Raketen oder Flugzeuge mit Nuklearantrieb?

Putin behauptet, Russland habe einen nukleargetriebene Marschflugkörper erfolgreich getestet, während des Kalten Kriegs gab es bereits solche Bestrebungen, die aber wegen technischer Probleme abgebrochen wurden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte in seiner Rede vor der Föderalen Versammlung am 1. März 2018 behauptet, dass Russland eine Reihe neuer strategischer Waffen entwickelt habe, mit dem man auf das von den USA angetriebene Wettrüsten antworte. Mit den neuen Waffen ließe sich das von den USA nach dem Austritt aus dem ABM-Abkommen aufgebaute Raketenabwehrschild (NMD) überwinden, was das strategische Gleichgewicht wiederherstelle.

Zu den neuen Waffen gehören schwere Sarmat-Raketen, die den modernsten Raketenabwehrsystemen entkommen und praktisch keine Reichweitenbegrenzung haben sollen und mit mehreren Nuklearsprengköpfen ausgestattet werden können, Hyperschallraketen mit einer Reichweite von 2000 km, atomgetriebene Marschflugkörper und Unterwasserdrohnen sowie Laserwaffen. Zur nuklear angetriebenen, manövrierbaren Marschflugkörpern mit unbegrenzter Reichweite sagte Putin damals: "As you no doubt understand, no other country has developed anything like this. There will be something similar one day but by that time our guys will have come up with something even better."

Gezeigt wurde ein Video, auf dem man den Abschuss einer Rakete sieht und anschließend eine Animation, mit der vorgeführt werden soll, dass eine solche nukleargetriebene Waffe das Raketenabwehrschild austricksen und Tausende von Kilometer bis zur Westküste fliegen kann.

Aus Sicht von Washington war die Drohung aus Moskau freilich so beunruhigend, dass wenig später der Aufbau eines Weltraumkommandos angekündigt wurde. Wie sich bald herausstellte, scheint das Pentagon damit auch anzustreben, den Weltraum zu bewaffnen und über neue Sensoren zur Erkennung von Raketen und Hyperschalldrohnen und -raketen hinaus, auch Raketen oder Laserwaffen installieren zu wollen, um Hyperschallflugsysteme oder auch neue Langstreckenraketen abschießen zu können (Hyperschallwaffen erzwingen Wettrüsten der autonomen Systeme).

Tatsächlich gibt es im Unterschied zu U-Booten oder Schiffen nukleargetriebene Raketen oder Marschflugkörper bislang ebenso wenig wie Flugzeuge. Atomreaktoren als Antrieb gelten als zu groß und schwer, einmal von deren Gefährlichkeit abgesehen, wenn sie abstürzen sollten. Ob es zutrifft, dass in Russland 2018 einen nukleargetriebenen Marschflugkörper wirklich erfolgreich getestet wurde oder ob es nur ein Bluff Putins war, lässt sich nicht sagen.

Programme für einen Nuklearantrieb im Kalten Krieg

Natürlich wurden in Russland und in den USA Pläne verfolgt, sowohl nukleargetriebene Raketen als auch nukleargetriebene Flugzeuge zu entwickeln. Die hätten den Vorteil wie bei den U-Booten und Flugzeugträgern, dass sie unbegrenzt fliegen könnten. Der Nachteil der strategischen Bomber ist, dass sie nur eine begrenzte Reichweite haben und in der Luft betankt werden müssen. Erstmals die Idee hatte Enrico Fermi bereits 1942 aufgebracht. Mit dem Kalten Krieg und der vorherrschenden Aufrüstungsspirale, an die die gegenwärtige Zeit wieder erinnert, sollte dann ernst gemacht werden. Im Pentagon herrschte dann nach dem Sputnik-Schock die Maxime "Fly first" vor.

Aleksandr Kurchatov, der Hauptentwickler der sowjetischen Atombombe, war Anfang der 1950er der Überzeugung, dass "schwere Flugzeuge" mit Atomantrieb gebaut werden könnten. In den USA wurde das Nuclear Energy for Propulsion of Aircraft Project 1946 gestartet, um 1961 wieder eingestellt zu werden. Gewicht und Größe der damaligen Reaktoren schlossen einen nuklearen Antrieb für ein Flugzeug eigentlich aus, theoretisch baubare kleinere Reaktoren hätten für die erforderliche Leistung ein Vielfaches der Hitze wie in den damaligen Reaktoren produzieren müssen, was den Reaktor hätte zum Schmelzen bringen können.

Und dann war da noch das Problem, dass die Crew des nukleargetriebenen Bombers einer zumindest auf längerer Zeit tödlichen Strahlung ausgesetzt wäre. Man hätte also das Cockpit mit schweren Platten schützen müssen, die aber das Gewicht des Flugzeugs weiter erhöhten. Mitte der 1950er Jahre gab es dann von der US-Luftwaffe mit zwei umgebauten B-36-Bombern Dutzende von Flugversuchen mit einem massiven Strahlungsschutz und einem 3-Megawatt-Reaktor an Bord. Man könne ja, so war die Idee, alte Piloten in solche Bomber setzen. Sie würden dann sterben, bevor sie der Krebs aufgrund der Verstrahlung ins Grab bringen würde. Ein Schock war, als die Aviation Week 1958 berichtete, dass die Sowjetunion bereits einen nukleargetriebenen Bomber testen würde, was sich aber als Fake News herausstellte.

Eine Convair NB-36H Peacemaker, die in den 1950er zum Test einen Atomreaktor an Bord hatte. Bild: USAF

In den 1950er Jahren zirkulierte in den USA auch die Idee nukleargetriebener Bomber, die von den USA nach Russland und wieder zurückfliegen konnten. Der Antrieb (Aircraft Nuclear Propulsion - ANP) sollte in einer Vorstellung wie der der Rakete sein, wobei die Luft durch den Reaktorkern geht und sich erhitzt. Als Alternative stellte man sich vor, um die radioaktive Belastung zu verringern, dass der Reaktorkern beispielweise ein Metall erhitzt, dass die Wärme dann an die Luft weitergibt. Daraus wurde aber nichts, nur einmal ließ man eine Convair NB-36H einen Testflug machen, die einen aktiven Reaktor an Bord hatte.

In den 1960er Jahren wurde vom Pentagon die Entwicklung einer Art tieffliegenden Drohne verfolgt. Die Supersonic Low Altitude Missile sollte schon unbemannt um die Welt fliegen und Atombomben abwerfen können. Der Reaktor Tory IIC wurde 1964 auf dem Testgelände in Nevada mit einem Flachwagen auf einer Schiene getestet.

Nuklearantrieb Tory II-A - noch ein bisschen groß. Bild: DoD

Ein Problem war etwa, dass die große Menge an Luft, die angesogen wurde, um den Rückstoß mit Überschallgeschwindigkeit zu erzeugen, direkt den Reaktorkern durchfließt und damit kontaminierte Luft ausstößt, was über dem Territorium eines befreundeten Landes nicht so gut ankäme, auch wenn es dem Gegner schaden würde. Ein anderes Problem waren die riesigen Temperaturunterschiede von Reaktor und Luftstrom. Die Entwicklung wurde wegen der Fortschritte der Marschflugkörper und der Radartechnik eingestellt, auch in der Sowjetunion.

Desinformationskampagne

Spekuliert wird darüber, ob die Story in der Aviation Week Folge einer Desinformationskampagne gewesen sein könnte. So soll aus den USA hinsichtlich des Nuklearantriebs keine solche Kampagne bekannt geworden sein, was nicht heißt, dass es sie nicht gegeben haben könnte. Bekannt wurde aber nach Freigabe von Dokumenten in den 1990er Jahren, dass in der Sowjetunion 1961 der damalige Verteidigungsminister und der Geheimdienstchef vorgeschlagen hatten, die Geschichte über eine sowjetische Erfindung eines nukleargetriebenen Flugzeugs auf der Basis eines M-50 Myasishchev-Bombers mit unbegrezter Reichweite zu verbreiten, das erfolgreich getestet worden sei.

Angeblich war der Artikel in Aviation Week erfunden worden, um die Entwicklung eines nukleargetriebenen Flugzeugs in den USA und das ANP-Programm zu unterstützen. Wie sieht das nun aber mit Putins erfolgreichem Test einem nukleargetriebenen Marschflugkörper aus? Bluff oder Wahrheit?