Robert Menasse und die Verteidigung der Nation

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Doch die Konsequenz kann nicht ein Zurück zum Nationalismus sein, sondern eine Verbindung von Kritik an Staat, Kapital und Nation

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Noch ist unklar, ob der Publizist Robert Menasse am 18. Januar tatsächlich wie geplant in Mainz die Carl Zuckmayer-Medaille verliehen bekommt. Denn laut taz wird weiter geforscht, ob Menasse noch mehr Zitate kreativ erfunden hat.

Menasse muss schon sehr unter Druck stehen oder einen besonderen Sinn für Humor haben, wenn er auf die Aufforderung, ein Zitat zu belegen, erwidert, das Buch dazu habe er gerade nicht zur Hand. Es sei in Brüssel, in der Hauptstadt der EU also, deren Gedeihen für Menasse ein besonderes Anliegen ist. Er ist schließlich so kreativ mit den historischen Fakten umgegangen, weil er damit eine in seinen Augen supranationale EU gegen den Ansturm der Rechten und Nationalisten verteidigen wollte.

Ausdruck historischer Amnesie

Dass er dann ausgerechnet Walter Hallstein wieder ausgräbt und ihn in Auschwitz 1958 seine Antrittsrede als Kommissionspräsident der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) halten lässt, ist auch ein Ausdruck der allgemeinen historischen Amnesie. Hallstein war einigen noch wegen der nach ihm benannten, 1969 obsolet gewordenen Doktrin bekannt. Ihr zufolge waren diplomatische Beziehungen, die Staaten mit der DDR knüpften, von der BRD als unfreundlicher Akt zu bewerten.

Jeder müsste sofort merken, dass im Jahr 1958 in Auschwitz, das im Bereich des Warschauer Vertrags lag, kein EWG-Präsident eine Rede halten konnte. Zudem scheint kaum mehr präsent, dass auch für die Politik der BRD Auschwitz zu dieser Zeit kein Thema war. Schließlich lebten damals noch fast alle Täter und die willigen Vollstrecker. Und es lebten die, die sich an den deportierten Juden bereichert hatten.

Linke, die Ende der 1950er Jahre an die NS-Verbrechen erinnerten, wie der Westberliner Student Reinhard Strecker oder der damalige Tübinger Student Herman L. Gremliza wurden heftig angefeindet.

Als der damalige Generalstaatsanwalt von Hessen, Fritz Bauer, die Verbrechen von Auschwitz vor Gericht bringen will, befindet er sich im Feindesland. Doch die von Bauer vorangetriebenen Auschwitz-Prozesse haben erst das Schweigen über die Massenvernichtung in der BRD beendet. Es ist also für jeden Menschen mit etwas historischem Wissen klar, dass Hallstein 1958 keine Rede zur EWG in Auschwitz gehalten haben kann.

Der Redakteur der Jüdischen Allgemeinen, Ingo Way, verweist auf Hallsteins Biographie, um auf die besondere Perfidie hinzuweisen, ausgerechnet mit ihm Auschwitz zu instrumentalisieren.

Für Hallstein, der als Juraprofessor während des "Dritten Reichs" Mitglied in mehreren NS-Organisationen war, unter anderem im "Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund", der Berufsvereinigung der Juristen in Nazideutschland, und im Zweiten Weltkrieg als Leutnant der Wehrmacht in Frankreich diente, spielte in seinem politischen Denken (auch wenn er wohl kein glühender Nazi gewesen war) Auschwitz nie eine besonders große Rolle - ebenso wenig wie für die übrigen Gründungsväter der EWG.

Ingo Way, Jüdische Allgemeine

Auschwitz als EU-Gründungsmythos?

Aus einer anderen Perspektive kritisiert Clemens Heni in seinem Blog die Instrumentalisierung von Auschwitz als EU-Gründungsmythos:

Die Erinnerung an Auschwitz für das postnationale Europa zu instrumentalisieren, ist der neue Höhepunkt ekelhafter Kritzelei im 21. Jahrhundert. Das Schlimme ist: die Kritik am Nationalismus ist so enorm wichtig, dass sie nicht mit von geradezu krimineller Energie getriebenen achtelgebildeten Schriftstellern übernommen werden darf. Das führt erstens dazu, dass Historiker wie Heinrich August Winkler diese handwerklichen Mängel sofort erkennen und das wiederum benutzen, um die Kritik am Nationalstaat insgesamt zu diffamieren.

Dabei ist, das ist das Komplizierte, aus zionistischer Perspektive, und nur die gilt, der Nationalstaat für Juden und Israel die Rettung. Man kann mit Kant den "ewigen Frieden" herbeiwünschen, aber das geht auf Kosten der Juden und Israels.

Das spricht aber genauso wenig für den Deutschnationalismus von AfD bis Pegida und allen etablierten Parteien im von Heimat besoffenen Weltmeister-Deutschland. Da hätte Menasse viel zu diskutieren gehabt, aber eine Rede in Auschwitz gegen den Nationalstaat zu erfinden, ist an Dummheit wie Perfidie nicht zu überbieten. Der Zionismus ist viel älter als Auschwitz, aber er ist seit 1948 Staat gewordene Sicherheit vor einem nächsten Auschwitz.

Clemens Heni

Während allerdings Clemens Heni von einer antinationalen Position ausgeht und die Gründung Israels als notwendige Selbstverteidigung gegen den Antisemitismus verteidigt, will Aleida Assmann als Denkzettel an Menasse gleich den Nationenbegriff positiv besetzen.

Nun rennt Assmann damit offene Türen ein. Den Nationenbegriff nicht den Rechten überlassen, sondern selbst verwenden, wollen in Deutschland bis auf eine kleine Minderheit alle.