Vorbereitung auf den nächsten Finanz-Crash

EZB, Frankfurt. Bild: DXR / CC BY-SA 4.0

Eigentlich will die EZB umstrittene Anleihekäufe einstellen, bekommt aber den Freifahrtschein vom EuGH dafür. Das passt zu Beschlüssen zur "Reform der Eurozone" und zur "Vertiefung der Währungsunion", mit der unhaltbare Zustände verlängert werden

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Dass die nächste Finanzkrise, Wirtschaftskrise oder eine Finanz- und Wirtschaftskrise kommt - wie ab 2008 zu beobachten war-, ist keine Frage. Die Frage ist nur, wann sie kommt. Es gibt zwar Zeitgenossen, die alle Jahre wieder den sofortigen Absturz des Finanzsystems beschwören, aber die Sache ist natürlich deutlich komplexer. Man kann deshalb nur vorhersagen, dass es im Kapitalismus die üblichen Wellenbewegungen gibt, dass Krisen zum normalen Erscheinungsbild des Kapitalismus gehören wie der Weihnachtsbaum zum Weihnachtsfest.

Ob die dem Kapitalismus immanenten Krisen tatsächlich für das gesamte Finanzsystem gefährlich werden wie nach 2008, hängt von verschiedensten Faktoren ab. Aber die Frage ist auch nicht, ob der der Kapitalismus abdankt, sondern ebenfalls nur wann. Denn ein auf ständigem Wachstum basierendes System kann in einer Welt mit begrenzten Ressourcen nur irgendwann gegen die Wand fahren. Doch zeigt der Kapitalismus seit langem eine ungeheure Überlebensfähigkeit. Totgesagte leben länger.

Allerdings werden die Maßnahmen zur Aufrechterhaltung immer abenteuerlicher. Sie werden, wie man zum Beispiel an der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) sieht, entweder nur noch begrenzt zurückgefahren oder mutieren, wie Rettungsfonds für Banken, die angeblich als Krisenmechanismus geplant waren, dann zum Normalzustand.

Motorstottern und Bremsgeräusche

Klar ist, dass sich derzeit Krisenzeichen politischer und ökonomischer Natur häufen. Genannt seien hier nur beispielhaft einige Zeichen des Abbremsens in der weltweiten Konjunktur. So stottert der Wirtschaftsmotor in der Eurozone längst merklich. Die deutsche Wirtschaft ist zuletzt im dritten Quartal wieder geschrumpft. Würde sie im vierten Quartal ebenfalls schrumpfen, wäre die Rezession zurück. Das ist aber angesichts der deutlich um 8,5% gestiegener Exporte im Oktober (gegenüber dem Vorjahresmonat) und 0,7% gegenüber dem Vormonat eher unwahrscheinlich. Diese Zahlen hat die Statistikbehörde Destatis am Montag veröffentlicht.

Dass der Ölpreis wieder deutlich gefallen ist, ist gleichzeitig ein Parameter dafür, dass die Nachfrage weltweit insgesamt sinkt (auch wenn China günstige Preise gerade genutzt hat, um die Lager zu füllen), womit aber weitere Bremsgeräusche zu hören sind. Geringere Energiepreise bringen allerdings neue Erleichterungen für Produzenten, Transporteure und Konsumenten, denen mehr Geld für den Konsum bleibt.

Das stimuliert die Konjunktur, weshalb mit einer Rezession in Deutschland und der Eurozone kurzfristig nicht zu rechnen ist. Dass aber insgesamt massiv Druck gemacht wird, die Ölpreise, gegen die Interessen der erdölproduzierenden Länder eher auf dem derzeitigen Niveau zu halten, ist auch ein deutliches Zeichen dafür, dass sich einige über die klaren konjunkturellen Bremssignale schon bewusst sind und sie durch hohe Energiepreise nicht verstärken wollen.

Probleme

Denn Probleme gibt es ja allerhand. Da sind zum Beispiel die weiter bestehenden Russland-Sanktionen. Allerdings zeigt die Tatsache, dass die Forderungen der Ukraine, die sie wegen des Kertsch-Konflikts ausweiten wollte, praktisch wieder von der Tagesordnung verschwunden sind, eines deutlich. Man traut sich nicht, weiter über Sanktionen die Konjunktur zu belasten. Schließlich sind da ja noch die Schwierigkeiten zwischen den USA und China.

US-Präsident Trump hat den Konflikt mit China längst zu einem veritablen Handelskrieg ausgeweitet. Hier wird erwartet, dass der sich auch deutlich auf das US-Wachstum im vierten Quartal auswirken wird. Zudem ist der Konflikt um Huawei dazu geeignet, den Krieg weiter zu eskalieren.

Dass zunächst die USA das Reich der Mitte massiv mit Sonderzöllen überzogen haben, worauf China verhalten mit Vergeltungszöllen antwortete, macht sich schon massiv in chinesischen Exporten und Importen bemerkbar. Die Importe stiegen im November im Vergleich zum Vorjahresmonat nur noch um 3%, gab der chinesische Zoll bekannt. Erwartet worden waren mehr als 14%.

Die chinesischen Exporte sind zwar ebenfalls noch gewachsen, aber im Vergleich zum Vorjahr deutlich verhaltener. Statt wie im Oktober um 15,5% zu wachsen, waren es im November nur noch 5,4%. Im September wuchsen sie im Vergleich zum Vorjahresmonat sogar fast 21%. Vergessen wird oft, dass der Handel nicht nur über Zölle behindert wird. Es gibt diverse Möglichkeiten und auf viele Arten werden derzeitig chinesische Produkte bei der Einfuhr in die USA benachteiligt. Rechnet man das alles ein, "belasten die USA chinesische Exporte im Wert von 369 Milliarden Dollar", schreibt der Schweizer Tagesanzeiger.

Das sei ein Drittel mehr als die Güter, die durch die Zollaufschläge betroffen sind. Vor dem Handelskrieg waren 2017 etwa 70% aller Exporte Chinas in die USA - und umgekehrt - von Beschränkungen des jeweils anderen Landes betroffen. "Jetzt ist dieser Anteil auf 87 Prozent der Exporte Chinas in die USA und auf 92 Prozent der Exporte der USA nach China angestiegen."

Dazu haben wir natürlich noch ein abstürzendes Argentinien, eine fatale Situation in Brasilien und den ungelösten Brexit. Der harte Ausstieg, auf den derzeit vieles hinweist, könnte nach Ansicht der britischen Notenbank die Wirtschaft sehr stark belasten. Das hätte natürlich erhebliche Wechselwirkungen mit der EU und würde ebenfalls die Bremsspuren verschärfen. Das könnte ebenso der Katalysator für eine massive Krise sein, wie ein verstärkter Handelskrieg mit China oder eine Zuspitzung des Konflikts mit Russland.

Widersinniger Machtkampf der EU und Frankreichs Gelbe Westen

Vergessen sei hier natürlich nicht, dass sich die EU gerade einen widersinnigen Machtkampf um das Haushaltsdefizit mit dem drittgrößten Euroland Italien leistet, der ebenfalls massive Sprengwirkung entfalten kann. Hier sieht es aber danach aus, dass sich Brüssel nun selbst erneut vorführen wird, wie schon im Fall Portugals, und deshalb alsbald einlenken muss. Denn die Zugeständnisse, die Präsident Macron wegen der massiven Proteste der Gelbwesten angekündigt hat, sind eine Mogelpackung.

Da der neoliberale Macron nicht wie die Linke in Portugal an die Töpfe geht, wo es auch Geld zu holen gibt und reale Beschäftigung fördert, wird erneut ein Neoliberaler das Defizit deutlich ausweiten. In Portugal hat die Linksregierung mit einem sinnvollen Ausstieg aus der Austerität über intelligente Maßnahmen das Defizit genauso deutlich gesenkt wie die Arbeitslosigkeit.

Denn wer Steuern auf Überstunden abschafft, wie es Macron vorhat, schafft keine neue Beschäftigung und neuen Beitragszahler für die Sozialkassen, sondern verliert zudem Steuereinnahmen. Höhere Ausgaben sind programmiert, wenn man den Mindestlohn anhebt, aber die Firmen damit nicht belasten will, um von der Vermögenssteuer gar nicht erst zu sprechen.

Man kann aber kaum ein massives Defizitverfahren gegen das große Italien rechtfertigen, dass mit 2,4% unter der Stabilitätsgrenze von 3% bleiben will, wenn Frankreich sein Defizit deutlich über die Grenze katapultieren wird. (Ohnehin hatte Paris erst im September die Prognose von 2,4% auf 2,8% erhöht und erwartet werden nun etwa 3,5%).

So ist, da es sich beim abstürzenden Frankreich um den zweitgrößten Eurostaat handelt, angesichts der schon beschriebenen Konfliktherde damit zu rechnen, dass die EU-Kommission schnell auch deutlich leisere Töne gegenüber Italien spucken wird, zumal sich Rom verhandlungsbereit zeigt und nun auch noch Nachbesserungen anbietet. So ist auch hier tendenziell eher mit einer Entschärfung statt mit einer Zuspitzung zu rechnen.

Die Rufe, Italien über die "Finanzmärkte zur Räson" zu zwingen, werden wohl weitgehend verstummen. Man schneidet sich damit in der Eurozone ohnehin vor allem ins eigene Fleisch und spielt Spekulanten, Ratingagenturen und ihren Kunden in die Hände.

Und genau deshalb, weil die Krisenfaktoren zahlreich sind und eher zahlreicher werden oder zu eskalieren drohen, schmiedet man längst überall in Europa an Maßnahmen, um einer massiven Verschärfung der Lage begegnen zu können. Denn eine schwere Krise ist, wenn einer der Konfliktherde explodiert, wahrlich auch in absehbarer Zeit nicht auszuschließen, zumal man an den Finanzmärkten und an Immobilienmärkten eine deutliche Blasenbildung feststellen konnte.