"Angst vor den Ideen, die von der kurdischen Bewegung ausgehen"

YPJ-Kämpferin und YPG-Kämpfer. Bild: Kurdishstruggle / CC BY 2.0

Das LKA Berlin ermittelt gegen einen deutschen Aktivisten wegen Terrorismusvorwürfen, weil er die YPG gegen den Islamischen Staat unterstützt haben soll

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Es gab in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Gerichtsverfahren gegen Personen aus Deutschland, die in Syrien gekämpft haben. Die meisten standen aufseiten der Dschihadisten, viele waren in Milizen des sogenannten Islamischen Staates. Nun droht zum ersten Mal einem Deutschen wegen Terrorvorwürfe ein Gerichtsverfahren, weil er gegen den Islamischen Staat agiert hat - das Landeskriminalamt Berlin ermittelt in der Sache.

Vorladung des LKA

Die Staatsschutzabteilung des Berliner LKA hat dem linken Berliner Aktivisten Peter Schaber eine Vorladung geschickt, um ihn in der Sache zu verhören. Das Schreiben wurde bereits am 8. Dezember zugestellt, heute wurde der Fall bekannt. Das Landeskriminalamt war für Anfragen zu der Sache nicht zu erreichen. Schaber will auf das Gerichtsverfahren warten, um die Sache juristisch auszufechten, mit der Polizei will er nicht sprechen.

In diesen Tagen schlagen kurdische und arabische Einheiten im Südosten Syriens die, wie gesagt wird, "letzte Schlacht" gegen den sogenannten Islamischen Staat. Die IS-Milizen wurden inzwischen nicht nur aus dem Irak, sondern auch aus den größten Teilen Syriens vertrieben. Einen erheblichen Beitrag dazu leisteten, das ist unumstritten, die syrischen Kurden und ihre Volks- und Frauenmilizen YPG und YPJ.

Große Unterstützer der kurdischen Milizen: USA und Frankreich

Unterstützt wurden sie bei diesem Kampf bekanntlich von westlichen Staaten, allen voran den USA und Frankreich. Die Strafverfolgung eines Linken aus Deutschland, der sich auf dem Weg nach Syrien macht, um die Kurdenmiliz zu unterstützen, erscheint gerade deshalb absurd.

Eine Anfrage beim österreichischen Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger, der zu islamistischen Gotteskriegern, kurdischen Gebieten und internationalen Beziehungen forscht, ergibt das Naheliegende. Er sieht hinter der Strafverfolgung von Aktivisten, die die kurdische Bewegung unterstützten, hauptsächlich politische Gründe.

Deutschland hält Erdogan den Rücken frei

Die deutsche Politik sei, was die Kurdenfrage betreffe hauptsächlich daran orientiert, es dem türkischen Staatschef Erdogan recht zu machen. Kerem Schamberger, Aktivist und Autor aus München pflichtet ihm bei: "Als im Frühjahr der kurdisch-nordsyrische Kanton Afrin von türkischen Truppen und Islamisten besetzt wurde, da sind deutsche Panzer durch Afrin-Stadt gerollt. Derzeit droht Erdogan wieder, in Nordsyrien einzumarschieren, und wieder hält Deutschland ihm den Rücken frei."

Auch gegen Schamberger läuft ein Verfahren - weil er die Fahne der YPG auf Facebook gepostet und auf Demos gezeigt hat - kein Einzelfall in der bayerischen Hauptstadt.

Umstrittener §129b

Ermittelt wird gegen Peter Schaber, weil er einer Straftat beschuldigt wird, nämlich der "Unterstützung einer terroristischee Vereinigungen im Ausland", womit der Strafgesetzbuchparagraf 129b im Spiel ist. Genannt werden in der Vorladung die Stichworte die "YPG" und "Syrienaufenthalt".

Der Paragraph ist unter Juristen umstritten. Und Beweise? Schaber hat aus seiner Reise in die Demokratische Föderation Nordsyrien oder Rojava, wie die mehrheitlich kurdische Region im Norden Syriens auf Kurdisch heißt, nie einen Hehl gemacht.

Schaber ist Redakteur der linken Publikation Lower Class Magazin, wo sein Fall auch dargestellt wird. Auch für die Junge Welt hat er immer wieder auch aus der Region berichtet. Für ihn hat die Unterstützung der kurdischen Freiheitsbewegung nichts mit Terrorismus zu tun - im Gegenteil: "Die YPG besiegte den Islamischen Staat, verhinderte Genozide und schützt Zivilisten".

Terroristen seien deshalb die anderen: "Die Bundesrepublik verkauft Waffen an einen Diktator, der mit islamistischen Milizen zusammen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt, Teile Syriens annektiert und plündert. Wer ist da terroristisch?"

"Ich bin dort hingefahren, um zu lernen"

Was aber verschlägt einen deutschen Linken nach Nordsyrien? "Ich bin dort hingefahren", erklärt Schaber, "um von der kurdischen Bewegung zu lernen. Um zu lernen, wie man Rätestrukturen aufbaut und wie man gemeinsam mit der eigenen Bevölkerung arbeitet". Konkreteres zu den Vorwürfen sagt Schaber nicht. Er will, wie oben erwähnt, auf das Gerichtsverfahren warten.

Politisch gibt es einiges zum Vorwurf der "terroristischen Vereinigung" im Zusammenhang mit der YPG zu sagen. Der radikaldemokratische Aufbruch und die autonome Frauenbewegung sind längst über die kurdischen Gebieten Syriens hinausgewachsen.

Mit der Eroberung mehrheitlich arabischer Städte durch die von den YPG geführten Syrian Democratic Forces (SDF), und die Vertreibung des IS aus diesen Städten, breitet sich der demokratische und feministische Aufbruch auch auf mehrheitlich arabische und turkmenische Gebiete aus. Und findet nicht zuletzt auch im Westen großen Anklang in linken und liberalen Milieus, von Hollywood bis zu kommunistischen Gruppen.

"Auch die deutsche Regierung hat Angst vor den Ideen"

Und das, sagt Schaber, treibe nicht nur Erdogan zur Weißglut, führt der türkische Staat doch seit vier Jahrzehnten einen blutigen Krieg gegen die kurdische Freiheitsbewegung, sondern störe zunehmend auch die deutsche Politik: "Auch hier hat die Regierung Angst vor den Ideen, die von der kurdischen Bewegung ausgehen und sich verbreiten. Auch hier will man keine Demokratie von unten, keine Selbstverwaltung von Menschen in Stadtteilen oder gar Betrieben."

Sein Terrorverfahren sei da nur die Spitze des Eisberges: Die Repression reiche von Fahnenverboten über Razzien gegen kurdische Verlage und Vereine bis hin zu Haftstrafen für angebliche PKK-Mitglieder.

Wachsende Repression

Schaber und andere Aktivisten fürchten, dass die Repression gegen Kurden und alle anderen, die den Aufbruch in Rojava unterstützen, in der Bundesrepublik in den kommenden Monaten weiter zunehmen wird. Denn wieder droht Erdogan mit Krieg gegen die Föderation Nordsyrien, und sollte er ernst machen mit seinen Drohungen, dann wird es auch in Deutschland wieder krachen, diese Einschätzung bestätigt auch Kommunikationswissenschaftler Schamberger.

Zu verhindern sei das nur, wenn der deutsche Staat von seiner finanziellen, militärischen und diplomatischen Unterstützung Erdogans ablasse. Was wohl aber leider nicht passieren wird, setzt die deutsche Außenpolitik doch was die Wahrung ökonomischer und geopolitischer Interessen betrifft seit Jahrhunderten auf die Türkei.

Bleibt also zu erwarten, dass sich die Eskalations- und Repressionsspirale auch in Deutschland weiterdrehen wird. Peter Schaber kann selbst diesem Szenario aber noch etwas abgewinnen: Er wolle seinen Prozess dazu nutzen sagt er, diese Zusammenhänge offenzulegen.