Geht der CDU-Machtkampf weiter?

Bundesgeschäftsstelle Konrad-Adenauer-Haus. Foto: Thomas Riehle / CC BY-SA 2.0 DE

Strategische Herausforderung zwischen Grünen und AfD: Die Ausrichtung der CDU nach Merkel

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War Friedrich Merz nur die jüngste Sternschnuppe des Konservatismus, das illusionäre Versprechen auf ein Bündnis zwischen neoliberaler Finanzwelt und der alten demokratischen Rechten und überdies die Inkarnation der Rache einer "alten CDU" an der "neuen CDU", die von Angela Merkel und ihren Getreuen verkörpert wird?

Oder ist da mehr? Bleibt Merz als Idee der CDU erhalten? Steht Merz womöglich für das Unterbewusste der CDU-Mehrheit und wird sich auf Dauer durchsetzen, zumindest relevante Spuren in der Partei hinterlassen. Hat am 7.Dezember der "Leib" der CDU gegen ihr "Hirn" verloren? Ist die CDU überhaupt gespalten? Und wofür steht Jens Spahn?

Die Union aus CDU/CSU steht heute, nach über 13 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel, so schlecht da, wie noch nie. Selbst wenn es gerade für diese Partei und ihr traditionelles Alleinstellungsmerkmal als "Kanzlerwahlverein" seit Zeiten Konrad Adenauers in erster Liebe Selbstzweck sein mag, Macht zu erwerben, zu erhalten und als stärkste Partei einer wie auch immer designten Koalitionsregierung den Kanzler zu stellen, täuscht die lange Kanzlerschaft Merkels über die mittelfristigen Gefahren für die Partei Adenauers und Kohls hinweg.

Zwar hat die CDU bei den letzten Landtagswahlen in etwa gleich viele Stimmen an Grüne und AfD verloren, und damit an jene beiden Parteien, die die zwei Seiten der Union außerhalb ihrer selbst präzis repräsentieren - die FDP ist hier als de facto Wurmfortsatz und outgesourcter Flügel der Union mal wieder eine zu vernachlässigende Größe. Die CDU steht damit vor der entscheidenden strategischen Herausforderung, welcher der beiden Seiten sie sich eher zuwenden sollte, um an die jeweils andere weniger zu verlieren, als sie nach dieser Richtungsentscheidung gewinnen wird.

Doch sind das beschriebene Dilemma und die hohen Verluste in beide Richtungen bereits Symptom nicht Ursache der tiefgreifenden Krise, die die Union erfasst hat: In der Kanzlerschaft Merkel hat sich nicht nur eine "Partei rechts von der Union" fest in allen deutschen Parlamenten etabliert. Die CSU hat in Bayern ihre etablierte Alleinherrschaft und ihren Status als bayerische "Staatspartei" vermutlich dauerhaft verloren, ebenso hat sie die Regierung, bzw. Regierungsführung auch in ihrem zweiten "Stammland" Baden-Württemberg zumindest einstweilen verloren.

Die Union als Ganze hat zuletzt mit unglaublichen 32.9 Prozent nur noch weniger als ein Drittel der Stimmen gewinnen können - ihr schwächstes Resultat seit dem Gründungsjahr der Bundesrepublik 1949. Zwar ist damit der Stimmenanteil in der Ära Merkel aufs Ganze gesehen, kaum gesunken - man sollte nicht vergessen, dass Merkel bereits bei ihrer ersten Wahl 2005 nur 35.2% holen konnte. Schwerer wiegt, dass Merkel nicht vom Absturz der SPD (minus 14 Prozent) profitieren konnte.

Längerfristig hat die Union seit den Hochzeiten Helmut Kohls mehr als 50 Prozent ihrer Wähler eingebüßt, sie verliert zudem jährlich relevante Zahlen an Wählern wie Mitgliedern durch deren Überalterung und Sterberate. Die Folge ist eine grundsätzliche Zersplitterung der Parteienlandschaft, eine Auflösung traditioneller Parteienbindungen und Volatilisierung der Wählerschaft.

Nun kann man hier die üblichen Ausreden bemühen - die Folgen der Globalisierung und internationaler Tendenzen, die Ermüdung des demokratischen Systems, sowie das Fragwürdigwerden der Volksparteien. Zudem könnte man sich damit trösten, der Union gehe es doch im internationalen Vergleich noch recht gut.

Für die Führung der CDU muss es aber darum gehen, Handlungsoptionen zu prüfen, um die bisher starke Stellung der Partei auch im 21. Jahrhundert zu sichern.

Die fünf Fehler des Friedrich Merz

Es spricht viel dafür, dass angesichts diesen Befunds Friedrich Merz als Kandidat für den Parteivorsitz die mittelfristig richtige Strategie für die CDU verkörperte. Die Strategie nämlich, die CDU ein bisschen nach rechts zu verschieben. Das wäre tatsächlich "besser für unser Land" (Wolfgang Schäuble) gewesen, weil SPD und Grüne dann in der politischen Mitte mehr Freiraum haben würden.

Ob es auch besser für die CDU gewesen wäre, ist eine andere Frage, denn es ist gut möglich, dass eine entsprechend wiedererstarkte SPD bald gemeinsam mit den konstant auf hohem Niveau stabilisierten Grünen Koalitionen gegen die Union bilden würde, während auch eine geschwächte, möglicherweise halbierte AfD als Koalitionspartner aus grundsätzlichen systemischen und politisch-moralischen Gründen auch mittelfristig ausscheidet. Aussichtsreicher war die Möglichkeit, dass Merz als CDU-Parteivorsitzender der FDP einen Großteil ihrer Stimmen abjagen könnte.

Alles aber spricht dafür, dass Merz als Kandidat ein "Vollversager" war. In seinem "Wahlkampf" hat Merz einen großen taktischen Fehler nach dem anderen gemacht. Ein No-Go war es bereits, dass Merz sich (1.) als Teil des Mittelstands bezeichnete und offenbar auf Fragen nach seinem übergroßen Managergehalt ebenso wenig gerüstet war wie auf die nach möglichen Interessenskonflikten zwischen seinem bisherigen Posten bei "Blackrock" und einem politischen Amt.

Entsprechende Vorwürfe hat Merz stattdessen (2.) noch zusätzlich durch seine absurden sozialpolitischen Vorschläge befördert. Mit seinen Vorschlägen zur Einschränkung des Asylrechts hat Merz (3.) nur seine Unkenntnis in der juristischen wie politischen Sachfrage illustriert. Merz größter Fehler war es, (4.) die Partei für ihr angebliches Versagen gegenüber dem Aufstieg der AfD zu kritisieren - man beschimpft nicht die, von denen man gewählt werden will.

Schließlich (5.) hielt Merz beim Hamburger Parteitag eine desaströse Rede: Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten argumentierte er nicht persönlich und nicht emotional, sondern trat auf wie ein Consultant von außen, der in einer Mischung aus Oberlehrer und Offizier kalt analysiert und im Befehlston dekretiert, was zu geschehen hat.

Es spricht gerade angesichts dieser Sachlage sehr gegen die CDU und ihre Weisheit, dass Friedrich Merz trotzdem nur um 18 Delegierten-Stimmen verloren hat.

Den rechten Rand unter Wasser drücken

Möglicherweise ist die Annahme ja falsch, dass die CDU überhaupt eine konservative Partei ist. Oder dass sie das sein sollte.

Möglicherweise ist es ebenfalls falsch, die politische Topographie noch in Links-Mitte-Rechts zu kartographieren. Auf einer derartigen Matrix wären politische Lager dann einerseits zwischen den Polen "progressiv-verändernd" und "konservativ-bewahrend", andererseits zwischen den Polen "bürgerrechtlich-individualistisch" - "institutionell-gemeinschaftlich" zu verorten.

Die Aufgabe einer Partei ist es, solche Kategorien mit Leben und politischer Substanz zu füllen, und den Wählern ein Programm und eine Mannschaft zu präsentieren, die glaubwürdig und überzeugend wirken.

Jenseits des kurzfristigen Kalkül dieser oder jener Parteitaktik nach Marktforschungskriterien wäre es die staatspolitische Aufgabe der Union, den rechten und rechtsextremen Rand "unter Wasser zu drücken", also unter der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle zu halten, und unter der "5-Prozent-Hürde", sowie parteipolitisch einzuhegen. Das genau meint Schäubles Formel "Besser für unser Land".