Konflikt über behaupteten Giftgasanschlag in Aleppo weitet sich aus

Ein angebliches Opfer des Giftgasanschlags in Aleppo. Bild: Sana

Die USA werfen Russland und Syrien vor, den Anschlag inszeniert zu haben und stellen sich damit auch schützend vor die "Extremisten" wie HTS in Idlib

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am 24. November haben die syrische und die russische Regierung berichtet, es habe Giftgasangriffe in Aleppo gegeben. Mit Chlorgas gefüllte Granaten seien aus der Pufferzone um Idlib abgefeuert worden, also aus dem von "Rebellen", die sich unter der Bezeichnung der "Nationalen Befreiungsfront" (NLF) unter die Leitung von Ankara gestellt haben, und Islamisten, vor allem dem al-Qaida-Ableger HTS, kontrollierten Gebiet. Über die Zahl der Verletzten gab es unterschiedliche Angaben (Angebliche Giftgasangriffe aus Idlib auf Aleppo).

Um eine drohende Offensive der Regierungstruppen zu verhindern, hatten Anfang September Russland und Iran mit der Türkei für Idlib ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen, das eine 10-15 km breiten, demilitarisierte Pufferzone umfasst. Die Türkei sollte für die Einhaltung der Pufferzone und den Abzug der islamistischen Kämpfer sorgen.

Russland ließ bislang die vereinbarten Fristen verstreichen, wies aber immer wieder darauf hin, dass sich islamistische Kämpfer weiter in der Pufferzone aufhalten, Angriffe ausführen und sich keineswegs unter das Kommando der NFL, d.h. der Türkei, stellen. Nach Berichten weitet vor allem HTS seinen Einfluss aus und versucht die NFL zurückzudrängen, um selbst eine bessere Verhandlungsposition mit der Türkei zu erreichen, die mit der fortgesetzten Unterstützung der Rebellen versucht, Idlib wie zuvor schon Afrin und die Region um al-Bab unter Kontrolle zu bringen. Gleichzeitig drängt die Türkei darauf, sein Einflussgebiet mindestens bis zum Euphrat auszudehnen, aber auch die von Kurden kontrollierten Gebiete an der türkischen Grenze zu besetzen. Hier gibt es seit langem einen Konflikt mit den USA, die die Kurden brauchen, um ihrerseits Kontrolle über syrische Gebiete auszuüben und Stützpunkte zu erhalten.

Die britische Charity Commission bestätigte gerade den großen Einfluss von HTS, indem sie Hilfsorganisationen am 3. Dezember warnte, dass sie indirekt "Terroristen" unterstützen könnten, wenn sie Hilfslieferungen über den Grenzübergang bei Bab Al-Hawa machen. Der Grenzübergang, der einzige offene aus der Türkei nach Idlib, werde seit September von HTS kontrolliert. Die Dschihadisten kontrollieren auch weitere Grenzübergänge.

Der behauptete Giftgasangriff auf ein von Damaskus kontrolliertes Gebiet war von russischer Seite vorangekündigt worden. Mehrmals hat das russische Militär erklärt, dass Giftgas aus der Türkei nach Idlib gebracht worden sei und dort von HTS und den Weißhelmen ein Angriff geplant werde, um ihn Russland und Assad zu unterzuschieben (Russisches Verteidigungsministerium warnt weiter vor inszeniertem Giftgasangriff.

Wie ein Narrativ unterschiedlich ausgelegt wird

Der Aleppo-Vorfall wurde ähnlich gut oder schlecht mit Videos und Aussagen belegt wie der auf Duma am 7. April (Angeblicher Chemiewaffenangriff in Ost-Ghouta), woraufhin die USA mit Großbritannien und Frankreich angebliche Orte des syrischen Chemiewaffenprogramms bombardiert hatten, ohne weitere Belege über die der Weißhelme hinaus abzuwarten. Das Bombardement fand statt, als Mitarbeiter der OPCW gerade nach Syrien gekommen waren (Pentagon: Die Angriffe waren "präzis, überwältigend und effektiv"). Russland bemühte sich, auch mit Zeugen, zu belegen, dass der Angriff inszeniert war, das wurde im Westen aber als Desinformationskampagne ausgelegt (Nach "Beweisen" Moskaus war der Chemiewaffenengriff in Douma inszeniert). Die OPCW hat die russische Version praktisch bestätigt und erklärt, vor Ort "keine Rückstände von phosphororganischen Nervengiften gefunden" zu haben.

Russische Flugzeuge hatten nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums "die Militanten zerstört", die für den Angriff verantwortlich gewesen seien. Auch hier also wurden keine unabhängigen Erkenntnisse abgewartet.

Nach dem Vorfall von Duma, bei dem es sich vermutlich um einen von islamistischen Kämpfern mit den Weißhelmen inszenierten Angriff handelte, um eine laufende Offensive der syrischen Regierungstruppen noch abzuwenden, hatten die USA und andere Nato-Staaten erneut mit Bombardierungen gedroht, um den Einsatz von Giftgas zu bestrafen. Auf den Vorfall in Aleppo kam weder von den Medien noch von der Politik eine ähnliche Reaktion, nun gegen die "Rebellen" vorzugehen. Das ist keine Doppelmoral, sondern zeigt, dass der Westen hier gezielt die "Rebellen" schützen will und eine Kampagne fährt, bei der es auf Belege oder Beweise überhaupt nicht ankommt.

Auf Inszenierung verstehen sich die Weißhelme. Hier ein Tweet vom 4. Dezember: "Heute trauern wir um einen weiteren Helden der Weißhelme, den Freiwilligen Mohammed Rahal. Während eines Einsatzes kam er vor zwei Tagen unter Beschuss und wurde von einer Explosion im nördlichen Aleppo getroffen. Er ist jetzt seinen Verletzungen erlegen. Wir trauern um ihn und danken ihm für seinen selbstlosen Einsatz."

US-Außenministerium interveniert: Angriff soll inszeniert gewesen sein

Am Freitag legte Robert Palladino, ein Sprecher des US-Außenministeriums, nach und warf dem "Assad-Regime" und Russland in einer Mitteilung vor, "fälschlich die Opposition und extremistischen Gruppen angeklagt zu haben, einen Chlorgasangriff im nordwestlichen Aleppo ausgeführt zu haben". Die USA würden dieses "Narrativ" zurückweisen, man habe "glaubhafte Informationen, dass Pro-Regime-Kräfte wahrscheinlich Tränengas gegen Zivilisten in Aleppo" eingesetzt hätten (was theoretisch durchaus zutreffen kann, ebenso wie in Duma und anderswo Dschihadisten Giftgasangriffe ausgeführt oder inszeniert haben können). Zudem habe man Informationen, dass russisches und syrisches Personal daran beteiligt gewesen seien, Russland und Syrien würden dies als Möglichkeit nutzen, "das Vertrauen in den Waffenstillstand in Idlib zu untergraben".

Und jetzt wird darauf gedrungen, den Ort zu sichern und nicht zu manipulieren, um eine ordentliche OPCW-Untersuchung zu ermöglichen, was den USA nach Duma vor der Bombardierung nicht notwendig schien - und obgleich hier die OPCW-Inspektoren keinen Nachweis gefunden hatten, was eben auf eine Inszenierung hinweist, die die US-Regierung nun Russland und Damaskus beschuldigt, also den Spieß einfach umkehrt. Überdies sei man "zutiefst besorgt, dass Pro-Regime-Offizielle den Angriffsort unmittelbar danach weiter kontrolliert haben", wodurch sie "möglicherweise" Proben fabriziert und den Ort kontaminiert haben könnten. Das hätte man auch immer den Weißhelmen und "Rebellen" vorhalten können.

Das klingt alles so, nachdem nicht einmal die Quelle der "glaubwürdigen Informationen", geschweige denn deren Inhalt genannt wird, als würde man wieder einmal ganz schnell eine Schuldbehauptung verbreiten, die sich dann auch hält, wie das schon bei anderen Anlässen aus westlicher Sicht gut gegen Russland geklappt hat. Der Sinn des Vorgehens liegt wohl auf der Hand: Russland und Syrien sollen abgehalten werden, gegen die Dschihadisten in Idlib vorzugehen, die sich - unabhängig davon, ob sie für den Angriff auf Aleppo verantwortlich waren - nicht an den Waffenstillstand halten, weil sie sich dann schon hätten auflösen müssen. Deutlich wird daran wohl auch, dass die USA damit nicht nur die Türkei stärken wollen, sondern sich auch für den Schutz der "Extremisten" einsetzen, die man, wie oft schon vermutet wurde, als Mittel zur Ausübung von Einfluss gebraucht.

Eben das hat Russland den USA bereits nach dem Vorfall in Aleppo vorgeworfen, mit der Unterstützung extremistischer Gruppen im eigenen Interesse "chemischen Terrorismus" zu fördern. Auf die Beschuldigung des US-Außenministeriums erwiderte das russische Außenministerium, man betrachte die "hysterische Stellungnahme", dass der Anschlag angeblich inszeniert sei, "als Versuch, Druck auf die OPCW auszuüben, um eine unvoreingenommene Untersuchung zu verhindern". Behauptet wird vom russischen Verteidigungsministerium, man habe eindeutige Beweise, dass "Militante Munition mit toxischen Substanzen auf Zivilisten in Aleppo" eingesetzt haben, ohne diese vorzulegen, womit man auch nicht anders auftritt als die amerikanische Regierung.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.