Laternenfische: Wanderer im Restlicht der Meere

Laternenfische. Bild: NOAA Photo Library, OAR/National Undersea Research Program (NURP)

Im Zwielicht der Tiefe - Teil 2

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Mit neuen Zielarten wird der Trend des Herunterfischens entlang der Nahrungskette immer weiter in die Tiefe getragen. Ressourcen-Strategen haben den Fischreichtum des Mesopelagials für sich entdeckt, doch noch sind die Pläne seiner Ausbeutung nicht ausgereift.

Während bereits kommerziell genutzte Tiefseefische wie der Granatbarsch (Teil 1: Granatbarsch: Ikone aus der Tief) oft in der Nähe unterseeischer Erhebungen zu finden sind, kommen andere Arten ganz ohne den Kontakt zu solchen geomorphologischen Schnittstellen aus. Wie etwa bestimmte Laternenfische, die nur ein Leben in der freien Wassersäule kennen und die beim Versuch ihrer künstlichen Haltung zugrunde gehen. In selbstmörderischer Absicht rammen sie die Aquarienwände, bis ihr Tod eintritt - sie können sich nicht an Grenzen gewöhnen. Und doch sind sie prinzipiell robust, wie Nasen-Laternenfische (Gonichthys cocco) schon in den 1940er Jahren demonstrierten. Die mit einem Netz aus der Tiefe geholten Fische hatten bis zu 36 Stunden überlebt. Einem von ihnen hatten die verdutzten Forscher so ins Herz geschlossen, dass sie ihm einen Namen gaben: Methusalem. Ihn hatten die Wissenschaftler aus Versehen zweimal auf den Boden fallen lassen und zwischendurch irrtümlich in ein Formalin-Bad getaucht.

Laternenfische sind artenreiche Fische des Mesopelagials, jenem Bereich des Meeres, in den nur noch Reste des Tageslichts vordringen - ungenügend für die Photosynthese von Pflanzen, aber immer noch ausreichend, um zwischen Tag und Nacht unterscheiden zu können. Das gelingt in Abhängigkeit von der Menge des im Wasser suspendierten Materials noch in Tiefen zwischen 200 bis 1000 Metern. Dort herrschen Temperaturen zwischen 4 und 8°C, bei Drücken zwischen 20 und 100 Bar. Erkenntnisse über die Zusammensetzung und Verteilung des Lebens im Mesopelagial der Weltmeere sind dürftig. Ebenso wenig ist über seine Bedeutung für die Ökosysteme der Ozeane bekannt.

Die größte Tierwanderung der Welt, vertikal

Während der Entwicklung des Sonars zur U-Boot-Bekämpfung wurde 1942 in mittleren Tiefen eine Schicht entdeckt, die zunächst rätselhafte, diffuse Echos produzierte - der "deep scattering layer" (DSL), bzw. die tiefe Echo-Streuschicht. Diese Schicht entpuppte sich als sehr dynamisch.

Sie wird durch die vertikale Wanderung von Organismen des Mikronektons verursacht, einer überwältigenden Menge kleiner Fische, Ruderfußkrebse und anderer Krustentiere. Die Schwimmblasen der Fische, Schwimmbojen von Staatsquallen und die Exoskelette der Krustentiere werfen die Schallwellen zurück und erscheinen auf dem Echogramm als Phantom-Meeresgrund, dessen Tiefe sich in Abhängigkeit der Wanderbewegung von der Tageszeit ändert. Das Phänomen wurde vom Ozeanographen Martin W. Johnson während der Sonar-Entwicklung vorhergesagt und im Juni 1945 in Tests bestätigt. Dass sich viele Organismen tagsüber aus den oberflächennahen Wasserschichten zurückziehen und nachts wiederkehren, war bereits seit der ozeanografischen Expedition von HMS Challenger (1872-1876) bekannt.

Über mehr als 15 Stunden vor der Ostküste der Vereinigten Staaten aufgenommene Sonardaten erfassen einen Tag- und Nachtzyklus. Sie zeigen die tägliche Auf- und Abbewegung großer Mengen von Meeresorganismen, die durch die tiefe Echo-Streuschicht sichtbar werden. Sobald die Sonne aufgeht und auf Sicht jagende Räuber ein größeres Risiko darstellen, geht die Wanderung zurück in die Tiefe, hier bei ca. 10:00 Uhr zu sehen. Die schwarze Linie ist der berechnete Meeresboden. Bild: NOAA

Laternenfische gehören zu den Arten, die die größten weltweit bekannten vertikalen Wanderbewegungen im Laufe eines Tages auf sich nehmen. Nachts ernähren sie sich in der nährstoffreichen oberen Etage der Meere, dem Epipelagial. Dabei steigen sie in kompakten Schichten manchmal bis in die Nähe der Oberfläche auf, während sie tagsüber wieder ins Mesopelagial absinken und die aufgenommenen Nährstoffe mit in die Tiefe nehmen. Diese Wanderbewegungen sind noch nicht vollständig verstanden. Zum einen ermöglichen sie den beteiligten Organismen ein gleichbleibendes Restlicht-Niveau. Zum anderen bleiben sie so weniger sichtbar für Räuber, und ihr Stoffwechsel verlangsamt sich, wenn sie ins kältere Wasser zurückkehren.

Die bis zu fünfzehn Zentimeter langen Laternenfische sind die dominierende und artenreichste Familie des Mesopelagials. Fast 250 Arten werden aufgrund ihrer Leuchtorgane als Laternenfisch angesprochen. Sie stellen schätzungsweise 65% der Biomasse aller Tiefseefische. Laternenfische sind die Hauptbeute zahlreicher Top-Räuber, wie beispielsweise der Bewohner der Kerguelen, einer Insel im südlichen Indischen Ozean, die eine beträchtliche Ansammlung von Seevögeln und Meeressäugern beherbergt. Sie sind ein wichtiges Glied der ozeanischen Nahrungskette des Planeten: für Rotbarsche, Thunfische, Schwertfische, Makrelen, Lachse, Wale und andere mehr stellen sie eine wichtige Energiequelle dar. Ökologen haben ermittelt, dass der Energiegehalt ihrer gespeicherten Lipide, nach Abzug des Wachsestergehalts, doppelt so hoch ist wie der anderer bedeutender Futterfische.

Myctophum obtusirostre. Bild: NOAA Photo Library, SEFSC Pascagoula Laboratory; Collection of Brandi Noble, NOAA/NMFS/SEFSC / CC-BY-2.0

Laternenfischen wird neben ihrer Bedeutung für die Nahrungskette eine andere wichtige Funktion nachgesagt. Sie transportieren als Teil der biologischen Kohlenstoff-Pumpe beträchtliche Mengen des vom Phytoplankton photosynthetisch gebundenen Kohlenstoffs in die Tiefe. Somit sind sie ein wichtiges Bindeglied im Geflecht des Kohlenstoffkreislaufs, dessen Fehlen auch Folgen für den Klimawandel erwarten lässt. Denn Wissenschaftlern zufolge wäre die Kohlendioxid-Konzentration an Land ohne diese Pumpe um bis zu 50% höher.

Großer Bestand, aber wie groß genau?

Ursprüngliche Schätzungen des Bestands der globalen Lebendmasse mesopelagisch vorkommender Fische gingen in den späten 1970er Jahren von einer Milliarde Tonnen aus. Diese Zahl wurde kürzlich um eine Größenordnung nach oben korrigiert. Die nun zehn Milliarden Tonnen übertreffen den jährlichen Fischfang der Welt beträchtlich, der 2011 bei 53,1 Millionen Tonnen lag. Doch als sicher gelten auch die neuen Schätzungen nicht. So offenbart sich, wie wenig über diese Lebewesen bekannt ist. Meeresbiologen sind besorgt, wenn sie an mögliche globale Auswirkungen denken, würde dieses gigantische Reservoir überstürzt angezapft. Die Folgen einer industriellen Fischerei im Mesopelagial sind beim heutigen Wissensstand nicht absehbar.

Dabei war den Meeresbiologen bei ihren Erhebungen in den 1970/80er Jahren aufgefallen, dass Bestandsschätzungen aus den Ergebnissen von Schalluntersuchungen generell über dem lagen, was die Fänge in ihren Schleppnetzen vermuten ließ. Doch erst neuere Forschungen konnten zeigen, dass es die Fische des Mesopelagials selber sind, die sich einer übereinstimmenden Erfassung entziehen: durch effiziente "Schleppnetz-Meidung".

Sie sind mit hoch entwickelten sensorischen Fähigkeiten ausgestattet. Das beginnt bei ihren im Verhältnis zur Körpergröße meist großen Augen. Viele Vertreter sind mit Leuchtorganen bestückt, die die Kommunikation untereinander und das Anlocken von Beute ermöglichen. Besonders ausgebildet ist jedoch ihr Vermögen, kleinste Druckänderungen in ihrer Umgebung wahrzunehmen. So können sie rechtzeitig Gefahren ausweichen. Meeresbiologen demonstrierten diese Fähigkeit bei Untersuchungen am Eislaternenfisch (Benthosema glaciale), dem typischsten Laternenfisch des Nordatlantiks. Die Fische spüren sich nähernde Räuber in einer Entfernung von 30 Metern und fliehen. Oder ein sich näherndes Netz, das sie in noch größerer Entfernung wahrnehmen und ihm rechtzeitig aus der Bahn gehen können. So wird es schwierig, sie mit einem Schleppnetz zu fangen.