Mittelmeer: Deutsche NGOs suchen sichere Häfen für Bootsflüchtlinge

Rettungsschiff "Professor Albrecht Penck". Bild. sea-eye.org

Die Rettungsschiffe "Sea-Watch 3" und "Professor Albrecht Penck" haben etwa 50 aus Seenot Gerettete an Bord. Hilfsappelle richten sich besonders an die deutsche Regierung, da 30 Städte Aufnahmebereitschaft erklärt haben

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Seenotrettung vor der libyschen Küste gehörte im zu Ende gehenden Jahr 2018 zu den Themen, die am meisten polarisierten, Streit garantierten und Gefühle hochkochen ließen. Der neue italienische Innenminister Salvini von der rechtspopulistischen Lega Nord mischte im Sommer die angespannte Lage weiter auf, als er erklärte, dass italienische Häfen keine Migranten von Rettungsschiffen mehr aufnehmen würden.

Das Prinzip galt dann selbst für Schiffe der italienischen Küstenwache, wie sich im August am Beispiel der "Diciotti" zeigte (vgl. Migranten aus Libyen: Nun ist die italienische Küstenwache das Problem). Jede Rettungsaktion war begleitet von mühsamen, langen Verhandlungen über einen sicheren Hafen, der die Passagiere aufzunehmen bereit ist, währenddessen die Schiffe, die Gerettete an Bord hatten, ein Notsignal nach dem anderen abgaben.

Die Verhandlungen über die Aufnahme der Migranten an Bord der "Diciotti" führten letztlich dazu, dass Italien doch einen Teil der Bootsflüchtlinge aufnahm. Betont wurde, dass Italiens Häfen sich nicht wie in den Jahren zuvor als alleinige oder hauptsächlicher Adresse von Passagieren zur Verfügung stellen wollte. Es sei die Verantwortung ganz Europas. Salvini hatte bei seiner Kritik an den Anlandungen besonders die deutschen NGOs im Auge. Er bezeichnete die Seenotrettung als eine Art Subunternehmen der Menschenhändler und Schlepper.

Die Rettungsaktionen der NGOs wurden in der Diskussion polemisch als Taxi-Fahrten etikettiert. Salvini unterstützte mit seinen öffentlichen Äußerungen diese Sicht, die in Forumsdiskussionen in den Medien und in sozialen Netzwerken von aufgebrachten Beiträgen unterlegt wurden, die viele Ressentiments gegen die Bootsflüchtlinge zutage brachten.

Zeit der Stille, Vorwürfe gegen Italien

Ab Herbst wurde es stiller. Den Rettungsschiffen wurde der Einsatz schwer gemacht. Vorwürfe gegen die neue italienische Regierung machten die Runde. Es würde im Hintergrund daran gearbeitet, dass Staaten wie etwa Panama oder die Niederlande ihre Flaggen zurückzogen, so dass die NGO-Rettungsschiffe nicht mehr vor der libyschen Küste aktiv sein könnten, lautete ein Vorwurf.

Der andere lautete, dass die Zahl der Toten steigen würde, wenn keine Rettungsschiffe der NGOs mehr vor Libyens Küste operieren, weil das Gebiet dann nur mehr unter Kontrolle der libyschen Küstenwache steht, die kein Interesse daran hat, solche Zahlen zu melden, die ihre Arbeit in schlechtes Licht stellen. Es gebe keine unabhängigen Beobachter mehr.

Neuer Einsatz

Nun hat sich die Situation geändert, es ist nicht mehr still in Sachen "gerettete Migranten vor der libyschen Küste". Dabei spielen deutsche NGOs eine prominente Rolle. Zwei Schiffe, die "Sea-Watch 3" der Hilfsorganisation Sea-Watch und die "Professor Albrecht Penck" von der Hilfsorganisation Sea-Eye, haben aus Seenot gerettete Migranten an Bord und suchen seit mehreren Tagen einen sicheren Hafen.

Neu ist, dass eins der Rettungsschiffe, nämlich die "Professor Albrecht Penck", unter deutscher Flagge fährt (die "Sea-Watch 3" fährt als Jacht unter niederländischer Flagge). So richten sich die Appelle, die geretteten Migranten aufzunehmen, auch und besonders an die deutsche Regierung. Das deutsche Innenministerium und das Auswärtige Amt müssen handeln, "eine Lösung braucht es jetzt!", appelliert die zivilgesellschaftliche Organisation Seebrücke, die sich als "internationale Bewegung" bezeichnet.

Sie erwartet grundlegend "von der deutschen und europäischen Politik sofort sichere Fluchtwege, eine Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine menschenwürdige Aufnahme der Menschen, die fliehen mussten oder noch auf der Flucht sind". Im konkreten aktuellen Fall der geretteten Migranten an Bord der "Sea-Watch 3" wandte sie sich vor Weihnachten direkt an Innenminister Seehofer mit Verweis darauf, dass sich 30 Städte dazu bereit erklärt haben, Migranten aufzunehmen. Das war am 23. Dezember.

Binnen zwei Wochen: Über 400 aus Seenot Gerettete

Am 21. Dezember wurde die "Professor Albrecht Penck" von der NGO Sea-Eye zum ersten Einsatz vor die libyschen Küsten entsandt. Am Samstagmorgen, dem 22. Dezember, übernahm sie 17 Personen von einem "überladenen Fischerboot". Nach Informationen der NGO Sea-Watch konnte deren Rettungsschiff die "Sea-Watch 3" an jenem Samstag vor Weihnachten "33 Menschen vor dem Ertrinken retten, darunter mehrere Kinder". Sie wurden an Bord der Sea-Watch 3 genommen (in manchen Berichten ist von 32 Geretteten die Rede).

Beachtlich ist der Umfang weiterer Rettungsaktionen in diesem Zeitraum. Laut Sea-Watch wurde schon Freitag zuvor eine größere Rettungsaktion durchgeführt: Binnen 24 Stunden seien 344 Menschen gerettet worden. 311 Personen nahm das Schiff "Open Arms" der spanischen NGO Proactiva Open Arms auf, die mit Sea-Watch verbunden ist (siehe Manifest).

Am gestrigen Sonntag wurde aus Malta gemeldet, dass ein Schiff der maltesischen Marine 69 Migranten aus Seenot gerettet habe - sie befanden sich angeblich auf einem Holzschiff in Notlage - habe und auf dem Weg zu einem Hafen der Insel sei.

Darüber hinaus gab es am vergangenen Samstag noch eine Meldung von Sea-Watch, wonach die Seenotrettungsleitstelle in Rom, das MRCC, Tage zuvor "über Seenotfall mit ca. 72 Personen" informiert habe. In der Twittermeldung heißt es: "Wir suchten 2 Tage lang ohne Erfolg und Unterstützung der Behörden. Wir können uns nur vorstellen, was mit dem Boot passiert ist. #Seenotrettung muss verstärkt & unterstützt werden, nicht behindert."

Diese Ereignisse und Meldungen, an denen nicht nur NGOs beteiligt sind, ergibt insgesamt nicht gerade ein "Bild der Stille".

Starker Rückgang der versuchten Überquerungen

Den Eindruck, dass die Migration übers Meer von Libyen nach Italien stark zurückgegangen ist, bestätigen etwa die Zahlen der Internationalen Organisation für Migration (IOM).So werden zum Beispiel für Dezember 2018 als letzte aktuelle Zahl "127" Ankünfte registriert. Im November waren es noch 1.129. Mit der Jahreszeit alleine ist der eklatante Rückgang nicht zu erklären, wie die Zahl der Ankünfte von Dezember 2017 aufzeigt. Vor einem Jahr waren es über 2.300 und 2016 sogar etwa über 8.000.

Insgesamt verzeichnet die IOM im heute zu Ende gehenden Jahr 42.213 Versuche, das Mittelmeer zu überqueren. Im letzten Jahr waren es 138.270. Auch die Zahl der Toten war im Jahr 2017 mehr als doppelt so hoch wie in diesem Jahr, nämlich 2.853 gegenüber 1.306. Anteilsmäßig gerechnet ergibt sich für das ablaufende Jahr die grauslige Quote von 3,1 Prozent Tote/Überquerungsversuche. Das ist ein Prozentpunkt mehr als im letzten Jahr (2,1 Prozent).

Wahrnehmungslücken

Die im Vergleich zum eben dargelegten Rückgang der Überquerungsversuche erstaunlich hohe Zahl der Geretteten der letzten zehn Dezembertage bestärkt fürs erste den Eindruck, dass die dokumentierten Zahlen ziemliche Lücken haben könnten.

Solange die NGOs dem Gebiet vor den Hoheitsgewässern Libyens fernblieben, hatte die libysche Küstenwache, die von Italien und der EU unterstützt wird, das Wahrnehmungsmonopol. Das scheint sich gerade wieder zu ändern.