Migranten aus Libyen: Möglichst große Schwierigkeiten setzen

Die "Professor Albrecht Penck" und die "Sea-Watch 3" in der Nähe des maltesischen Festlands. Foto: Alexander Draheim/sea-eye.org

Die 49 Geretteten auf der "Sea-Watch 3" und der "Professor Albrecht Penck" durften erst nach langen Verhandlungen von Bord

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Gestern, nach langwierigen Verhandlungen bei einer sich ständig verschlechternden Situation an Bord, konnten die 49 Flüchtlinge die beiden Rettungsschiffe, die vor Malta lagen, verlassen; sie wurden von der maltesischen Marine zum Festland gebracht. Weder die "Sea-Watch 3" noch die "Professor Albrecht Penck" durften einen Hafen der Insel anlaufen.

Beide Schiffe werden von deutschen Nichtregierungsorganisationen betrieben. Die Sea-Watch 3 von der gleichnamigen NGO mit Sitz in Berlin fährt unter niederländischer Flagge, die Professor Albrecht Penck fährt, und das ist bislang ein Unikum, unter deutscher Flagge, sie wird vom Regenburger Verein Sea-Eye betrieben. Beide deutsche NGOs gehören nicht zu den Lieblingen des italienischen Innenministers Salvini. Er hat aus ihnen vielmehr ein Feindbild gemacht. Viel Mühe musste er sich dabei nicht geben, das Bild war vorbereitet.

Doch, und das sollte beachtet werden, gehört Italien auch unter Salvini jedes Mal zu den Aufnahmeländern, wenn es um die Übernahme von aus Seenot geretteten Migranten geht (wenn dabei auch die Kirche in Italien einen weitaus größeren Einfluss darauf hat als der Humanismus der Regierung, mit dem sich der nicht uneitle Salvini, wenn es opportun ist, hier und da kostümiert).

Auch dieses Mal ist Italien bei den acht EU-Ländern dabei, die sich bereit erklärten, die 49 Migranten der beiden von Deutschen gemanagten Seenotrettungsschiffe aufzunehmen sowie weitere 249 Migranten, die bereits zuvor in Malta angelandet waren (wohin sie nicht über NGO-Rettungsschiffe kamen). Die anderen sieben EU-Länder sind: Deutschland, die Niederlande, Frankreich, Portugal, Irland, Rumänien und Luxemburg.

Übernahme möglichst lange hinausgezögert

Es hat lange gedauert, bis bei den Verhandlungen über das weitere Schicksal der Passagiere an Bord der Sea-Watch 3 und der Professor Albrecht Penck eine Einigung erzielt wurde. 32 Migranten waren seit dem 22. Dezember an Bord des erstgenannten Schiffes und 17 Migranten waren seit dem 29. Dezember an Bord des zweitgenannten Rettungsschiffes. Das Meer war unruhig, es gab viele Seekranke, die Verhältnisse an Bord waren eng, die Versorgung schwierig.

Dass sich die Verhandlungen verzögerten, lag zum einen an den üblichen Schwierigkeiten, einen Konsens in einer Sache zu finden, wo die Verantwortlichkeit lieber bei anderen gesucht werden, worauf auch der maltesische Premierminister Muscat hinwies.

Zum anderen lag das daran, dass auch die genannten 249 zuvor in Malta angelandeten Migranten auf EU-Länder verteilt werden sollten. Und man kann mit größerer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass das politische Signal, das von einer langen "Hängepartie" (Tagesschau) ausgesendet wird, den großen EU-Staaten sehr wichtig war.

Weder in Frankreich noch in den Niederlanden noch in Deutschland und schon gar nicht in Italien ist die politische Situation derart, dass sich die Regierungen bei der Aufnahme von Migranten, die von NGOs aus der Seenot vor Libyens Küsten gerettet werden, irgendwie "pro-aktiv" zeigen wollen. Alle schotten ab, so gut es irgend geht, und begründen diese Haltung als politisch notwendig, um das gesellschaftliche Klima im Inneren keinem unnötigen Risiko auszusetzen - wobei das selten von Politikern so deutlich formuliert wird. Außer in Italien, wo schon die Vorgängerregierung erklärte, dass man am Ende der Möglichkeiten bei der Aufnahme von Migranten angelangt sei.

Die anderen Länder hatten es sich zuvor sehr einfach gemacht und Italien bei der Aufnahme von Migranten, die den Seeweg über das Mittelmeer versuchten, weitestgehend allein gelassen. Mit Innenminister Marco Minniti schlug Italien aus nachvollziehbaren Gründen einen anderen Kurs ein.

Beispiel Frankreich

Da es ein mehrstufiger Abschottungskurs war, fand er die Zustimmung der wichtigen Machtzentralen in der EU - solange es nicht zum Nachteil der einzelnen Länder ging. Frankreichs Regierung zum Beispiel wirft Italien eine nicht-humane Haltung vor, schickt aber alle Flüchtlinge an der italienisch-französischen Grenze bei Menton zurück nach Italien. Einen sicheren Hafen an der französischen Küste für Rettungsschiffe der NGOs stellt Paris nicht zur Verfügung. Jede Diskussion darüber wird schon im Keim erstickt.

Auch das ist bezeichnend für die EU-Migrationspolitik.

Den Härtegrad hochsetzen

Mit Salvini, der nicht nur Innenminister ist und auch nicht "bloß" - zusammen mit Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung - stellvertretender Ministerpräsident, sondern der eigentliche Taktgeber der italienischen Regierung (mit ausgezeichneten Umfrageergebnissen), wurde der Härtegrad gegenüber der Seenotrettung der NGOs weiter hochgedreht.

Kein NGO-Schiff kann mehr einen italienischen Hafen anlaufen; die NGOs haben seit Salvinis Amtsübernahme enorme Schwierigkeiten, einen Flaggenstaat für ihre Rettungsschiffe zu bekommen. Die Unterstützung der libyschen Küstenwache, die hart durchgreift - auch da soll es durchaus Unterschiede geben - durch Italien kommt der eines Gönners gleich, der das Konzept festlegt und Anweisungen erteilt.

Die Seenotrettungsleitstelle in Rom, die früher noch Einsätze koordinierte und Rettungsschiffe, wie es das internationale Recht vorschreibt, in tatsächlich sichere Häfen leitete, wurde dieser Aufgabe enthoben. Nun ist die libysche Küstenwache - unter der stillen Ägide der neuen römischen Regierung - für die Gewässer zuständig, die zwar nicht zum libyschen Hoheitsgebiet gehören, aber einseitig als Search & Rescue-Zone erklärt wurden, auch wenn sie internationales Gebiet sind.

"Europa will nicht mehr Migration", wie die New York Times den italienischen Migrationsforscher Matteo Villa zitiert. Der kommentiert das Geschehen der letzten Wochen zu den Bootsflüchtlingen auf der Sea-Watch 3 und der Professor Albrecht Penck auf die naheliegende Weise. Europa wolle ein "Symbol schaffen, das zeigt, dass keiner hineinkommt".

Der Zorn

Das stimmt allerdings nicht ganz mit der Realität überein. Denn, wie es zum Beispiel die Kommentare unter dem Tageschau-Bericht zur Anlandung der Migranten in Malta deutlich machen, hat der Zorn eine Dimension erreicht, dass schon 49 Migranten, deren Asylgesuch in europäischen Ländern geprüft wird, die Überzeugung hervorbringt, dass die "Schleuser wieder gewonnen haben". Ähnliche Kommentare dürften auch woanders zu finden sein, und die Annahme, dass es nur eine winzig kleine Minderheit sei, die diese Auffassung vertritt, entspricht wahrscheinlich eher einem Wunsch als der Wirklichkeit.

Salvini setzt auf dieses Ressentiment; von Anfang an hat er die NGOs als Komplizen der Schleuser dargestellt, wie auch schon sein Vorgänger das Geraune von den NGO-Rettungsschiffen als "Taxi nach Europa", die Schleuser nur anzurufen brauchten, unterstützt hat. Die Probleme werden damit nicht gelöst, wie man auch bei den aktuell Geretteten sieht.

... und das Problem, das bleibt

An den 249 Migranten, die schon zuvor in Malta gelandet waren, kann man erkennen, dass der Einsatz der NGOs, die sich leicht zum Sündenbock machen lassen, nicht alles erklärt. Malta lässt keine NGOs mehr in seine Häfen. Die Migranten, die dort anladen, werden von der Küstenwache bzw. von der Marine dorthin gebracht und sie werden übrigens auch nicht wie im aktuellen Fall stets von NGO-Schiffen übernommen, sondern aus Seenot gerettet. Gibt es ein Geschäftsmodell der Schlepper und Schleuser mit der maltesischen Marine?

Tatsache ist, dass die Versuche, das Mittelmeer zu überqueren, um nach Italien zu kommen, überaus deutlich zurückgegangen sind, seit Italien auf Abschottung übergeschwenkt ist. Dazu gehört die Beschränkung der Aktionen der NGO-Rettungsschiffe und die Verstärkung der libyschen Küstenwache, die alle Geretteten oder Aufgegriffenen in die Lager nach Libyen zurückbringen.

Damit ist das Problem aber überhaupt nicht gelöst. Die Lager in Libyen sind eine Tortur. Es gibt nach wie vor Menschen, die die Flucht aus Libyen über das Meer versuchen, und die Zahlen aus Malta zeigen, dass die libysche Küstenwache Wahrnehmungslücken hat.