Drei Formen des Friedens

Ob zwei in Frieden miteinander leben, zeigt sich daran, wie sie ihre Konflikte austragen. Ist Gewalt im Spiel, dann ist zwischen den beiden kein echter Frieden. Erst recht nicht dann, wenn Krieg

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Was ist Gewalt - und was ist Krieg? Darüber herrscht keineswegs Einigkeit.1 Aber klar ist: Je schwächer die Begriffe von Gewalt und Krieg, desto stärker der resultierende (negative) Friedens-Begriff. (Negativ, weil nur über die Negation von Gewalt und Krieg definiert.)

Den stärkst möglichen (positiven) Friedens-Begriffen entsprechen die Paradiesträume der verschiedenen Kulturen. Dort fehlt sogar die Voraussetzung für Unfrieden. Im Paradies gibt es keine Konflikte. Bei uns schon. Ein insofern "realistischer" Friedens-Begriff ist z.B. der von Thomas Hobbes: "Die Zeit aber, in der kein Krieg herrscht, heißt Frieden."2

Die wichtigste Frage ist: Was ist gegen Krieg zu tun? Im Wesentlichen gibt es darauf drei Antworten, je nachdem, ob der Frieden durch (1) (Androhung von) Gewalt, durch (2) das Recht oder (3) durch Gerechtigkeit bewirkt werden soll.

(1) ist der Ansatz von Thomas Hobbes: Der Naturzustand (der Zustand ohne Staat) ist ein Krieg aller gegen alle. Die einzig mögliche Strategie, diesem inneren (Bürger-) Kriegszustand zu entkommen, ist die der allgemeinen Unterwerfung unter den Leviathan (den Staat). Auf die Leviathane selbst ist diese Strategie aber nicht anwendbar. Zu einem Souveränitätsverzicht können diese nicht bereit sein. Im Verhältnis zueinander verbleiben Staaten daher im Naturzustand. Sich auf das Schlimmste einzustellen, ist für sie vernünftig. Musterbeispiel: die nukleare Abschreckungsstrategie MAD (Mutual Assured Destruction) des "Kalten Krieges".

Das Modell von (2) ist das von Immanuel Kant. Sein Friedensprogramm (Zum Ewigen Frieden, 1795) unterscheidet angesichts der drei möglichen Ebenen von Gewalt (Menschen gegen Menschen, Staaten gegen Staaten, und Staaten gegen Menschen) zwischen (2.1) staatsrechtlicher, (2.2) völkerrechtlicher und (2.3) weltbürgerlicher Friedensstiftung. Frieden setzt nach Kant Rechtssicherheit voraus.

Für die Ebene (2.2) plädiert Kant letztlich für eine Konföderation unbeschränkt souveräner Staaten (Kant AA VIII, 383). Das Modell eines Weltstaates lehnt er ebenso ab wie das eines "Staatenvereins" als "Republik freier verbündeter Völker" (Kant AA VI, 24/Anm.) - und dies, obgleich er für die Ebene (2.1) die republikanische Verfasstheit klar favorisiert. Ob Kants Gründe für diese Differenz (z.B. dass ein Souveränitätsverzicht einen despotischen Zentralismus begünstige) stichhaltig sind, darüber wird auch heute noch - vor allem mit Blick auf die notwendige Reform der UN - heftig gestritten. Der Internationale Gerichtshof in den Haag geht über Kants Friedens-Konzept bereits hinaus. Zu Recht - falls Menschenrechte nicht weniger zählen sollen als Staatsrecht.

Dies berührt auch (3). Vor allem dann, wenn man John Rawls' Theory of Justice, 1971 (dt. 1975) folgt und so auch das Verfügen über zum Leben notwendige Güter zu den Basisrechten zählt.3

"Frieden" klingt gut, "Gewalt" schlecht. Kann es trotzdem sein, dass zur Wiederherstellung von Frieden auch der Einsatz von Gewalt moralisch legitim, vielleicht sogar geboten ist? Auch ein Krieg? Kurz: Ist Pazifismus absolut geboten?

Dies ist die Kernfrage der Theorie des Gerechten Krieges, die seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts (Vietnamkrieg) eine unerwartete Renaissance erfahren hat.

Weitere wichtige Literatur:

Michael Walzer, Just and Unjust Wars, A Moral Argument with Historical Illustrations, New York, 1977. Deutsch: Gibt es einen gerechten Krieg?, Stuttgart, 1982.

Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden, 1795, in: ders: Gesammelte Werke (Akademie-Ausgabe) Bd. VIII, Berlin.

Wolfgang Kersting, "Philosophische Friedenstheorie und internationale Friedensordnung", in: Christine Chwaszera , Wolfgang Kersting (Hrsg.), Politische Philosophie der internationalen Beziehungen, Frankfurt, 1998, S. 523-554.

Georg Meggle ist Analytischer Philosoph. Dieser Beitrag ist eine bearbeitete Fassung seines Artikels "Frieden" in: Stefan Jordan, Christian Nimtz (Hrsg.), Lexikon Philosophie. Hundert Grundbegriffe. Stuttgart (Philipp Reclam jun.) 2009, S. 97-99.