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Wie krank sind Rechtspopulisten und Rechtsextremisten? Versuch einer kleinen Psychopathologie der Neuen Deutschen Rechten

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Die ersten Gerüchte über Chemnitz, gestreut in den rechten Wahnräumen des Netzes, waren eindeutig sexuell konnotiert: Eine deutsche Frau sei von dunkelhäutigen Ausländern sexuell belästigt worden, die drei Deutsche töteten, als diese versuchten, die bedrängte Frau zu schützen. Die erste rechtsextreme Gewaltwelle, die sich spontan in Chemnitz am 26. August 2018 entlud, wurde gerade durch diese Gerüchte von einer versuchten Vergewaltigung durch Flüchtlinge angefacht.

Und dies ist ein immer wiederkehrendes Motiv der paranoiden rechten Gewaltphantasien, die einen regelrechten "Genozid" am "deutschen Volk" halluzinieren. Immer wieder erfinden Rechte schlicht sexuelle Übergriffe, wie etwa die angebliche Gruppenvergewaltigung einer Verkäuferin durch Flüchtlinge in Zwickau. In Görlitz wiederum hielten sich tagelang Gerüchte um Vergewaltigungen deutscher Frauen durch Ausländer auf dem Gelände des dortigen Klinikums.

Auch in Chemnitz gab es im Vorfeld der Geschehnisse Ende August Gerüchte über Vergewaltigungen deutscher Frauen durch Ausländer. Die in der Neuen Rechten allgegenwärtige, sexualisierte Angst vor dem Völkermord an den Deutschen, vor der "Umvolkung" Deutschlands, sie ist eingebettet in einen hysterischen Opferwahn, der inzwischen bizarre Ausmaße angenommen hat.

Auf rechten Kundgebungen werden Transparente hochgehalten, auf denen DGB, DFB, der Antichrist, die Kirchen, BMW, Porsche, alle Bundestagsparteien (mit Ausnahme der AfD) und sämtliche Massenmedien (die der AfD eine breite Bühne zur Selbstdarstellung bieten) für den angeblichen "Genozid an den Deutschen" verantwortlich gemacht werden. In Szeneläden werden Judensterne verkauft - mit der Aufschrift "Sachse".

Und dennoch ist es tatsächlich notwendig, diesen ganzen Unrat ernst zu nehmen. Nicht, weil sich hier irgendwo so etwas wie eine aluhuttragende "Wahrheit" verstecken würde, sondern weil hier zuvor randständige Irrationalitäten zu einem brandgefährlichen, gesellschaftlichen Machtfaktor heranwachsen, der in Teilen der Bundesrepublik schon die politische Hegemonie beanspruchen kann.

Politischer Massenwahn, so lächerlich er auch sein mag, ist gefährlich. Die Nazis glaubten tatsächlich an ihre genozidale Halluzination von der "jüdisch-bolschewistischen-Weltverschwörung". Genauso, wie derzeit immer mehr Menschen, die dem Wahn der Neuen Rechten verfallen, tatsächlich fest daran glauben, der Jude George Soros habe die derzeitige Flüchtlingskrise ausgelöst, die zu einer "Umvolkung" Deutschlands führen solle.

Neurechte "Gemeinschaftsneurose"?

Die Neue Rechte kann folglich auch als soziale Pathologie begriffen werden, als sozialpsychologisches Studienobjekt, das Ausfluss einer irrationalen Verarbeitung tatsächlich gegebener, gesellschaftlicher Widersprüche ist. Sigmund Freud hat schon in seiner berühmten Schrift "Das Unbehagen in der Kultur" darauf hingedeutet, dass die "Kulturentwicklung" aufgrund der ihr innewohnenden Widersprüche regelrechte "Gemeinschaftsneurosen" hervorbringen könne, die sich in manifesten "Pathologien kultureller Gemeinschaften" manifestierten. Es gilt somit zu eruieren, inwiefern es sich bei der Neuen Rechten um eine zu einer Bewegung geronnenen Psychopathologie handelt, die Züge einer aus Triebverzicht und Unterwerfung gespeisten Massenneurose aufweist.

Die Beschäftigung mit dem Wahn der Neuen Rechten dürfte somit auch ein grelles Licht auf die Widersprüche und Absurditäten des krisengebeutelten, in offene Zersetzung übergehenden Spätkapitalismus werfen. Die unbewusste, irrationale Verarbeitung unverstandener gesellschaftlicher Vorgänge und Widersprüche, die kennzeichnend ist für weite Teile der Praxis und Ideologie der Neuen wie der Alten Rechten, sie verweist selbstverständlich auf die krisengeschüttelte und widerspruchszerfressene Gesellschaft, die sie hervorbringt.

Selbstverständlich nutzen rücksichtslose Demagogen - teils unbewusst und instinktiv - diese komplexbeladene Gemengelage aus, um hieraus politisches Kapital zu schlagen. Angesichts der zunehmenden Krisendynamik dürften auch Funktionseliten in Politik, Staat und Wirtschaft den Faschismus wieder als eine gangbare Krisenoption in Erwägung ziehen. Doch dürfen hier nicht Ursache und Wirkung vertauscht werden.

Der Faschismus ist eine genuine Massenbewegung, die eine eigene, aus irrationalen Reaktionen auf die krisenbedingt zunehmenden Widersprüche gespeiste Dynamik aufweist. Demagogen mögen die gegebenen reaktionär-irrationalen Stimmungen in der angstschwitzenden Mitte instrumentalisieren, Teile der Funktionseliten können schließlich mit diesen Bewegungen paktieren - doch dies erklärt nicht die Genese, die Popularität der Neuen Rechten.

Gehören die mit Chrystal Meth vollgepumpten Nazi-Orks der Bundesrepublik auf die Couch? Die Neue Rechte operiert ja offensichtlich mit dem unreflektierten, irrationalen Affekt, der gerne durch das Konstrukt der bequemen "einfachen Wahrheiten" nachträglich rationalisiert wird.

Dabei fungieren diese "alternativen Fakten", deren Unsinnigkeit eigentlich sehr schnell enthüllt werden kann, nur als ideologisches Vehikel, um die von unbewussten, irrationalen Triebkräften motivierte Praxis zu legitimieren. Deswegen sind alle Bemühungen, Aufklärung, Logik oder Fakten in die rechten Wahnräume hineinzutragen, in den seltensten Fällen von Erfolg gekrönt - der braune Mob will seine primitiven Lügen glauben, weil sie nur ein scheinrationales Vehikel für das Ausleben irrationaler, unbewusster Triebkräfte sind.

Des braunen Pudels klebriger Kern

Es gilt folglich, diesen irrationalen Kern der neuen deutschen Rechten - der sich unter ihrer harten, braunen Schale verbirgt - freizulegen und der analytischen Reflexion zugänglich zu machen. Dies ist gerade deswegen notwendig, weil die Neue Rechte sich jeglicher Selbstreflektion verweigert. Das Irrational-Unbewusste, die Brutstätte des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, muss der bewussten Analyse zugänglich gemacht werden. Und hierbei bieten die eingangs erwähnten sexuellen Gewaltphantasien einen ersten Anknüpfungspunkt, da sie den irrationalen, triebgesteuerten Charakter rechter Ideologie und Praxis offenlegen.

Der paranoide neurechte Wahn von der jüdisch organisierten "Umvolkung" Deutschlands, in dem sich Antisemitismus und Rassismus paaren, resultiert aus Frustrationen, die sich durch Triebverzicht einstellten - und die zu entsprechenden Projektionen führen. Dies gilt vor allem in Hinsicht auf den Sexualtrieb, dem ja bekanntlich in der neuen deutschen Rechten überdurchschnittlich oft das Ausleben verwehrt bleibt.

Der Hass, der sich durch das populäre neurechte Wahnbild der sexuell zügellosen Flüchtlinge manifestiert, die - von Merkel oder Soros persönlich mit dem neusten iPhone ausgestattet - daran gehen, das deutsche Volk durch massenhafte Vergewaltigungen zum Verschwinden zu bringen, verweist auf das vermutlich oft traurige, mitunter nicht existente Sexualleben in vielen neurechten Schlafzimmern. Es ist eine simple unbewusste Projektion, die selbstverständlich weitgehend immun ist gegen die gesellschaftliche Realität, die von einer fallenden Kriminalitätsrate geprägt ist.

Der Zug ins Sadistische, der all dieser neurechten Propaganda anhaftet, rührt gerade aus dem besagten Triebverzicht her, der in diesem männlich geprägten Milieu, das auf dem spätkapitalistischen Beziehungsmarkt eher schlechte Karten hat, notgedrungen vorherrscht. Sexuelle Triebregungen, denen das Ausleben verwehrt bleibt, driften oft ins Sadistische und Sado-Masochistische ab.

Diese psychopathologische Konstitution, in der sadistische Projektionen sexueller Frustration zu Hass führen, insbesondere auf die als potente sexuelle Konkurrenz wahrgenommenen arabischen "jungen Männer", spielt als unbewusste, irrationale Treibkraft der Neuen Rechten eine wichtige Rolle. Der Rechtspopulismus fungiert hier auch als politische Ausscheidung einer massenhaften, aus Liebesmangel resultierenden Psychopathologie, als ein "stummer Schrei nach Liebe".

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