Nach dem Anschlag in Straßburg: Wie machen die Gelben Westen weiter?

Foto: Claude Truong-Ngoc / Wikimedia Commons - cc-by-sa-4.0

Angekündigt sind neue Proteste am kommenden Samstag. Aber die Situation hat sich verändert

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Vom flüchtigen Attentäter fehlte - zumindest laut der offiziellen Darstellung - gestern Abend noch jede Spur. Über 700 Polizeikräfte sind an der Suche beteiligt. Auch in Bayern sucht die Polizei.

Der Schock über den Anschlag in Straßburg, dessen Hintergrund von Ermittlern mittlerweile eindeutig als "islamistisch" eingeordnet wird, u.a. wegen Allahu Akbar-Rufen des Täters bei seinen tödlichen Attacken, hat alle Aufmerksamkeit der französischen Öffentlichkeit in Bann gezogen. Berichte über den neuen Terroranschlag in Straßburg dominieren die Medien.

Zuvor hatten die Gelben Westen die Berichterstattung beherrscht. Die Reaktionen auf die Rede Macrons mit den Zugeständnissen an die Protestbewegung waren bis zum Dienstagbend Thema Nummer Eins. Die Frage, die sich stellte, lautete, ob die Versprechen Macrons, die teilweise entzaubert (vgl. Macrons Mogelpackung) und zum anderen Teil, besonders zur Reform der Vermögenssteuer, vom Präsidenten abgelehnt wurden, den Protest der Gelben Westen in ruhigeres Fahrwasser lenken würden.

Anders formuliert: Ob Marcrons Entgegenkommen die Bewegung des "Ultrapeuple" in verschiedene Gruppen - etwa in gewaltbereite "Chaoten", "legitime Vertreter", Gruppen mit für die Regierung radikalen Forderungen ("Macron muss gehen") oder Gemäßigtere - unterteilen würde, die der Bewegung Kraft kosten und sie für die Regierung politisch besser handbar machen.

Nach dem Anschlag am Dienstagabend, der nach offiziellen Angaben drei Menschen das Leben kostete, 12 Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt hatte und erneut vor Augen führte, wie sehr das Land nach wie vor Ziel von fanatischen Anschlägen religiös verblendeter Aussteiger ist, stellt sich die Frage nach der Fortsetzung der Proteste in einem neuen Kontext. Angekündigt waren neue Proteste am kommenden Samstag - der sogenannte "5te Akt", französisch "l'acte V".

Unterschiede

Da es sich um eine sehr gemischte Bewegung handelt, fallen die Reaktionen unterschiedlich aus. Die Proteste hatten erst Mitte November eine Form gefunden, die - für die Öffentlichkeit wie wahrscheinlich auch für viele Beteiligte überraschend - eine enorme Wirkung zeigte.

Kennzeichnend ist nach wie vor, dass sich die Gelben Westen aus ganz unterschiedlichen politischen Strömungen zusammensetzen. Beteiligung, Unterstützung und Sympathie gibt es von weit rechts bis weit links. Nicht zu übersehen ist, dass es um Lebensbedingungen einer breiten Schicht geht, die von Politikern nicht wirklich angesprochen worden waren. Dazu kam die Arroganz der Macht, wie sie Macron beispielhaft verkörpert.

Politische Nutznießer bisher eher bei den Populisten

Wobei man den Eindruck hat, dass die Proteste der Gelben Westen tendenziell nicht der Wiedergeburt einer linksmittigen Sozialdemokratie in die Hände spielen, sondern eher den neuen Populismus bestätigen, der vor allem mit Rechten und ihrem Traditionsgehabe (Stichworte: "früher" und "echt") verbunden wird, auch wenn es viele Unterstützer im linken Lager gibt. Vielleicht gibt es da wirklich eine Parallele zu Italien, der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega. Den Vergleich ziehen jedenfalls einige.

Angeschlossen haben sich viele, die zum "Rand" gehören. Sie stehen sonst nicht im Fokus einer Berichterstattung, die sich weitgehend und intensiv mit den Volksparteien, derem politischen Repertoire und Wohlstandssorgen der Mitte befasst und mit einer Wirtschaftsordnung wie gehabt.

Aber auch Abgedrehte springen auf den Zug der Proteste. Sie machen es den "Seriösen" oder Etablierten leicht, die Gelben Westen in einer Ecke abzulegen, wo sie besser nicht sein sollten, wenn es der Protestbewegung um die Durchsetzung des politischen Ziels einer grundsätzlich anders fundierten sozialen Gerechtigkeit geht.

Die Komplottisten als leichtes Ziel

So ist es nicht überraschend, dass sich etwa der Figaro mit seinem Bericht am Mittwoch zu den Reaktionen der Gelben Westen auf das Attentat darauf konzentrierte, Facebook-Postings zu präsentieren, die einen ausgeklügelten Coup der Staatsmacht hinter dem Anschlag in Straßburg vermuten: "Kommt schon ein kleines Attentat, das den Gelben Westen ein Ende bereitet, sehr stark dieser Macron."

Die vorgebrachten Indizien haben, was im Fall des unbekannten Phänomens der Gelben Westen besonders gerne aufgegriffen wird, Elemente, die Wiederkennungswert haben. Das gilt z.B. für die Behauptung, die auch bei anderen Vorfällen gesehen wurde, dass der Anschlag von offiziellen Stellen wie hier die zuständige Präfektur angeblich schon vor der Zeit bekannt gegeben wurde. AFP-Factuel, dazu da, Fake zu detektieren und zu widerlegen, hat hier leichtes Spiel, um die Wahrheitspartie zu gewinnen.

Selbst wenn z.B. die Enthüllungen zum deutschen Weihnachtsmarktattentäter Amris Amri den vermeintlich festen Boden brüchig machen. Weil sie zeigen, dass Äußerungen, die zunächst als weit hergeholt und höchst spekulativ galten, offenbar nicht so einfach wegzuwischen sind. Schon bald nach dem Anschlag im Dezember 2016 war im Netz vom Verdacht zu lesen, dass Amri mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet habe. Die Äußerung galt im seriösen Milieu als unerhört, wieder mal VT- Fantasie, irrwitzig. Wer nun liest, was Thomas Moser seit Wochen bei Telepolis aus den Untersuchungsausschüssen berichtet (vgl. Amri: Die Zahl der V-Leute erreicht "NSU-Niveau"), muss zumindest einräumen, dass die Nähe zwischen Amri und den Diensten beachtlich ist.

Dennoch sind die Spekulationen über die wahren Planer und Hintergründe zum Anschlag in Straßburg, wie sie der erwähnte Figaro-Artikel den Gelben Westen als "typische Äußerung" aus diesen Kreisen zuschreibt, politisches Gift. So kann man den Gegner diffamieren.

Die Vielseitigkeit der Bewegung bietet dafür Angriffsflächen. Solange sie sich nicht organisatorisch mit einer klaren politischen Linie präsentiert, wird sie nach solchen Angriffsflächen zerlegt. Es gibt Stimmen aus dem gelben Ultravolk, die ihre Wahrheiten nicht im Abseits herausschrillen, sondern, wie es Lokalmedien berichten, darauf achten, dass angesichts der Lage nach dem Terroranschlag umsichtig weitergemacht wird.

"Der nächste Akt wird umso wichtiger"

Der 5te Akt werde nun umso wichtiger, zitiert Sudouest einen lokalen (Istres, Bouches-du-Rhône) Organisator der Proteste: "Wir schauen, was passiert, wir sind keine Knallköpfe. Aber wie die Lage ist, sind wir noch immer dabei, uns zum 5ten Akt aufzumachen, mit denselben Forderungen."

Dass die Regierung in Paris nun noch stärker darauf drängt, dass die Demonstrationen der Gelben Westen am kommenden Samstag möglichst ruhig verlaufen, gehört zu den Regeln des Spiels. Sich hier außerhalb zu stellen, dafür bräuchte es, wenn die Gelben Westen politisch mehr erreichen wollen, eine große Überzeugungskraft, die die Bevölkerung nachvollziehen kann. Das funktioniert nicht mit den Ausschreitungen, die ihr schlechte Presse gemacht haben. Da müssten sie sich anderes ausdenken.

Merkels Ignoranz

Wenn aber die deutsche Kanzlerin Merkel, wie es gestern übermittelt wurde, empört über die deutschen Linken ist ("skandalös"), die die Gelben Westen unterstützen, weil die Linke die Gewalt nicht verurteile, so zeugt das anderseits auch von einer beschränkten Haltung, die hier ganz anschaulich wird.

Einmal, weil Merkel selbst sehr einseitig die teilweise brutale Gewalt der anderen Seite, nämlich der Polizei, völlig unter den Tisch kehrt, zum anderen, weil sie das politische Anliegen des Protestes völlig unberücksichtigt lässt. Als gebe es gar kein gerechtfertigtes Anliegen und auch keine Politik, die das ernstzunehmen hätte.

Die Proteste der Gelben Westen haben, weil sie vehement waren, zu einer Aufmerksamkeit geführt und entsprechend zu Zugeständnissen, die sie sonst nicht bekommen hätten. Brav bleiben und nicht aufmucken, wie Merkel das Problem mit den Schlechtverdienern gerne serviert hätte, bringt gar nichts.

Merkel hatte die Lebensumstände und die Schicht, die sich mit den Gelben Westen bemerkbar macht, in ihrer politischen Agenda an den "Katzentisch" gesetzt, sie waren nicht relevant, anders als die Betrüger in den Banken und bei den Autoherstellern.

Dass die deutsche Wirtschaftspolitik an der Situation in Frankreich, wie es z.B. Heiner Flassbeck seit langer Zeit immer wieder aufs Tapet bringt, seinen Anteil hat, ignoriert sie mit dergleichen Insistenz. Hoffentlich zeigen die Demonstrationen am kommenden Sonntag, dass die Gelben Westen nicht als "Mob" abgetan werden können.

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