Politiker-Clans, Parteiengeschacher und eine rebellische Politikergattin

Kyrios Mistotakis. Bild: W. Aswestopoulos

Griechenland steht vor einem Superwahljahr

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Für 2019 stehen Kommunalwahlen, Regionalwahlen, Europawahlen und Parlamentswahlen an. Der Wahlkampf hat bereits begonnen. Die Kandidaten für die Regionen und Kommunen werden bestimmt, um die Plätze auf den Listen in den Wahlbezirken für die Parlamentswahl bewerben sich auch Parteiwechsler. Parteivorsitzende und Parteigremien bestimmen, wen die Bürger wählen können.

Die Nea Dimokratia und die Familien

Kyriakos Mitsotakis ist nach eigener Aussage auch angetreten, um die Herrschaft der Familienclans in Griechenland zu beenden. Ausgerechnet Mitsotakis. Der Sohn des früheren Premierministers Konstantinos Mitsotakis, Großneffe des früheren Premiers Eleftherios Venizelos und Enkel des kretischen Politikers Kyriakos Mitsotakis, Bruder der aktuellen Parlamentsabgeordneten und früheren Ministerin Dora Bakoyianni, Onkel des aktuellen Kandidaten seiner Partei Kostas Bakoyiannis wettert gegen Familienclans. Die Liste der vom Staat besoldeten Mitglieder der Mitsotakis Familie wäre noch länger, wenn die bei dem Staat angegliederten Organisationen beschäftigten Familienmitglieder mit einbezogen würden.

Kostas Bakoyiannis. Bild: W. Aswestopoulos

Innerhalb der eigenen Partei verhinderte Mitsotakis in einigen Wahlbezirken die bislang praktizierte Erbfolge der Parlamentssitze. Mitsotakis erklärt sich selbst gern zum früheren politischen Gefangenen. Denn, gemäß seiner Logik, war er ein solcher als er als Neugeborener zusammen mit seinem Vater, der in der Militärdiktatur (1967-74) unter Hausarrest stand. Er sieht sich als designierter Premier, weil für ihn die Wahlniederlage Alexis Tsipras unvermeidlich ist. Als solcher bestimmte er bereits, dass seine Schwester keinesfalls Ministerin werden kann. Denn dies würde Mitsotakis Credo nach die abzulehnende Herrschaft der Familienclans stärken.

Ganz konsequent ist Mitsotakis bei seiner "familienfeindlichen" Aktion nicht. Denn mit Miltiadis Varvitsiotis wählte er einen Schattenminister für Immigration, dessen Vater Ioannis mehrfacher Minister der Nea Dimokratia und ab 1961 Parlamentarier deren Vorgängerpartei ERE war.

Offenbar hat der gleiche Mitsotakis auch kein Problem damit, den Sohn seiner Schwester im Kampf um den Bürgermeisterposten der Hauptstadt zu unterstützen. Theoretisch sind die Regionen und Kommunen von Parteien frei. Das heißt in der Praxis, dass die kommunalen und regionalen Wahllisten nicht unter dem Namen der Partei ihres Spitzenkandidaten auftreten, sondern "nur" das Chrisma, eine Art Kandidatensalbung durch die Partei erhalten.

Georgios Patoulis. Bild: W. Aswestopoulos

Ein solches Chrisma hat Georgios Patoulis erhalten. Der Orthopäde ist seit 1996 Mitglied des Präsidiums der Ärztekammer Athens. Seit 2014 ist er Präsident des Kommunalverbands Griechenlands. 1998 wurde zum Stadtrat in der Kommune Pefki, heute Lykovrysi-Pefki, gewählt. Nach seiner Wiederwahl 2002, damals als Stadtrat mit den absolut meisten Stimmen in einer Gemeinde der reichen nördlichen Vororte Athens, entschloss er sich zum nächsten Schritt. Er trat 2006 als Bürgermeister der Nachbargemeinde Marousi an und ist seitdem dort Bürgermeister.

2019 möchte Patoulis Regionalpräsident von Attika werden. Dieser Posten wird wegen der Größe der Hauptstadtregion gern mit einer Art Minipremierministeramt verglichen. Patoulis musste für sein Chrisma einen Preis bezahlen. Er sollte versichern, dass seine Gattin, Marina Stavraki-Patouli, ihre politische Karriere im Stadtrat von Lykovrysi-Pefki beendet und nicht mehr antritt.

Eine rebellische Gattin wehrt sich

Die Studienrätin, die allgemein kurz als Marina Patouli bezeichnet wird, wurde in Griechenland vor allem wegen ihres Geschmacks bekannt. Sie kleidet sich gern jugendlich modisch, sie mag golden barock ausgeschmückte Zimmer und sie begleitete bislang ihren Gatten brav als attraktives Anhängsel. Dies zumindest wurde seit Jahren ununterbrochen in Home-Storys und in der Boulevardpresse propagiert. Offenbar ging Frau Patouli nicht nur die sexistisch gefärbte Berichterstattung auf die Nerven. Die Tatsache, dass sie gegen ihren Willen und ihre eigenen Ambitionen als Unterpfand für die weitere politische Karriere herhalten musste, scheint sie auf die Barrikaden gebracht zu haben.

Pünktlich zu Weihnachten verkündete Marina Patouli öffentlich, dass sie für den Posten des Bürgermeisters in Marousi kandidiert. Sie stellt sich damit offen gegen ihren Ehemann, der öffentlich bereits dem offiziellen Kandidaten der Nea Dimokratia, Thodoros Abatzoglou, seine Unterstützung zugesichert hat.

Patoulis wiederholte den Schwur der Treue zum Parteikandidaten noch einmal, nachdem seine Gattin sich unter Berufung auf Plato zur Bewerberin erklärt hatte. Patoulis folgte damit der Vorgabe des über die Kandidatur von Marina Patouli verärgerten Mitsotakis. Frau Patouli schrieb in ihrer Stellungnahme, dass sie fest an die Worte Platons glaube, dass "eine der Strafen dafür, dass man sich nicht mit der Politik beschäftigt, ist, dass man sich unter der Regierung von Schlechteren wiederfände".

Angesichts der Zeitpunkts, des Weihnachtsfestes und der medialen Ereignisse in Deutschland kann sich wohl kaum jemand verkneifen, nicht an eine erzählende Reportage zum Thema zu denken. Dabei könnte unter dem Weihnachtsbaum der Patoulis George Michaels "Last Christmas" sicherlich für eine passende musikalische Untermalung sorgen. Denn noch vor wenigen Monaten hatte sich Frau Patouli öffentlich zur begeisterten und treuen Unterstützerin der Kandidatur ihres Mannes erklärt.

Die griechische Presse hat mit der Causa Patoulis ein Diskussionsstoff und Leserinteresse generierendes Thema gefunden. Marina Patouli bestätigte in einem Fernsehinterview gegenüber dem Sender SKAI, dass sie auch ohne die Unterstützung ihres Gatten an ihrer Kandidatur festhalten wird. Im Interview ließ sie durchblicken, dass sie auf eine Einladung Abatzoglous zur Mitarbeit gewartet habe. Weil diese ausblieb, kandidiert sie schließlich als parteiunabhängige Kandidatin selbst. Frau Patouli bestreitet, dass die Kandidatur die nun 32 Jahre anhaltende Beziehung zu ihrem Mann beeinträchtigen würde. Sie gab aber zu, dass Patoulis ihre politischen Ambitionen kritisch sieht.

Transferperiode für Berufspolitiker

Mitsotakis Nea Dimokratia sorgt nicht nur für Familienstreit. Mitsotakis bemüht sich darüber hinaus, seine Kandidatenlisten mit Transfers von anderen Parteien zu ergänzen. Von To Potami holte er sich den Schriftsteller Petros Tatsopoulos. Dieser war für To Potami bei den Wahlen 2015 angetreten, hatte es aber nicht geschafft. Zuvor saß Tatsopoulos für von 2012 bis 2014 für SYRIZA im Parlament. Seit Anfang 2014 war er nach einem Zerwürfnis mit Alexis Tsipras unabhängiger Abgeordneter.

Ebenfalls von To Potami holte er sich den im Streit aus der Fraktion ausgetretenen Haris Theoharis, den früheren Chef der unabhängigen Behörde für Staatseinnahmen. Zwischenzeitlich hatte Theoharis eine eigene Partei gegründet, war aber aus ihr ausgeschlossen worden. Theoharis war in die Politik gegangen, nachdem ihn der damalige Premier Antonis Samaras (Nea Dimokratia) geschasst hatte. Nun treten beide, Samaras und Theoharis, vereint für die Nea Dimokratia an.

Solche Transfers sind in Griechenland eher die Regel als die Ausnahme. Die Fraktionen kleiner Parteien im Parlament werden dadurch sogar in ihrer Existenz bedroht. Vasilis Leventis, als Parteivorsitzender der Union der Zentristen konnte nicht reagieren, als einer seiner Abgeordneten Ende Dezember gegen die Parteivorgabe für den Etat von Alexis Tsipras Regierung stimmte. Hätte er den Mann aus der Partei ausgeschlossen, dann wäre per Gesetz die Fraktion seiner Partei wegen Unterschreitung der Mindestabgeordnetenzahl nicht mehr existent. Im Vorjahr hat Leventis bereits eine Abgeordnete an SYRIZA verloren. Diese hofft nun auf eine Versorgung ihrer weiteren Karriere durch Tsipras Partei.

Politiker, die einer anderen Partei mit derartigen Gesten, wie der Stützung bei kritischen Abstimmungen helfen, können darauf setzen, dass ihr Engagement mit dem einen oder anderen Posten gewürdigt wird. Verfügen die Betreffenden darüber hinaus über Prominenz, bekommen sie einen erfolgversprechenden Platz auf den Wahllisten in den Wahlbezirken. Die für die neuen Parteien interessantesten Kandidaten landen gleich auf vorderen Positionen der Landesliste, wo sie ohne direktes Wählervotum einen Parlamentssitz ergattern können.

Interessantes Detail am Rand ist, dass die aktuelle Zusammensetzung des griechischen Parlaments nicht aufgrund von Direktmandaten erfolgte. Weil vom Zeitpunkt der Wahl im Januar 2015 bis zu den vorgezogenen Neuwahlen im September 2015 weniger als 18 Monate vergangen waren, konnten die Griechen ihre Kandidaten nicht direkt wählen. Sie mussten die von den jeweiligen Parteivorsitzenden vorgegebenen Rangabfolgen absegnen.

Die nun größtenteils aus eigenen Stücken in andere Parteien eintretenden Politiker meinen jedoch, dass nicht sie sich geändert hätten, sondern ihre ehemalige Partei. Somit würden sie ihrer Ansicht nach mit dem Parteiwechsel den Wählerwillen respektieren. ParteiStimmanteilSitze gemäß WahlHeutige SitzeSYRIZA35,46 %145145Nea Dimokratia28,10 %7578Goldene Morgenröte6,99 %1815Demokratische Fraktion6,28 %1720Kommunistische Partei5,55 %1515To Potami4,09 %116Unabhängige Griechen3,69 %107Union der Zentristen3,43 %95Ohne Fraktion / unabhängig--9Tabelle: Die Parlamentssitze der griechischen Parteien nach den Wahlen 2015 und heute gemäß dem Wahlgesetz erhielt SYRIZA als stärkste Partei 50 Bonussitze Mitsotakis rekrutiert nicht nur wechselwillige Politiker für sein Team. Darüber hinaus verspricht er den griechischen Wählern auch das, was bislang Sozialdemokraten und Linke im Wahlprogramm hatten: Geld für die ärmeren Griechen, höhere Mindestlöhne und Sozialhilfen.

KinAl - die Partei mit den vielen Namen

Mit seinem berühmt, berüchtigten Wahlmotto "Es gibt Geld" hatte Giorgos Papandreou 2009 die Wahlen gewonnen und 2010 schließlich den Gang zum IWF antreten müssen. Seine PASOK, Gründung von Papandreous Vater, verlor damit ihren Status als Volkspartei. Schließlich trat Giorgos Papandreou, immer noch Vorsitzender der Sozialistischen Internationale, 2015 mit einer eigenen Partei KiDiSo an und scheiterte an der Drei-Prozent-Hürde.

Giorgos Papandreou. Bild: W. Aswestopoulos

Mittlerweile hat die PASOK mehrfach den Namenswechsel versucht. Sie trat als Elia (Olivenbaum) bei den Europawahlen 2014 an und versuchte 2015 im Verbund mit der Demokratischen Linken als Demokratische Fraktion den Neustart. Das Problem der PASOK sind die Schulden, die mit der Steuernummer des Parteinamens verbunden sind. Weil die Partei einen dreistelligen Millionenbetrag allein an Bankkrediten nicht zahlen kann, nutzt sie im Verbund mit der Demokratischen Linken deren Steuernummer. Viele der alten Parteikader wechselten zu SYRIZA, als das PASOK-Schiff zu sinken begann.

Mittlerweile hat sich die Partei in einen Verbund sozialdemokratischer Parteien unter dem Namen Kinima Allagis zur voraussichtlich dritten politischen Kraft gemausert. Dabei durften die Papandreous nicht fehlen. Außer Giorgos Papandreou kommt nun auch dessen Bruder Nikos Papandreou zum Zug. Letzterer tritt als Kandidat bei den Europawahlen an. Damit bleibt den griechischen Wählern auch weiterhin die Fehde der Papandreous und Mitsotakis erhalten. Der Clan-Urvater, Georgios Papandreou, war ebenso wie Konstantinos Mitsotakis von Eleftherios Venizelos in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts für eine politische Laufbahn ausgewählt worden.

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