Schrumpft die Großhirnrinde bei Kindern mit der Nutzung von Bildschirmmedien?

MRI-Scan. Bild: John Hopkins University/Mim.cis/public domain

In den USA ist eine umfangreiche Langzeitstudie gestartet, erste Ergebnisse scheinen auf einen Zusammenhang hinzuweisen, aber das Ausdünnen und Schrumpfen könnte auch eine andere Ursache haben

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Welche Folgen das ausgedehnte Starren auf Bildschirme insbesondere für Kinder hat, ist bislang weithin spekulativ. Auf der Hand liegt, dass das damit verbundene lange Sitzen und fehlende körperliche Bewegung Fettleibigkeit und andere gesundheitliche Probleme mit sich bringen kann. Dass eine Folge die zunehmende Kurzsichtigkeit ist, dürfte auf der Hand liegen, auch dass einzelne Fertigkeiten wie sensomotorische Koordinierung von Auge und Hand, schnellere Reaktionszeiten, räumliche Orientierung etc. gefördert werden. Aber wenn es um die Auswirkungen auf das Gehirn oder das Verhalten geht, herrscht Uneinigkeit. So ist auch der Streit, ob Computerspiele aggressiver machen, längst nicht entschieden.

Eine Längsschnittstudie von Molekularen Psychologen an der Universität Ulm kam letztes Jahr zum Ergebnis, dass sich bei Versuchspersonen bereits nach sechs Wochen, wenn sie täglich mindestens eine Stunde World of Warcraft spielten, das Gehirnvolumen im orbitofrontalen Kortex durch Minderung der grauen Substanz verkleinert hat. Das stellte sich durch einen Vergleich von MRT-Scans dar und nach der Spielepisode. Schon vor dem Experiment hatten sie die Gehirne von erfahrenen Spielern mit denen verglichen, die kaum spielen. Auch hier zeigte sich bereits ein verkleinertes Volumen des orbitofrontalen Kortex. Die Region im Frontallappen hat mit der Kontrolle von Entscheidungen und Emotionen zu tun. Die Studie legt nahe, dass die Volumenminderung mit häufigen Spielen verbunden und als Folge der neuroplastischen Veränderung u.a. die Computerspielsucht fördern könnte.

In den USA haben die National Institutes of Health mit der groß angelegten, umfassenden Studie zur Entwicklung der Kognition in den Gehirnen von Heranwachsenden (Adolescent Brain Cognitive Development - ABCD) begonnen. Die Langzeitstudie hat ein Budget von 300 Millionen US-Dollar. Auch hier geht es u.a. um die Auswirkung der Bildmedien. Also auch von Smartphones, auf die Gehirne von Kindern und Jugendlichen.

Untersucht wird dabei die Gesamtzeit, die vor Bildschirmen mit Fernsehen, Videos, Computerspielen oder Sozialen Netzwerken verbracht wird. Fast 12.000 Kinder im Alter von 9 und 10 Jahren, darunter auch mehr als 2000 Zwillinge und Drillinge, nehmen daran teil. Sie werden 10 Jahre lang beobachtet. Dazu werden Gehirnscans gemacht und soziale und körperliche sowie Verhaltensveränderungen ebenso wie Umweltfaktoren verfolgt.

Eine erste Untersuchung zur Auswirkung von Bildmedien (Screen media activity - SMA) wurde bereits mit 4500 Kindern durchgeführt, um zu sehen, welche Zusammenhänge es zwischen häufigen Bildschirmaktivitäten und strukturellen Veränderungen im Gehirn gibt (Kortexdichte, Tiefe der Sulci - Gräben - oder Graue Masse). Hier zeigte sich, dass bei den Kindern, die mehr als sieben Stunden täglich (!) vor den Bildschirmen saßen, ebenfalls die äußere Schicht des Kortex im Unterschied zu denjenigen, die das weniger lang machten, ausgedünnter war. Das ist zwar ein normaler Prozess, sollte aber erst später erfolgen.

Sie zeigten auch eine etwas stärkere psychopathologische Externailisierung und geringere kristalline und fluide Intelligenz. Daraus könne man sehen, dass SMA beim Heranwachsen verbunden sei mit strukturellen Gehirnnetzwerken, was Folgen für die Psychopathologie und die kognitive Leistung haben könne. Schon wenn nur zwei Stunden täglich vor dem Bildschirm verbracht wird, waren die Leistungen bei Denk- und Sprachtests geringer.

Auch sitzen lässt den Temporallappen schrumpfen

Schwierig, wenn nicht unmöglich wird es schon werden, eine wirkliche Vergleichsgruppe zu finden, die nicht oder kaum vor dem Bildschirm sitzt. NIH-Forschungsdirektorin Gaya Dowling sagte dem Sender CBS, man habe damit herausgefunden, wie die Gehirne von Kindern aussehen, die viel Zeit vor Bildschirmen verbringen. Das Ausdünnen der Großhirnrinde betreffe die äußerste Schicht, die Informationen von den Sinnen verarbeitet (auch Gedächtnis- und Sprachfunktionen befinden sich hier). Man könne aber noch nicht sagen, ob dies eine Folge der Bildschirmzeit oder etwas Schlechtes sei. Das könne man erst nach weiteren Untersuchungen im Laufe der Langzeitstudie wissen.

Doch selbst wenn ein Zusammenhang zwischen einer langen Nutzung von Bildschirmmedien und einer Ausdünnung oder Schrumpfung des Temporallappens besteht, wäre die Frage, ob die Ursache das Bildschirmmedium oder etwa das damit verbundene Sitzen ist. Wissenschaftler der UCLA haben in einer im April des Jahres veröffentlichten Studie nämlich einen Zusammenhang zwischen der Dauer des Sitzens und der Größe des Temporallappens beobachtet. Allerdings untersuchten sie nur 35 Erwachsene und machten von diesen MRI-Gehirnscans. Mit der Zahl der Stunden, die die Versuchspersonen täglich sitzen, schrumpft der Temporallappen. Auch wenn mit körperlicher Bewegung das Sitzen ausgeglichen wird, ändert sich daran nichts. Gefragt wurde aber nicht, wie lange die Versuchspersonen sitzend vor Bildschirmen saßen.