werden. Es ist ja nur der böse Spott Unkundiger, das Gesamtkunstwerk Deutsche Bahn den vier Jahreszeiten zuzuschreiben."

Künftig solle es dem Zufall überlassen bleiben, ob ein Zug fährt, wann und wohin. Nach den Gesetzen der statistischen Wahrscheinlichkeit soll sich so die Verbindungsqualität nach Unternehmensangaben deutlich erhöhen.

Der neue Fahrplan wird daher auch deutlich umfangreicher als alle seine Vorgänger. "Wir können nun jeden Ort aufnehmen, der in Sichtweite zu einer Bahnschiene liegt. Denn dass dort ein Personenzug unterwegs ist, können und wollen wir künftig nicht mehr ausschließen. Jeder Haltevorgang, etwa durch Weichen- oder Signalstörungen, wird künftig die Möglichkeit zum Ein- und Aussteigen bieten."

Um die Bevölkerung auf die neue Mobilität einzustimmen, schreibt die Bahn einen Wettbewerb um die schönsten selbstgebauten Wartehäuschen an möglichst skurrilen Orten aus, Slogan: "Für deine Milchkanne machen wir den großen Bahnhof".

Der Begriff "aleatorischer Fahrplan" geht auf das lateinische Wort "alea" für Würfel zurück, "Fahrplan" bezeichnet theoretisch mögliche Logistikprojekte und leitet sich vom griechischen Hirten-, Wald- und Wiesengott "Pan" ab. Das Auswürfeln steht von alters her für Gleichheit und Gerechtigkeit, Pan ist Schutzpatron aller in der Walachei Gestrandeten.

Im Interview erklärt Ronny von Huber das innovative Konzept genauer.

Herr von Huber, die Deutsche Bahn hat die größte Reform angekündigt, seit sie 1994 von Rot auf Blau bei den Bahnhofsschildern umgestiegen ist. Wie kam es zur Erfindung des "aleatorischen Fahrplans", der vom Zufall terminiert werden soll?

Ronny von Huber: Auf vielen Strecken hat sich Routine eingeschlichen. Die Fahrgäste rechnen bereits nicht mit Pünktlichkeit ihres Zuges und stellen sich entsprechend darauf ein, fahren zwei Stunden früher, nehmen Zelt und Schlafsack mit oder lassen sich vorsorglich scheiden.

Und das nimmt Ihnen den Spaß an Ihrem Job als oberster Fahrplaner?

Ronny von Huber: Um Spaß geht es dabei noch am wenigsten. Aber wenn der Fahrgast nicht mehr flucht, schreit, weint und verzweifelt zusammenbricht, müssen wir uns selbstkritisch fragen, ob unser Betriebsstörungsprogramm noch State of the Art ist.

Wie kann man sich den aleatorischen Fahrplan vorstellen?

Ronny von Huber: Zunächst einmal werden sich die Zugführer strikt an ihre vorgegebenen Arbeitszeiten halten. Das hatte mir sehr gut gefallen, als mal ein Zugführer mitten im Tunnel den ICE anhielt und seine vorgeschriebene Pause machte.

So zuverlässig muss das künftig überall laufen, das werden wir rechnergestützt steuern. Und nach Schichtende ist Schluss, am nächsten Werktag geht es genau dort weiter - während des gesetzlichen Urlaubs natürlich nicht. Damit dürfte die Zugverteilung in Deutschland binnen einer Woche gegenüber heute deutlich aufgelockert sein.

Welche Verantwortung kommt den Fahrdienstleitern zu, über die oft diskutiert wurde?

Ronny von Huber: Sicherheit und Geschwindigkeit standen sich bisher immer antagonistisch gegenüber. Wir steigern nun beides auf einmal, indem wir jeden Zug auf das erstbeste freie Gleis schicken.

Kann der Kunde denn noch in irgendeiner Weise Einfluss darauf nehmen, wohin ihn sein Zug bringt?

Ronny von Huber: Aus Ihrer Frage spricht fortschrittsfeindlich-analoges Denken, gepaart mit einer gehörigen Portion Dogmatismus. Auf die Reiseroute hatten Fahrgäste noch nie Einfluss, auf ihr Reiseziel nur sehr bedingt. Einer sinnvollen Verteilung der Menschen in unserem Land waren Mitbestimmungsmöglichkeiten stets abträglich. Wir bauen in Stuttgart den schönsten Tiefbahnhof der Welt und alle fahren nach Hamburg und Berlin. Das ist onkologisch unsinnig.

Wie kommt das Transportgut künftig nach Stuttgart?

Ronny von Huber: Der aleatorische Fahrplan ist da völlig unbestechlich und gerecht. Nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit wird Stuttgart ebenso mit Fahrgästen bedacht werden wie Emden oder Rheinsberg.

Lohnt sich für Reisewillige denn dann überhaupt noch die teure Fahrkarte von Garmisch-Partenkirchen nach Rügen, wenn sie auch damit rechnen müssen, nur bis Huglfing zu gelangen?

Ronny von Huber: Sie verstehen offenbar den Sinn von Deutschlands größtem Verkehrsunternehmen nicht! Wenn Sie von Garmisch-Partenkirchen nach Rügen wollen - auch wenn ich das Ansinnen nicht verstehe, aber bitte -, dann benötigen Sie doch wohl zunächst einen zu dieser Reise berechtigenden Fahrausweis, oder? Der aleatorische Fahrplan wird unverbrüchlich dafür sorgen, dass Sie dort auch irgendwann ankommen. Da können Sie jeden Rechenlehrer von der Volksschule fragen. Dass ein Ziel gar nicht erreicht wird, ist dann statistisch sogar unmöglich - ganz anders als heute.

(c) Helgoländer Vorbote