Syrien: Europäische Schwäche und die türkische Einflusszone

Bild: kurdisches Medium ANF

Frankreich sieht die Grenzen seines Militäreinsatzes. Die Türkei fordert angeblich eine Pufferzone und Kiesewetter (CDU) meldet sich aus Berlin mit der Forderung, dass die UN eine Schutzzone für die Kurden einrichten sollen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die französische Verteidigungsministerin Florence Parly bestätigt das Offensichtliche: Wenn die USA aus Syrien abziehen, dann werden die französischen Truppen in aller Wahrscheinlichkeit folgen. Parly sprach dies nicht deutlich aus - wie überhaupt klare Worte in der gegenwärtigen Regierung in Paris selten sind, was Macron bei seiner floskelreichen Neujahrsansprache erneut demonstrierte -, aber ihre Äußerungen zum Jahreswechsel lassen nur diesen Schluss zu.

Parly besuchte die Militärbasis " H5" in Jordanien. Von dort starten die französischen Jets Rafale Luftangriffe auf IS-Positionen in Syrien. Zwar wird im Figaro aufgeführt, dass die französische Luftwaffe seit Ende 2014 beträchtlich zum Militäreinsatz der US-geführten Anti-IS-Koalition beigetragen habe - "2.500 Missionen und 2.000 benutzte Sprengwaffen" -, aber die USA sei mit Abstand die bestimmende Einsatzgröße, wird die Verteidigungsministerin zitiert.

Einsatz ohne die USA "quasi unmöglich"

90 Prozent aller Angriffe würden von den Amerikanern durch geführt. Dazu kämen Unterstützung bei der Aufklärung, Bestimmung der Ziele und materielle Unterstützung wie etwa die Luftbetankung der Kampfflugzeuge. "Ohne sie (die USA, Einf. d.A.) läuft unsere Mission in Gefahr, dass ihr Grund nicht mehr ohne weiteres gegeben ist, dass sie weder realistisch ist noch effizient", so Florence Parly. Die französische Zeitung (deren Inhaber übrigens zur Dassault-Gruppe gehört, einem Konzern, der die Rafale herstellt) bringt die Quintessenz der Aussage auf einen kurzen Nenner: Der französische Einsatz in Syrien werde ohne die USA "ziemlich kompliziert, um nicht zu sagen, quasi unmöglich".

Die Verteidigungsministerin umsäumte diesen Schluss mit allerhand beschwichtigender Rhetorik Richtung Kurden und wohl auch an die Adresse all jener gerichtet, die im Lager der Koalition über Trumps Entscheidung verärgert sind. Es sei ein Irrtum zu denken, dass der Sieg gegen den IS erreicht worden ist. Es käme nun darauf an, die Zeit bis zum definitiven Abzug der USA zu nutzen, um "die Arbeit zu beenden". Man diskutiere noch mit den Amerikanern, "um zu verhindern, dass ihr überstürzter Abzug nicht die Partner der Koalition frustriert, trotz ihrer militärischen Erfolge".

Die Formulierung und der offensichtliche Frust Parlys über Trumps Entscheidung lassen darauf schließen, dass mit den Partnern nicht nur die von kurdischen YPG-Milizen dominierten SDF gemeint sind, sondern auch Frankreich.

Die Illusion des großen Möglichkeitsraums

Zwar beteuerte Parly, dass "alle Optionen auf dem Tisch seien", was den französischen Einsatz betrifft, aber es gibt wenig Zweifel daran, dass Frankreich keinen Alleingang wagen wird (und wahrscheinlich auch nicht zusammen mit den Niederlanden), um den Kurden in Syrien ohne die USA in einer entscheidenden Weise militärisch beizustehen, falls es zu einer türkischen Intervention kommt. Frankreich ist keine bedeutende Macht mehr im Nahen Osten, die an größeren Schrauben drehen könnte, das ist eins der unumstrittenen Ergebnisse des Konflikts in Syrien.

Wie und wann der Abzug der französischen Einheiten vonstatten geht, welchen Umfang er haben wird, wird Teil der Verhandlungen der nächsten Wochen sein. Auch wenn sie nicht unbedingt zu den spektakulären Abzugsvereinbarungen gehören, so spielt die französische Präsenz in Syrien vor allem aus Sicht der Kurden, die Erdogan als "Terroristen" bezeichnet, eine wichtige Rolle. Laut einer Karte, die auf Informationen der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu Agency zurückgeht, ist die französische Armee in neun unterschiedlichen Orten in Syrien präsent.

Fünf der aufgeführten französischen Positionen befinden sich im mehrheitlich von Kurden besiedelten Gebiet im Norden Syriens, nahe der Grenze zur Türkei. Eine Stellung ist westlich des Euphrat unweit von Manbidsch (auch: Minbij) markiert, drei befinden sich auf östlicher Seite entlang des Euphrat bis weit in den Süden des Landes hinunter, in der Provinz Deir ez-Zor. Eine weitere Position wird in Hasaka markiert.

Der Lageplan macht offensichtlich, was Präsident Macron im Frühjahr des vergangenen Jahres verabredete, die Unterstützung der Kurden durch Frankreich. Die Überschrift gab der Kampf gegen den IS. Dass Frankreich daran ein besonderes Interesse hat, muss angesichts der vielen Anschläge, die der IS für sich reklamierte, nicht weiter erklärt werden. Dazu kommt aber auch ein politisches Moment, das mit der Gegnerschaft zu Baschar al-Assad zu tun hat.

Die Verhandlungen

Man kann nun gespannt sein darauf, welche Kommentare aus Paris zu den Verhandlungen der syrischen Kurden mit der Regierung in Damaskus kommen werden. Wie es im Augenblick aussieht, sind die Möglichkeiten der Verwaltungen in den von Kurden administrierten Gebieten im Norden Syriens begrenzt.

Aus der Türkei werden ständig neue Bilder aus der Grenzzone an die Öffentlichkeit gebracht, die Militärkonvois zeigen und damit die Ernsthaftigkeit der Absicht untermauern, dass die Türkei mit Verbündeten in Syrien intervenieren, um das Terrain von "Terroristen zu säubern", wie sich Erdogan ausdrückt.

Die Türkei ist bereit, die Mobilisierung ist im Gange - die Botschaft ist bereits mehrere Wochen alt und wird ständig erneuert. Die Einschüchterung ist Teil der Verhandlungen. Auch Frankreich wird sich kaum querstellen können, wenn es um Interessen des Nato-Mitglieds Türkei geht, die mit Deutschland zweite "große Säule der EU" wird auch vorsichtig gegenüber dem Vertragspartner in der Flüchtlingsabschottung sein.

Zu den spektakulären Verhandlungsgegenständen gehört die Einrichtung einer "Pufferzone" im Norden Syriens östlich des Euphrat. Das ist ein langgehegter Plan Erdogans, der zeitweise unmöglich erschien und jetzt in greifbare Nähe rückt.

Nach Informationen des Präsidenten der assyrischen Partei Syriac National Council of Syria, Bassam Ishak, die an dieser Stelle freilich nicht verifiziert werden können, will die Türkei eine 40 Kilometer tiefe Pufferzone in Syrien, die sich 640 Kilometer östlich des Euphrat entlang der Grenze erstrecken soll. Was das dann zum Beispiel für Kobane bedeuten würde, ist unbekannt.

Laut Bassam Ishak werde die "Pufferzone" auf eine türkische Besatzung hinauslaufen. Er bezeichnet das Vorhaben Erdogans als "Projekt einer ethnischen Säuberung mithilfe von extremistischen dschihadistischen Söldnern".

Allerdings wird das Projekt einer türkischen Besatzung, wie sie sich exemplarisch mit brutaler Härte und einer faktischen türkischen Verwaltungshoheit in Afrin zeigt, nicht die unbedingte Unterstützung der syrischen Regierung haben. Vieles hängt davon ab, welche Vermittlerrolle Russland einnimmt und zu welchen Ergebnissen die türkisch-amerikanischen Verhandlungen kommen. Ein Besuch des Nationalen Sicherheitsberaters John Bolton in Ankara ist für die nächsten Tage angekündigt.

Kiesewetter fordert "Schutzgebiet für die Kurden in Nordsyrien"

Aus Berlin, wo ansonsten Stille zu Erdogans syrischen Plänen gepflegt wird, schaltete sich heute der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter in die Diskussion zur Pufferzone ein. Um zu verhindern, dass es zu einer dritten türkischen Operation kommt, die wie "Schutzschild Euphrat" (2016) und "Olivenzweig" (2018) auf Kosten der Kurden geht, fordert Kiesewetter:

Wir brauchen ein Schutzgebiet, und das könnten die Vereinten Nationen leisten, für die Kurden in Nordsyrien, unter UN-Einfluss.

Roderich Kiesewetter, CDU

Kiesewetter hofft darauf, dass Europa darauf einwirken könne ... Er hat mit der französischen Verteidigungsministerin gemein, dass beide lieber über die Realität hinwegsehen wollen. Eine von der UN überwachte Schutzzone in Syrien hätte weder Unterstützung in Moskau noch in Damaskus noch in Ankara noch in Teheran.

Mit diesen Gewichten in Syrien hat es Europa in den letzten Jahren im Konflikt nicht aufnehmen können und ein Grund dafür war die idealistische Weltferne, die die europäische Herangehensweise an den Konflikt prägte.

Dafür fand man immer Sätze, die der Öffentlichkeit gefallen sollten (z.B. "Assad muss weg"), ohne sich die Mühe zu machen, dies mit realistischen politischen Ansätzen und einem faktisch gut unterrichteten Verständnis des Konflikts zu untermauern. Die europäischen Versprechungen stammen bis zum Beweis des Gegenteils häufig aus "akademischen Ableitungen".

Das zeigt sich auch an der erhobenen Forderung eines irgendwie endgültigen, letzten "Sieges" gegen den IS. Als ob man nicht von al-Qaida genug Anschauungsmaterial dafür bekomme hätte, dass die Wirklichkeit solchen Forderungen gegenüber ziemlich widerspenstig ist.