Abzug der USA aus Nordsyrien: Trump und Erdogan, beste Freunde?

Trump und Erdogan bei einer Unterredung während des G20 in Hamburg 2017. Bild: Weißes Haus /gemeinfrei

Wieder einmal wird deutlich, dass niemand ein Interesse an einer demokratischen Lösung in der Region hat

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Die USA haben begonnen, ihre zivilen Kräfte aus Nordsyrien abzuziehen. Dass diese Ankündigung unmittelbar nach dem Telefonat von Trump und Erdogan erfolgte, ist kein Zufall (vgl. Wird Trump den Rückzug aus Syrien umsetzen können?)

Wer jetzt denkt, die USA überlässt nun Russland das Feld, der irrt. Die USA werden weiterhin im Spiel bleiben. Für die Menschen der "Demokratischen Föderation Nordsyrien" mag der Zeitpunkt überraschend gewesen sein, nicht aber die Tatsache, dass die USA kein verlässlicher Partner sind. Ibrahim Murad, der Vertreter der Demokratischen Föderation von Nord- und Ostsyrien‘ in Deutschland twitterte: "Wir haben uns nie auf die äußere Kräfte verlassen, aber unsere gemeinsamen Interessen bildeten die Grundlage für eine Zusammenarbeit, um die Region zu schützen, Sicherheit und Stabilisierung zu gewährleisten."

Der IS ist besiegt?

Das gemeinsame Interesse, der Kampf gegen den IS, wurde nun durch Trump überraschend aufgekündigt. Dabei müsste es der amerikanische Präsident am besten wissen, dass der IS noch längst nicht besiegt ist. Er hält noch immer ein Rückzugsgebiet im Euphrattal, im Osten Syriens. Die Stadt Hajin ist noch immer umkämpft. Die SDF befreien noch immer unter großen Opfern Stück für Stück IS-Gebiete.

Das Pentagon und das amerikanische Außenministerium schätzen die Zahl der dort verbliebenen Extremisten auf einige Tausend. Auch im Irak gibt es noch schätzungsweise 15.000 IS-Kämpfer. Nicht zu vergessen, die ganzen Islamisten in Idlib und im türkischen besetzten Kanton Afrin im Nordwesten Syriens.

Es ist hinlänglich bekannt, dass sich dort viele IS-Kämpfer - nun in den Uniformen der verschiedenen Islamistenmilizen - aufhalten. Bekannt ist auch, dass dort eine Zwangsarabisierung und -islamisierung stattfindet und die Menschen zu einem Leben unter strengen islamischen Regeln gezwungen werden. Die USA verschafft nun dem IS eine Verschnaufpause, um sich wieder zu rekrutieren.

Dies ist auch ganz im Sinne der türkischen Regierung, die ihrerseits im Oktober Gebiete in Nordsyrien angreifen ließ - just in dem Moment, als die SDF in Deir ez-Zor den IS fast vertrieben hatten. Die Unterbrechung des Vormarsches der SDF führte dazu, dass der IS große Teile wieder zurückerobert hatte.

Ankara ging und geht es darum, mit der Eröffnung einer neuen Front für die SDF, diese zu schwächen und den Islamisten Luft zu verschaffen. Es ist kein Geheimnis, dass die Türkei lieber Islamisten als Nachbarn hat anstatt Demokraten.

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR), deren Äußerungen kaum überprüfbar sind, meldete, die Syrisch-Demokratischen Kräfte (SDF) warnten, dass sie angesichts des US-Rückzugs und türkischer Einmarschdrohungen mehr als 3000 gefangengenommene IS-Mitglieder freilassen müssen, weil sie sich bei einem etwaigen Angriff nicht auch noch um sie kümmern könnten.

Es fließt noch viel Wasser den Euphrat und Tigris hinunter

Auch wenn nun angeblich schon das zivile amerikanische Personal abgezogen wird - laut Aussagen des Weißen Hauses soll der Abzug der Soldaten in den nächsten zwei bis drei Monaten geschehen, also Februar/März 2019. Bis dahin werden also die US-Soldaten weiterhin an der Grenze zur Türkei mit den SDF präsent sein. Bis dahin werden das Weiße Haus und das Pentagon weiter um die richtige Syrien, bzw. Nahost-Strategie streiten, denn das Pentagon ist gegen einen Truppenabzug.

Den empörten Kommentaren verschiedener amerikanischer Zeitungen ist zu entnehmen, dass das Pentagon nicht über den Trump-Beschluss informiert war. Wohl aber der türkische Präsident. Der türkische Verteidigungsminister frohlockte: "Vor uns liegt nun Manbij und der Osten des Euphrats".

Wie das allerdings in der nächsten Zeit mit den noch vorhandenen US-Soldaten zusammengehen soll, ist unklar. Werden sich die US-Soldaten von der Grenze ins Hinterland zurückziehen? Was passiert mit ihren Militärbasen? Unklar ist auch, was nun mit der Anti-IS-Allianz passiert. Wird diese nun aufgelöst? Frankreich hat jedenfalls angekündigt, seine Truppen nicht aus Nordsyrien abziehen zu wollen.

Eigentlich nichts Neues

Eigentlich war diese Entwicklung abzusehen. Die USA und Europa hatten nie wirklich ein Interesse, die Türkei als Flugzeugträger aufzugeben. Schließlich lagern in Incirlik noch immer amerikanische Atomwaffen. Um Incirlik gab es immer wieder Dissonanzen zwischen den USA und der Türkei.

Vor einiger Zeit versuchten regierungsnahe türkische Rechtsanwälte die US-Flüge gegen den IS von der Airbase zu stoppen, indem sie US-Offiziere der Beteiligung an dem Putschversuch im Juli 2016 bezichtigten.

Außerdem ist die Türkei ein dankbarer Waffenkäufer. Zwar weiß niemand, wie die Türkei ihre Waffengeschäfte angesichts der maroden Wirtschaftslage bezahlen will, für Trump sind seine neuesten Waffendeals, den Verkauf von 80 Patriot- und 60 PAC-3-Raketen an die Türkei ein wichtiger Faktor, um innenpolitisch angesichts der schwächelnden US-Wirtschaft, zu punkten. Zudem nun der türkisch-russische Deal, der Kauf des S-400- Raketensystems vom Tisch zu sein scheint. Bleibt abzuwarten, was Russland dazu verlauten lässt.

Erst mal gratulierte Putin dem amerikanischen Präsidenten für die Entscheidung, aus Syrien abzuziehen. Schließlich ist Russland daran gelegen, Syrien wieder unter Assad zu "befrieden". Daran kann wiederrum der NATO und der USA nicht gelegen sein. Sie setzen ja auf einen Regierungswechsel.

Die neo-osmanischen Expansionswünsche der Türkei sind zwar nichts Neues, könnten aber nun den USA und der NATO als Mittel zum Zweck beim Regime Change nützlich sein.

Ein weiteres Thema, bzw. ein weiterer Deal dürfte bei dem Trump-Erdogan-Telefonat eine Rolle gespielt haben, nämlich eine eventuelle Vereinbarung, den Islamprediger Fetuhullah Gülen nicht auszuweisen und der Türkei dafür freie Hand in Nordsyrien zu lassen. Wenige Tage vor dem Telefonat haben US-Justizbehörden den Amerikaner Bijan Rafiekian und den Türken Kamil Ekim Alptekin angeklagt.

Sie sollen als Agenten der türkischen Regierung in den USA versucht haben, auf eine Auslieferung von Gülen an die Türkei hinzuwirken. Zuvor verlangte die Türkei immer wieder die Auslieferung von Gülen und legte ‚Beweismaterial‘ für die Beteiligung Gülens am Putschversuch im Juli 2016 vor. Trump hatte sich bislang geweigert, aber seinen "Freund" Erdogan wissen lassen, "man bemühe sich immer, der Türkei entgegenzukommen".