Anmerkungen zur Feinstaub-Diskussion

Ein Gastkommentar zum Hintergrund der Stellungnahme der Lungenärzte

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Die aktuelle Feinstaub-Diskussion wurde von vier Autoren ausgelöst, den Professoren Köhler, Koch, Hetzel und Klingner. Auch wenn es häufig heißt, "eine Gruppe von klinischen Forschern und Lungenärzten" (Pressemeldung Lungenärzte im Netz) habe die grundlegende Kritik geäußert, so sind doch zwei von den vier Initiatoren, die beiden Professoren Koch und Klingner, keine Ärzte, sondern bekanntermaßen äußerst autoindustriefreundliche Ingenieure.

Herr Koch war vor seiner Berufung zum Professor in Karlsruhe 10 Jahre in der Nutzfahrzeugmotorenentwicklung der Daimler AG tätig. Das von ihm heute geleitete Institut für Kolbenmaschinen finanzierte sich im Jahr 2018 zu etwa 15% durch Drittmittel aus der Industrie. 2018 war das Institut zudem an drei Projekten vorwettbewerblicher Forschung beteiligt. Partner waren die AVL List GmbH, die Ford Werke GmbH und Shell. Begleitet wurden die Projekte unter anderem von Autobauern wie BMW, Porsche, Audi oder Volkswagen. Herr Koch äußerte sich in einem Interview von 2016 sehr autoindustriefreundlich (Interview Stuttgarter Zeitung: "Der Diesel ist kein Stinker mehr").

Herr Koch war einer der fünf Autoren einer wissenschaftlichen Studie im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums, die im Februar 2018 vorgelegt wurde. Diese 153 Seiten umfassende Kurz-Studie zum Thema Hardware-Nachrüstung von Diesel-Fahrzeugen mit einem Katalysator kam zu dem für die Automobilhersteller sehr günstigen Ergebnis, eine solche Nachrüstung sei viel zu teuer. Unabhängige Gutachter, u.a. der ADAC, bezeichneten die in der Kurz-Studie genannten Zahlen als völlig unrealistisch und weit überhöht.

Nicht nur Herr Koch, sondern alle fünf Gutachter der Studie für das Verkehrsministerium haben starke finanzielle und nichtfinanzielle Verflechtungen mit der Autobranche. Das Bundesverkehrsministerium dürfte bzw. sollte bei der Auftragsvergabe an die fünf Professoren von deren industriefreundlicher Gesinnung gewusst haben. In der explizit "wissenschaftlich" genannten Kurz-Studie wurde mit keinem Wort auf die starken Interessenkonflikte der fünf Gutachter hingewiesen. Das widerspricht allen wissenschaftlichen Ethik-Standards. Das Kurz-Gutachten ist daher meiner Meinung nach ein reines "Gefälligkeitsgutachten". Und einer dieser fünf, meiner Meinung nach "Gefälligkeits-Gutachter", Herr Koch, tritt nun über den Verband der Lungenärzte erneut maßgeblich in die öffentliche Diskussion zu Gunsten der Automobilkonzerne in Erscheinung.

Der zweite Nicht-Arzt, Prof. Dr. Matthias Klingner, tritt seit längerem in den Medien als Kritiker von Fahrverboten auf. Das von ihm geleitete Fraunhofer Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme (IVI) dürfte, wie die meisten Fraunhofer-Institute, enge Verbindungen zu und Finanzierung aus der Industrie haben. Das könnte die industriefreundlichen Äußerungen von Hr. Klingner miterklären, bzw. miterklären, warum ein Mensch mit solch ausgeprägt autoindustriefreundlichen Ansichten Institutsleiter wird - statt einem BUND- oder Greenpeace-Mitglied. Leider wird die Mittelherkunft von IVI nicht offengelegt.

So stellt sich die Frage, ob die von dem Lungenarzt Hr. Köhler angeschriebenen knapp 4000 Lungenärzte wussten, dass es sich um eine Initiative handelt, die zur Hälfte von autoindustriefreundlichen Technikern getragen wird? In der Stellungnahme, auf die sich Hr. Köhler, der nach eigenen Angaben nie eine peer-reviewte Studie zu dem Thema publiziert hat, stützt, schreibt er: "Gerne sind wir bereit, jede der einzelnen Aussagen näher mit Literatur zu belegen", sagt jedoch nicht, wer "wir" ist und gibt sich alleine als Korrespondenzadresse an.

Das klingt so, als ob er den Lungenarzt-Kollegen nicht unbedingt offenlegen wollte, dass die entscheidende Argumentations-Schrift zur Hälfte von automobilfreundlichen Nicht-Ärzten stammt. Sonst hätten womöglich noch deutlich weniger als 3% aller Lungenärzte unterschrieben. Die andere Frage ist: Ist es von Hr. Köhler fair, so vorzugehen? Klingt das nicht nach Verheimlichen von Tatbeständen? Oder gar nach Täuschung?

Dr. Christian Kreiß ist Professor für Finanzierung an der Hochschule Aalen. 2015 ist sein Buch "Gekaufte Forschung" erschienen, siehe das Telepolis-Interview mit ihm: Missbrauchte Wissenschaft. Weitere Bücher: Geplanter Verschleiß (2014) und Profitwahn: Warum sich eine menschengerechtere Wirtschaft lohnt (2013).

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