Sachbücher des Monats: Januar 2019

Die Top Ten unter den Sachbüchern nebst einer persönlichen Empfehlung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Jeden Monat neu präsentiert von der Neuen Zürcher Zeitung, der Literarischen Welt, dem ORF-Radio Österreich 1 und Telepolis.

Ernst Piper
Rosa Luxemburg
Ein Leben

Rosa Luxemburg, 1871 im russischen Teil Polens geboren, gehörte vielen Minderheiten an. Sie kam aus einem jüdischen Elternhaus, perfektionierte erst während ihres Studiums in Zürich die deutsche Sprache, fand mithilfe einer Scheinehe in Deutschland ihre politische Heimat, war auf SPD-Parteitagen die einzige Frau mit einem Doktortitel und engagierte sich als rastlose Kämpferin für die europäische Arbeiterbewegung in nicht weniger als sieben verschiedenen sozialistischen Parteien. Luxemburg war die bedeutendste marxistische Denkerin ihrer Zeit. Sie kämpfte für die Diktatur des Proletariats, aber zugleich gegen den autoritären Zentralismus Lenins, weshalb sie auch die Gründung der Kommunistischen Internationale ablehnte. Ihre Revolutionstheorie, ihr Freiheitsbegriff und ihr unbedingter Internationalismus ließen sie zur Ikone des weltweiten Protests der 1968er-Bewegung werden. Ihr berühmter Satz "Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden" wurde eine Parole der Bürgerrechtler in der untergehenden DDR. In ihrer Gedanken- und Ideenwelt ist vieles zu finden, was auch heute, in einer Zeit des wieder erwachenden Nationalismus, anregend und wichtig ist.
Blessing Verlag, 832 Seiten, € 32,-
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Christopher Clark
Von Zeit und Macht
Herrschaft und Geschichtsbild vom Großen Kurfürsten bis zu den Nationalsozialisten

Worauf gründen sich Macht und Herrschaft? Wie entsteht Macht? Wie wird sie begründet und erhalten? Und in welchem Verhältnis stehen Macht und Zeit? Dies sind die Fragen, denen sich Christopher Clark hier widmet. Wer Macht hat, verortet sich in der Zeit. ‎Er begreift sich als Teil der Geschichte und schafft damit das Geschichtsbild seiner Epoche. Vier solcher Geschichtsbilder betrachtet dieses Buch: das des Großen Kurfürsten von Brandenburg, Friedrichs II. von Preußen, Bismarcks und der Nationalsozialisten.
Aus dem Englischen übersetzt von Norbert Juraschitz.
Deutsche Verlags-Anstalt, 313 Seiten, € 26,00
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Timothy Snyder
Der Weg in die Unfreiheit
Russland - Europa - Amerika

Timothy Snyder schreibt die Chronik einer über uns hereinbrechenden politischen Katastrophe - der Aufstieg autoritärer Regime in Russland, Europa und den USA. ER zeigt in seinem furchtlosen Buch, wie Putins Russland freie Wahlen manipuliert, Fake News verbreitet, Cyberangriffe startet, Schwule verfolgt und rechtsradikale Parteien finanziert - und warum es das tut. Er schildert die beängstigenden Kontakte zwischen russischen Oligarchen und Donald Trump, und er warnt uns vor den Konsequenzen: Wenn wir nicht endlich aufwachen, dann wird die freie Welt vielleicht schon bald Vergangenheit sein.
Aus dem Englischen übersetzt von Ulla Höber und Werner Roller.
C. H. Beck Verlag, 376 Seiten, € 24,95
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Andreas H. Segerer / Eva Rosenkranz
Das große Insektensterben
Was es bedeutet und was wir jetzt tun müssen

Die "Krefeld-Studie" hat gezeigt: Das Artensterben ist auch bei uns angekommen. Wenn bislang irgendwo in Afrika eine unbekannte Art verschwand, konnte man dazu noch mit den Schultern zucken. Aber nun sterben Bienen, Hummeln und Käfer vor unserer Haustür - und mit ihnen verschwinden Vögel, Frösche und vieles mehr. Was wir mit den Insekten verlieren, ist nicht allein das Fundament eines intakten Ökosystems; mit dem Aussterben der Bestäuber steht die Nahrungsmittelversorgung für unzählige Menschen auf dem Spiel. Wozu brauchen wir Insekten? Ist ihr Verschwinden nur eine kurzfristige Laune der Natur? Wer oder was ist dafür verantwortlich? Der Insektenforscher Andreas Segerer erläutert die Zusammenhänge und zeigt auf, was jetzt passieren muss.
oekom Verlag, 208 Seiten, € 20,-
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W. Daniel Wilson
Der faustische Pakt
Goethe und die Goethe-Gesellschaft im Dritten Reich

Goethes Leben ist so reich dokumentiert, sein Leben so vielschichtig, dass er leicht von allen möglichen Meinungsmachern vereinnahmt werden konnte. Für die Goethe-Gesellschaft etwa, 1885 in Weimar gegründet, war er schon vor der "Machtergreifung" 1933 weniger der aufgeklärte Humanist als vielmehr der konservative Nationalist, danach transportierte sie das Bild eines betont "braunen" Goethe noch vehementer. Schließlich wurde der Olympier breitspurig für Regimezwecke eingespannt. Die Privilegien einer vorgesehenen "Weltmission", gepaart mit zunehmenden Verstrickungen, ergeben eine spannende dramatische Kurve.
dtv - Verlagsgesellschaft, 368 Seiten, € 28,-
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Eric R. Kandel
Was ist der Mensch?
Störungen des Gehirns und was sie über die menschliche Natur verraten

Was genau geschieht, wenn unser Gehirn nicht mehr "normal" funktioniert? Wenn es in Unordnung geraten ist, durch Störungen oder Krankheiten wie Alzheimer, Depression oder posttraumatischen Stress? Eric Kandel hat sich in seiner Arbeit immer wieder mit der Frage beschäftigt, inwiefern komplexe menschliche Verhaltensweisen biologische Ursachen haben. In seinem neuen Buch zeigt er an vielen Beispielen, von Angstzuständen bis zur Schizophrenie, von Sucht bis Bipolarität, wie sehr biologische Prozesse unsere Identität prägen. Denn gerade die Störungen, die Abweichungen und Anomalien machen auf beeindruckende Weise sichtbar, was es heißt, Mensch zu sein.
Übersetzt von Sebastian Vogel.
Siedler Verlag, 368 Seiten, € 30,-
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Andreas Rödder
Wer hat Angst vor Deutschland?
Geschichte eines europäischen Problems

Deutschland steckt in einem Dilemma. Allenthalben wird erwartet, dass es politische Führung übernimmt. Doch wenn es dies tut, ist der Vorwurf der deutschen Dominanz vorprogrammiert. Andreas Rödder erzählt die Geschichte, die dahintersteht: die Geschichte der "deutschen Stärke" in Europa, die alle Katastrophen des 20. Jahrhunderts überlebt hat, die Geschichte deutscher Selbstbilder als Kulturnation und die Geschichte der vielen zwiespältigen Gefühle der Nachbarn gegenüber Deutschland - die bis heute immer wieder präsent sind.
S. Fischer Verlag, 368 Seiten, € 20,-
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Frank Sieren
Zukunft? China!
Wie die neue Supermacht unser Leben, unsere Politik, unsere Wirtschaft verändert

China ist keine ferne Bedrohung mehr, China ist da! Politisch und wirtschaftlich. Das Reich der Mitte ist ehrgeizig, schnell und gut organisiert, es ist innovativ wie das Silicon Valley und bestimmt zunehmend die internationalen Spielregeln. China setzt auf Wachstum und digitale Technologien und hält sich nicht mit dem westlichen Demokratiemodell auf. Auf allen Kontinenten investiert es in Bodenschätze, Schlüsselindustrien und Infrastruktur - auch bei uns. Das 1000-Milliarden-Dollar-Projekt der Neuen Seidenstraße reicht bis Duisburg. An den Aktienmärkten gehören Alibaba und Tencent inzwischen zu den weltweit größten Unternehmen. Frank Sieren zeigt, wo China uns direkt herausfordert und was die neue Weltmacht für uns bedeutet: sowohl Chance als auch Gefahr.
Penguin Verlag, 368 Seiten, € 22,-
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Anne Dufourmantelle
Lob des Risikos
Ein Plädoyer für das Ungewisse

Im Risiko, im Unvorhersehbaren liegt eine ungeahnte Kraft. Wenn wir etwas wagen, ohne zu wissen, wo es uns hinführt, können wir nur gewinnen: Handlungsräume, Kreativität und Selbstbestimmung. Das größte Risiko unseres Lebens ist und bleibt die Liebe. Die Philosophin und Psychoanalytikerin Anne Dufourmantelle hat stets nach dieser Maxime gelebt. Als sie im Sommer 2017 zwei Kinder vor dem Ertrinken rettete, hat sie ihr eigenes Leben riskiert - und verloren. Dieses Buch ist ihr Appell, die Fenster aufzureißen, um das Ungewisse in unser Leben zu lassen.
Übersetzt von Nicola Denis.
Aufbau Verlag, 315 Seiten, € 20,-
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Valentin Groebner
Retroland
Geschichtstourismus und die Sehnsucht nach dem Authentischen

Geraniengeschmückte historische Altstädte, Kolonialidyllen auf tropischen Inseln und urtümliche Alpendörfer: Reisen an Orte, an denen die Zeit vermeintlich stehengeblieben ist, sind das Alltagsgeschäft des Fremdenverkehrs. Valentin Groebner erzählt von den Hotspots des Geschichtstourismus - den es verblüffenderweise schon seit 500 Jahren gibt! Er nimmt seine Leser mit ins Piemont und nach Paris, in die Berge und an malerische Strände, ins romantische Luzern und ins pittoreske Sri Lanka. Der eigentliche Rohstoff der Tourismusindustrie, so zeigt er, sind nicht Kultur, Sonne und Landschaft. Es ist das Versprechen, das Paradies zu finden, aber auch die eigenen Ursprünge, das Authentische und Unverfälschte. Doch vieles, so zeigt Valentin Groebner, ist nicht, wie es scheint und wie es der Reiseführer behauptet. Denn das sehenswerte Alte muss ständig neu hergestellt und angepasst werden, damit es den Erwartungen entspricht.
S. Fischer Verlag, 219 Seiten, € 20,-
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Besondere Empfehlung des Monats Januar von Prof. Michael Hagner:

Hans Kelsen
Vom Wesen und Wert der Demokratie

Als "eine der großen Demokratiebegründungsschriften überhaupt" hat man diesen Text bezeichnet. Kelsen, der maßgeblich an der Ausarbeitung der ersten demokratischen Verfassung Österreichs von 1920 beteiligt war, geht von der Frage aus, wie die Freiheit des einzelnen am wirkungsvollsten zu sichern ist; er behandelt die Rolle des Parlaments und sein Verhältnis zum Volkswillen, die Bedeutung von Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, von Elitenauslese und Gewaltenteilung. Kelsens Schrift ist ein Plädoyer für die Demokratie. Angesichts heutiger Demokratiemüdigkeit ist dieser Klassiker so wichtig wie nie.

Wer die Demokratie verteidigen möchte, tut gut daran, sich über ihre Grundlagen in Kenntnis zu setzen. Dieses schmale Buch des großen österreichischen Rechtstheoretikers Hans Kelsen ist ein Lehrstück an Klugheit und Nüchternheit, das auch fast 100 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung unverzichtbar erscheint, um den Zumutungen des totalitären Populismus wirkungsvoll zu begegnen.
Michael Hagner

Herausgegeben von Klaus Zeleny.
Reclam Verlag, 193 Seiten, € 4,80

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Die Jury: Tobias Becker, Der Spiegel; Kirstin Breitenfellner, Falter (Wien); Peter Ehmer, WDR 5; Dr. Eike Gebhardt; Daniel Haufler, Berlin; Prof. Jochen Hörisch, Universität Mannheim; Günter Kaindlstorfer, Wien; Dr. Otto Kallscheuer; Petra Kammann, FeuilletonFrankfurt; Elisabeth Kiderlen; Jörg-Dieter Kogel; Prof. Dr. Ludger Lütkehaus; Prof. Dr. Herfried Münkler, Humboldt Universität zu Berlin; Marc Reichwein, DIE WELT; Thomas Ribi, Neue Zürcher Zeitung; Prof. Dr. Sandra Richter, Uni Stuttgart; Wolfgang Ritschl, ORF Wien; Florian Rötzer, TELEPOLIS; Dr. Frank Schubert, Spektrum der Wissenschaft; Norbert Seitz; Prof. Dr. Joachim Treusch, Jacobs-University, Bremen; Dr. Andreas Wang; Michael Wiederstein, Schweizer Monat; Prof. Dr. Harro Zimmermann; Stefan Zweifel, Schweiz

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