AfD: "Wir sind die guten Europäer"

Alexander Gauland auf dem Parteitag: "Wir sind die guten Europäer". Bild: Screenshot von YouTube-Video

AfD will Demokratisierung der EU durch Abschaffung des EU-Parlaments, den Austritt aus der Eurozone, eventuell den Dexit und überhaupt die Durchsetzung angeblich nationaler Interessen

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Auf dem Europa-Parteitag wurde gestern das Europaprogramm der AfD verabschiedet. Die Partei rechnet damit, 20 Abgeordnete in das EU-Parlament schicken zu können. Die Liste mit mehr Kandidaten wurde auch unter der Führung von Spitzenkandidat Jörg Meuthen aufgestellt. Aber man will gleichzeitig mit der Forderung nach Abschaffung des EU-Parlaments und mit einem Dexit, einem Austritt Deutschlands aus der EU und einem Austritt aus der Eurozone, Stimmung machen. Das dürfte sich wohl in erster Linie an die Wähler in Ostdeutschland richten, auf die die AfD in der Europawahl aber auch bei den anstehenden Landeswahlen setzt. Angesichts des Tumults um den Brexit ist schon erstaunlich, dass man von der Forderung nach einem Austritt Deutschlands eine positive Wirkung erhofft. Und ob die Ostdeutschen die Nostalgie nach der D-Mark als heilbringende Währung auch haben, scheint zweifelhaft.

Als Anti-Euro- und Anti-EU-Partei ist die AfD allerdings auch schon angetreten, als der Gang ins Rechtsnationale noch nicht so deutlich war, auch wenn die Stimmung bereits in die Richtung ging. Auch die Parole von einem "Europa der Vaterländer" oder einem "Europa der Nationen", also von einem Europa der Nationalisten, ist nichts Neues. Man sei ja keine Anti-Europäer, meinte denn Meuthen, aber die EU als Staatenverbund passt nicht ins Bild der identitären Nationalisten, obgleich die Nationalstaaten ja auch meist so angefangen und dabei Minoritäten und neue Konflikte geschaffen haben, die auch heute noch oder wieder köcheln. "Wir sind die guten Europäer", propagierte Gauland.

Als Schreckgespenst wird eine EU als "Staat mit Gesetzgebungskompetenz und einer eigenen Regierung" ebenso wie ein "Superstaat" oder die Idee der "Vereinigten Staaten von Europa" im Leitantrag aufgefahren. Neues will man nicht, auch wenn der Nationalstaat, allzumal in Deutschland, auch eine historisch junge Erfindung und politische Idee war. "Volkssouveränität" kann es nach den AfD-Ideologen nur in einem - historisch gebildeten - völkischen Nationalstaat geben. Hier gebe es nämlich nur eine "nationale Identität", während es ein europäisches Volk nicht geben könne.

Gleichzeitig scheint Demokratie an die "nationale Identität" eines Volkes gebunden zu sein: "Nur in nationalen Staaten mit demokratischer Verfassung können Volkssouveränität und Grundrechte der Bürger als Herzstück der Demokratie gelebt und bewahrt werden." Das ist reine Behauptung, zudem gibt es auch in Europa Forderungen nach Souveränität durch Abspaltung von "Nationalstaaten" etwa in Spanien, Großbritannien oder Belgien, auf dem Balkan kam es deswegen vor nicht allzulanger Zeit zu schrecklichen Kriegen.

Termin für Dexit wird zurückgezogen

Anstatt den Ausbau der Demokratie auf der EU-Ebene tatsächlich zu verlangen, beschweren sich die AfDler über just das "Feilschen um Partikularinteressen von Einzelstaaten und Lobby-Klüngel", das sie mit ihrem "Europa der Vaterländer noch vertiefen würden. Die demokratische Kontrolle sei unzureichend, wird richtig festgestellt, die Lösung, die kaum jemand nachvollziehen können wird, ist ausgerechnet die Abschaffung des angeblich "undemokratischen" EU-Parlaments. Stattdessen will man eine "Europäische Versammlung" mit Delegierten, die von den nationalen Parlamenten entsandt werden, also eine Einschränkung der Rechte der Wähler, die gefälligst nur national wählen soll, auf europäischer Ebene wird es nach der wirren Logik undemokratisch.

Und man ist natürlich auch gegen die "unverhältnismäßige Besoldung und Versorgung der EU-Bürokraten", man liest aber nichts davon, dass die neuen AfD-Parlamentarier deswegen auf die unverhältnismäßige Besoldung verzichten würden. Man will keine "EU-Steuern" und die EU-Abgaben tunlichst verringern, eine " gemeinsame Arbeitslosenversicherung oder Sozialunion" wird abgelehnt, weil doch die "hohen sozialen Standards in Deutschland eine maßgebliche Ursache für die illegitime Migration in Europa" sind

Die Forderung nach einem Dexit oder einer "geordneten Auflösung der Europäischen Union und die Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft" scheint sich nach der Meinung der Delegierten gut zu machen. Eigentlich wollte man auch gleich sich selbst überschätzend einen Termin dafür setzen, als ob die AfD in 5 Jahren nach einer Legislaturperiode schon eine Mehrheit in Deutschland erzielen könnte. 89 Prozent der Mitglieder hatten sich für einen EU-Austritt als letzte Option ausgesprochen. Die Parteiführung wandte sich gegen den Termin. Parteichef Alexander Gauland bezeichnete dies zwar als Utopie, aber empfahl Realismus. Meuthen empfahl, einen Austritt vage nach "angemessener Zeit" in Betracht zu ziehen, wenn die von der AfD vorgesehene EU-Reform nicht stattfindet. So schnell will man also auch nicht seinen unverhältnismäßig gut besoldeten Posten drangeben.

Die Identität der europäischen Kulturnationen muss unter allen Umständen gewahrt werden

Interessant ist aber auch, was sonst so im Programm steht. Da wird beispielsweise für das AfD-Deutschland eine "Führungsrolle innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft" angemahnt. Überhaupt ist das Europa-Programm ein Programm der deutschen Politik, in größeren Zusammenhängen kann offenbar nationalistisch nicht gedacht werden. Die Vorstellungen zur europäischen Außenpolitik laufen letztlich darauf hinaus, die deutschen Interessen besser durchzusetzen und zwischen den USA und Russland eine Mitte zu finden. Es wird ein Ende der Sanktionen, eine Normalisierung der Beziehungen mit Russland und der Ausbau von Nord Stream 2 gefordert. Die Türkei hat in Europa nichts zu suchen, die syrischen Flüchtlinge sollen sofort abgeschoben werden. Eine Europäische Armee wird abgelehnt, die Nato sei weiter maßgeblich, was nicht alle AfD-Sympathisanten erfreuen dürfte. Dafür soll die Bundeswehr aufgerüstet werden.

Entwicklungshilfe soll gleichfalls im Sinne der "Wahrung der Eigeninteressen der Geberländer" und als "Hilfe zur Selbsthilfe" organisiert werden, Waffenexporte in Krisenregionen wird abgelehnt, Freihandel sei die beste Entwicklungshilfe.

Nichts Neues gibt es hinsichtlich der Migrationspolitik und des Antimuslimismus. Die "europäische Zivilisation" werde durch die Politik der Eliten und Institutionen "in existenzielle Gefahr" gestürzt. "Hunderte von Millionen" würden einwandern wollen, dabei gebe es doch nur noch "4 Millionen Männer deutscher Herkunft im Alter von 20 bis 35 Jahren". Konstatiert wird ein "demografischer Niedergang" wegen der sinkenden Geburtenrate. Und in Katastrophenmanier: "Die Politik der Grenzöffnung wird einen Kulturabbruch historischen Ausmaßes zur Folge haben und stellt überdies die seit der Aufklärung in Europa entwickelten Prinzipien von Volkssouveränität und Demokratie auf den Kopf." Man müsse die "Identität der europäischen Kulturnationen unter allen Umständen wahren", was suggeriert, dass es woanders keine Kulturnationen und keine Demokratie gibt. Der Flüchtlings- und der Migrationspakt der UN werden abgelehnt. Das Asylrecht, entstanden auch als Reaktion auf die deutschen Verbrechen, soll abgeändert werden, eine Aufnahme soll nur noch auf "freiwilliger Basis" erfolgen.

Weil "Massenzuwanderung selbst eine Fluchtursache (ist), die bekämpft werden muss", sollen "Remigrationsprogramme", also Abschiebungen, in großem Stil durchgeführt werden. Man will auch wieder nationale Grenzkontrollen und die Abschaffung des Schengener Raums und der Freizügigkeit.

Trotz des Antimuslimismus wird eine ähnliche Familienpolitik mit scheinliberalen Formulierungen gepflegt: "Die AfD bekennt sich in ihrer Familienpolitik zum klassischen Leitbild der Familie, in der Vater und Mutter in dauerhafter gemeinsamer Verantwortung für ihre Kinder sorgen. Andere Formen des Zusammenlebens sind zu respektieren, aber nicht zu fördern. Wir streben Chancengleichheit für Frauen und Männer an, lehnen aber Gleichstellungsmaßnahmen gemäß der Gender-Ideologie mit ihrer Stigmatisierung traditioneller Geschlechterrollen ab." Die AfD spricht sich auch gegen Abtreibung aus, das ist ja in der Regel auch nur ein Problem der Frauen. Ja, und klar: "Klimaschutzpolitik ist daher ein Irrweg." Deswegen ist man auch für Braunkohle und für Atomkraft.

Auch beim Umweltschutz ist man zurückhaltend: "Nitrat- und Stickoxidgrenzwerte sind realitätsfern, gängeln die Verbraucher und kosten Arbeitsplätze." Man versucht, sich der Auto-Industrie anzubiedern und größere Autos mit Verbrennungsmotoren weiter zu fördern, da doch eine "Abschaffung des Individualverkehrs" angestrebt werde. Obwohl Wölfe zur europäischen Tradition gehören, will man davon in diesem Fall nichts wissen: "Die AfD hält Wölfe für eine Tierart, die schlecht in unsere gewachsene Kulturlandschaft passt." Traditionen kann man halt so und so auslegen.

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