"Wenn sie mich kriegen, bringen sie mich um"

Jordi Borràs. Bild: R. Streck

Der katalanische Journalist Jordi Borràs über VOX und andere rechtsextreme Parteien und Gruppen in Spanien

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Der katalanische Fotojournalist und Journalist Jordi Borràs fokussiert seine Arbeit besonders auf rechtsextreme Gruppen und Organisationen, sowohl in Katalonien, im spanischen Staat und nun widmet er sich auch Netzwerken und Verbindungen in Europa. Als Katalane beleuchtet er mit seiner Arbeit auch die katalanische Unabhängigkeitsbewegung. Dazu hat er kürzlich bei Ara Libres den ausdrucksstarken Fotoband "Dies que duraran anys (Tage, die Jahre andauern werden) veröffentlicht, der die wichtigsten Tage um das Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober 2017 und die Repression der früheren PP-Regierung ungefiltert darstellt.

Besondere Beachtung finden in seiner Arbeit soziale Bewegungen. Glimpflich geht vor allem seine Beschäftigung mit den Sicherheitskräften und rechtsextremen Gruppen nicht ab. Der Journalist wird immer wieder angegriffen. Als besonderer schwerer Vorfall sticht heraus, als er im vergangenen Sommer von einem Rechtsextremen zusammengeschlagen wurde, der dabei den Diktator Franco hochleben ließ. Es stellte sich heraus, dass es sich um ein Mitglied der "Informationsbrigade" der spanischen Nationalpolizei handelt, einer Art polizeilicher Geheimdienst. Der stand sogar schon im Verdacht, gefährliche radikale Islamisten vor Ermittlungen der katalanischen Regionalpolizei Mossos d'Esquadra gewarnt zu haben.

Dass spanische Sicherheitskräfte nicht nur einen merkwürdigen Umgang mit den katalanischen Kollegen pflegen, ist bekannt. Denen werden wichtige Informationen vorenthalten, wie zu den islamistischen Anschlägen im Sommer 2017 in Barcelona und Cambrils. Hier wurde inzwischen bekannt, dass der Imam, der Chef der Terrortruppe, sogar ein Informant des Geheimdienstes war und Kontakt mit der Guardia Civil hatte.

Telepolis sprach angesichts des Aufstiegs der rechtsextremen Partei VOX, die nun erstmals im südspanischen Andalusien in ein Regionalparlament eingezogen ist, mit dem exzellenten Kenner spanischer Ultras. Die Partei, die sich illegal auch über die exil-iranischen "Volksmudschahedin" (MEK) finanziert, konnte viele rückschrittliche, frauenfeindliche und rassistische Inhalte in die rechte bis ultrakonservative Regionalregierung tragen. Denn die ultrakonservative spanische Volkspartei (PP) und die rechts-neoliberale Ciudadanos (Bürger) können in Andalusien nur mit den VOX-Stimmen regieren.

Bruchlos: Der Falangist aus dem Jahr 1939 ist praktisch identisch mit dem von 1975

Mit dem Wahlerfolg von VOX in Andalusien wird nun von RT über den Deutschlandfunk bis zur Welt einmütig erklärt, dass "erstmals" seit der Franco-Diktatur wieder Rechtsextreme in ein Parlament einziehen. Wie sehen Sie das?

Jordi Borràs: Ich würde die Leute im spanischen Staat fragen, in welchem Land sie bisher gelebt haben, und darüber hinaus, welches Land sie sich angeschaut haben? Es stimmt, dass Spanien eine Ausnahme in Europa war, in dem es keine Partei gab, die in vollem Umfang und klar die Ultrarechte in den Institutionen vertreten hat. Dafür haben aber andere Parteien diese Funktion in den letzten 40 Jahren übernommen. Nehmen wir die sogenannte "transición", den Übergang nach dem Tod des Diktators Franco 1975 bis etwa 1982.

1978 wurde die Verfassung verabschiedet und die erste rechtsextreme Partei war Fuerza Nueva (Neue Kraft) unter Blas Piñar, die versuchte, die Franquisten zu sammeln. Diese franquistische Partei ohne Franco schaffte es nicht, die neue politische Lage entsprechend zu analysieren. Dazu gab es andere Parteien, wie die "Demokratische Zentrumsunion" (UCD) unter dem damaligen Präsidenten Adolfo Suárez, der bedeutende Posten im Franquismus eingenommen hatte. Er war Führungsmitglied der franquistischen Einheitspartei und zuletzt ihr Vize-Generalsekretär. Und das war der erste Präsident des demokratischen Spaniens. Wenn man in Google sucht, findet man Bilder von Súarez mit der zum Hitlergruß ausgestreckten Hand.

Dann gab es mit der "Volksallianz (AP) eine weitere Partei, die dann später in die heutige Volkspartei (PP) umbenannt wurde, die von sieben ehemaligen Ministern der Franco-Diktatur gegründet wurde. Der bekannteste ist sicher Manuel Fraga Iribarne, der bis zu seinem Tod 2012 Ehrenpräsident der PP war. Sowohl die UCD und auch die AP versuchten, die Franquisten zu integrieren, um an die vielen Stimmen des Sektors im Land zu kommen, der als soziologischer Franquismus bezeichnet wird.

Ist ihnen das gelungen?

Jordi Borràs: Letztlich schon, denn es hat keine Entwicklung in der extremen Rechten in Spanien gegeben. Anders als in Frankreich zum Beispiel, wo es im Rahmen der Reaktion auf die Mairevolten zu einer Veränderung der Ultrarechten zu einem Neofaschismus und der neuen Rechten in Frankreich kam, passierte das in Spanien nicht. Hier war der Falangist aus dem Jahr 1939 praktisch identisch mit dem von 1975.

Warum gab es keine Veränderung?

Jordi Borràs: Es gab in Spanien keine Notwendigkeit dazu. Es gab keinen Bruch, es gab keine Bestrafungen … Ich würde aber auch sagen, dass es kein rein faschistisches System war. Ich glaube, das war ein Regime, das in Italien geboren wurde und dort auch starb. Das ist ähnlich wie mit dem Nazismus in Deutschland und dem Franquismus in Spanien. Allerdings heißt das nicht, dass alle drei Regime aus dem gleichen Stamm kommen.

Der Franquismus hat sich schon unter Franco nicht verändert und im Übergang wurden die Wähler und Kader von den nun konservativen Parteien aufgesaugt. Das dauert bis heute an und hinzu kommen verschiedene Faktoren, wie die extreme Zersplitterung der Rechtsextremen. So ließ es Blas Piñar zu, dass sich die Fuerza Nueva auflöste, deren großer Führer er war. In den letzten 40 Jahren gab es keinen solchen Führer mehr. Es scheint, als könnte es der VOX-Chef Santiago Abascal werden.

Wieso hat VOX nun diesen Erfolg?

Jordi Borràs: Zunächst einmal deshalb, weil sie nicht offen als Erbe des Franquismus auftritt, wie auch Marine Le Pen nicht die Nazi-Kollaboration verteidigt oder die AfD in Deutschland auch nicht den NS. Diese neue Welle der ausländerfeindlichen Rechtspopulisten hat es verstanden, die Diktaturen zur Seite zu schieben, denn nur so können sie sich verkaufen. Das wäre unmöglich, wenn man versuchen würde, diese kriminellen Mörder zu verteidigen. Natürlich gibt es diese Leute darin auch, aber mit diesem Diskurs stößt man schnell an eine Grenze, wie es bei Vater Le Pen in Frankreich deutlich wurde. Weshalb sich Marine erfolgreich von einigen Einstellungen des Vaters abgesetzt hat.

"Anwesende Abwesenheit"

Wie würden Sie den VOX-Chef und die Partei einstufen?

Jordi Borràs: Santiago Abascal wird sich bei seinen öffentlichen Auftritten nicht als klarer Franquist zeigen, obwohl er einer ist. Alle in dieser Partei sind Franquisten. Und um auf die erste Frage zurückzukommen, dass angeblich erstmals Rechtsextreme ins Parlament eingezogen sind: Wer das behauptet, weiß nicht, wie die Rechtsextremen hier funktionieren. Hier ist etwas sehr Interessantes passiert. Spezialisten wie Xavier Casals, Professor an Universität Ramon Llull definiert das als eine "anwesende Abwesenheit". Denn auch wenn die Rechtsextremen nicht in Form einer großen Partei repräsentiert waren, wurden ihre Vorstellungen über konservative Parteien repräsentiert. Sie waren auch ohne Partei fähig, deutlich die politische und juristische Tagesordnung mitzubestimmen.

In welchen Formen wurde das umgesetzt?

Jordi Borràs: Neben der Beeinflussung der Parteien hat VOX auch massiven Einfluss auf die Justiz über ständig neue Anzeigen genommen. Sie tritt als Nebenkläger in zahllosen Verfahren auf, wie auch in den Verfahren wegen angeblicher Rebellion gegen katalanische Politiker wegen des Unabhängigkeitsprozesses. VOX hat in Katalonien bei den letzten Wahlen im Dezember 2017 nicht einmal 150 Stimmen gewonnen.

Jordi Borràs. Bild. R.Streck

Wie kommt es nun zu diesem schnellen Zuwachs, wie man ihn zuletzt in Andalusien gesehen hat?

Jordi Borràs: Das Phänomen ist dem sehr ähnlich, wie das, was die PP mit den Ciudadanos (Cs) zuvor erlebt hat. Als die Cs aufgetaucht sind, gingen Kader, Mitglieder und Wähler von der PP zu den Cs über. Und heute läuft das von beiden Parteien in Richtung VOX, denn die extreme Rechte war mit der anwesenden Abwesenheit fähig, das Zentrum immer weiter nach rechts zu verschieben. Das geht so weit, dass nun führende Sozialdemokraten fordern, katalanische Unabhängigkeitsparteien zu verbieten. Der große Erfolg der Rechtsextremen in Spanien ist, dass es ihnen auch ohne große Partei gelungen ist, ihre Ideen durchzusetzen, die die Politik und die Medien dieses Landes bestimmen.

… und tatsächlich hatten die Sozialdemokraten (PSOE) keinerlei Probleme damit, im Baskenland reihenweise Parteien und Wählerlisten zu verbieten.

Jordi Borràs: Das stimmt und die große bewaffnete Organisation, zusammengesetzt aus Söldnern, Rechtsextremen und Guardia Civil waren die Todesschwadronen GAL unter einer PSOE-Regierung. Heute haben wir folgendes Szenario. Die PSOE kauft den Diskurs der Cs, die Cs den der PP und die PP den Diskurs von VOX. Und so bewegen sich alle immer weiter nach rechts.

Wie sind die Verhältnisse zwischen PP, Cs und Vox? Kann man Cs und VOX als Abspaltung der PP bezeichnen?

Jordi Borràs: Schauen wir uns die Parteiführer an: Santiago Abascal war PP-Mitglied und auch der Cs-Chef Albert Rivera war PP-Mitglied, auch wenn er das immer wieder bestreitet. So hat eine Zeitung schließlich die Mitgliedsurkunde von Rivera in der PP-Jugend veröffentlicht. Ich habe kürzlich Dokumente veröffentlicht, die belegen, dass Josep Bou Vila, PP-Kandidat für das Bürgermeisteramt in Barcelona, 1978 Mitglied von Fuerza Nueva wurde. Sie gehen als dem gleichen Stamm hervor. Sie kommen alle nicht aus einer christdemokratischen liberalen Rechten, sondern sie kommen aus einer Rechten mit franquistischer Tradition. Das ist eine Realität. Wenn man zum Beispiel von der baskischen oder katalanischen Rechten spricht, dann gibt es zu diesen Leuten einen klaren Unterschied. Es waren Anti-Franquisten.

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