Leben in Zeiten der Ultradekadenz

Generation Wealth. Bild: © jip film & verleih

Lauren Greenfields engagierter Dokumentarfilm "Generation Wealth" zeigt, wie Luxus und Materialismus unsere Kultur zerstören

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Greed is good.
Gordon Gecko

"Luis Vuitton", "Dolce e Gabbana" - es ist lustig, in den ersten Sekunden dieses Films zuzuhören, wie Chinesinnen lernen, die Namen der Luxusmarken korrekt auszusprechen... Doch dieser Einstieg trügt. Lustig, erst recht lustig gemeint ist an diesem Film nämlich kaum etwas, und wenn man lacht, dann weil man sich fremdschämt, oder weil man das, was man sieht, nicht mehr erträgt. So gut wie nie aber lacht man mit den Menschen, die sich hier äußern. Am ehesten noch ab und zu mit Florian Homm, dem deutschen Hedge-Fonds-Manager, der sich irgendwann, als sein Schneeballsystem kollabierte, mit etwa 150 Millionen aus dem Staub machte.

Homm weckt im Betrachter eine verwundernde, seltsame Sympathie - vermutlich, weil man spürt, dass er immerhin die Wahrheit sagt, sich selbst auch nicht schont, nicht so hinter Lebenslügen versteckt wie die meisten anderen in diesem Film. Vielleicht sind Homms Lebenslügen aber uns auch nur vertrauter, denn er ist einer der wenigen Europäer, die hier zu Wort kommen.

Das Lachen des Betrachters in diesem Film bleibt ansonsten das Lachen des Besuchers einer Freak-Show, eines Kuriositätenkabinetts. Man begegnet grotesken, innerlich wie äußerlich Verstümmelten, moralischen wie ästhetischen Missgeburten.

Generation Wealth (8 Bilder)

Bild: © jip film & verleih

Der Einstieg täuscht auch in anderer Hinsicht. Denn zwar zeigt dieser Film Reiche und Gierige und Luxusabhängige aller Länder. Er gibt Einblicke in den materialistischen Lebensstil chinesischer Aufsteiger und russischer Oligarchen - so etwas hat man allerdings schon gesehen, und sonderlich aussagekräftig ist es nicht.

Vor allem aber zeigt der Film, man kann es nicht anders sagen, geldgeile Amerikaner, denen das Geld den Charakter verdorben hat. Sogar schon den kleinen Kindern, wie Eden Wood, dem sechsjährigen Star in der Kinderfreakshow "Toddlers & Tiaras", wo die dressierten Püppchen geschminkt und in Showgirl-Kostümen wie Erwachsene auftreten - in offener Anspielung auf Kinderpornophantasien.

"Gesellschaften erreichen ihren größten Wohlstand in dem Augenblick, in dem sie zugrunde gehen."

Es ist ekelig. Man kann es nicht glauben. Man will es nicht wahrhaben. Der Dokumentarfilm Generation Wealth ist einerseits ein Portrait unser hypermaterialistischen Gegenwart und ihrer Auswüchse.

Zugleich ist dies aber eine sozialkritische, hochpolitische und dabei geschichtsphilosophische Betrachtung der Vereinigten Staaten und der amerikanischen Moderne in ihrem Endstadium: Es ist ein Amerika, in dem es nur noch um Status geht und um die äußeren Zeichen des Status. Soziale Mobilität ist ebenso fiktiv, wie die Idee des Aufstiegs für jedermann, die einmal "Amerikanischer Traum" genannt wurde. Der Amerikanische Traums ist eine Illusion und die Gesellschaft befindet sich längst in einer Abwärtsspirale. Weder die heutigen erwachsenen US-Bürger, noch ihre Kinder können je das erreichen, was früheren Generationen gelang.

Es ist wie der Untergang des Römischen Reichs. Die Pyramiden wurden auch in dem Augenblick bebaut, in dem der Verfall Ägypten sich beschleunigte. Und das ist es, was immer wieder passiert: Gesellschaften erreichen ihren größten Wohlstand in dem Augenblick, in dem sie zugrunde gehen.

so der frühere New York Times-Autor und politische Aktivist Chris Hedges im Film:

Mit dem Unterschied, dass, wenn wir zugrunde gehen, es die ganze Welt mit uns tut.

Zu Wort kommt auch der Star-Schriftsteller Bret Easton Ellis, der in den 90er Jahren mit seinen zeitkritischen Romanen "Unter Null", "American Psycho" und "Glamorama" seine Gegenwart sezierte: Ellis beschreibt, wie in den 90ern der Narzissmus begann, die amerikanische Kultur zu infizieren.

Die 1966 geborene Regisseurin Laureen Greenfield ist selbst so ein Star der US-amerikanischen Öffentlichkeit - nicht der neureichen Aufsteiger, sondern der Künstlerelite der Ostküste. Sie besuchte die teure "Crossroads"-Privatschule, studierte in Harvard, kennt Drogensüchtige und Rapper, Magersüchtige und Plastikbusen tragende Selfmademillionärinnen, die sogar ihren Hund operieren lassen, Porno-Darstellerinnen und sowieso die reichsten Menschen Amerikas.

Als Photographin wurde Greenfield bereits früh, Anfang der 90er Jahre, berühmt. Ihr Markenzeichen sind kühle Bonbonfarben und leicht verzerrte Weitwinkelperspektiven, fast wie Breitwandfilmstills. Es sind aber auch ihre Themen: In ihrem Photo-Band "Fast Forward" portraitierte sie die Jugend von Los Angeles, die Ellis' Romane beschreiben, eine Jugend im Schatten von Hollywood. In "Girl Culture" geht sie mit ihren Bildern der Frage nach, wie junge Mädchen von klein auf lernen, ihren Körper nach den Wünschen der Gesellschaft zuzurichten. Und wohin das führt.

Greenfield arbeitet für Magazine wie den "New Yorker", "Vanity Fair", die "New York Times", aber auch "Stern" und "Spiegel". Seit 2003 dreht sie auch Filme. Ihre Arbeit versteht die Regisseurin als "Anthropologie" ihrer eigenen Kultur. "In my work, I often look at the extremes to understand the mainstream."

"Die Massenkultur der Gegenwart und das Fernsehen sind eine Form von Gewalt."

"Generation Wealth" ist ein Projekt. Zunächst war dies der Titel einer Ausstellung über Greenfiels Gesamtwerk. Aus der ging dann ein pompöses Coffee-Table-Book und nun dieser Film hervor. Es ist auch insofern tatsächlich ein Generationsprojekt, weil Greenfield ihre eigene Biographie von Anfang an miteinspeist.

Als Tochter "typischer" 68er-Eltern - jüdische Upper-Middle-Class von der Ostküste mit Harvard-Studium in den frühen Sixties und anschließenden Selbsterfüllungstrips, die zunächst an die West-Coast, später dann zu irgendwelchen Maya-Stämmen in Mexiko führten, wollte auch die Tochter für ihren ersten Magazin-Auftrag zunächst Indios portraitieren. Doch die Story wurde gecancelt: 1991 interessierte das niemand mehr. Also wendete sie die ethnologische Methode nach innen statt auf arme Indio-Kinder die reichen Kids von L.A.. Das passte. Zu Bret Easton Ellis, zu Larry Clark, zu allen Trends der "fucking Nineties".

In den letzten Jahrzehnten verloren die USA, so lautet die These dieses Films, ihre Seele. Einziger Lebensinhalt der Amerikaner sei das Geld und der Luxus. Woran liegt das?

Die eine Ursache ist sehr konkret: Die Aufgabe des Gold-Standards für den Dollar durch Präsident Richard Nixon im Jahr 1971. Das bedeutete im Wesentlichen, dass das Geld, das seitdem im Umlauf ist, nicht durch irgendwelche echten Vermögenswerte gedeckt war oder gedeckt sein musste. Die folgenschwerste weltwirtschaftliche Entscheidung des 20.Jahrhunderts!

Seitdem werden die Kosten des Wachstums auf die Zukunft verschoben, seitdem existiert die Weltwirtschaft auf Pump. Die 70er Jahre wurden zum Wendepunkt. Denn nun wurden die Kosten der Verbesserung des westlichen Lebensstandards und die Kosten der Aufrechterhaltung der amerikanischen Weltmachtposition, nicht zuletzt das Wettrüsten und der angebliche "Sieg" des westlichen Modells über das staatssozialistische durch Kredite finanziert. Die Haushaltsdisziplin ging verloren - Geld lässt sich einfach von der jeweiligen Notenbank drucken, da nicht mehr wie zuvor ein Wert-Äquivalent vorhanden sein muss. In den USA - wie im ganzen Westen - wird zu wenig produziert und zuviel konsumiert. Die Gesellschaft frisst sich selber und dieser Raubbau ist an allen Orten erkennbar.

Die zweite Ursache: "Die Massenkultur der Gegenwart und insbesondere das Fernsehen sind eine Form von Gewalt", sagt noch einmal Chris Hedges in bester Noam-Chomsky-Tradition.